In seinem Buch Die fünf Sprachen der Liebe beschreibt Gary Chapman, wie wir Zuneigung in romantischen Beziehungen kommunizieren. Auf die Arbeit übertragen gibt uns das Konzept ein besseres Verständnis für unsere Kolleg*innen und sorgt für mehr Wertschätzung in der Organisation.
Wertschätzung spielt in Organisationen heute eine zentrale Rolle. 1 Sie sorgt dafür, dass sich Menschen wohlfühlen, zufrieden und motiviert sind. Dabei ist Wertschätzung nicht irgendein vages Gefühl, sondern misst sich an der Art und Weise, wie mit Mitarbeiter*innen umgegangen wird: Welchen Respekt bringen uns Vorgesetzte und Kolleg*innen entgegen? Dürfen wir unsere Fragen, Ansichten, Ideen und Gefühle im Arbeitsumfeld frei äußern? Erhalten wir die Chance, unsere Arbeitswelt mitzugestalten? Können wir uns als kompetente Menschen erleben? Wird unser Beitrag anerkannt? Wertschätzung zeigt sich in vielen Dingen: in anerkennenden Worten, der Einbeziehung in wichtige Entscheidungen und ja, auch in einer angemessenen Bezahlung.
Über vierzig Prozent aller deutschen Arbeitnehmer*innen fehlt an ihrem Arbeitsplatz genau das2: Sie vermissen die Wertschätzung für ihren Beitrag und fühlen sich nicht gesehen. Tatsächlich wird die Wirkung von Lob, Respekt und Wertschätzung durch den*die Arbeitgeber*in in deutschen Unternehmen immer noch maßlos unterschätzt. Vermutlich liegt das auch an bekannten Grundsätzen wie „Nicht geschimpft ist genug gelobt“. Diese Denkweise ist zwar mittlerweile überholt, wirkt aber immer noch im Hintergrund und beeinflusst, wie großzügig oder sparsam wir mit anerkennenden Worten umgehen. So kommt es zu ernüchternden Situationen, in denen sich kein Teammitglied daran erinnern kann, wann und von wem das letzte Mal das Wort „Danke“ ausgesprochen wurde. Es gibt in der Praxis also eine prägnante Lücke zwischen dem, was sich Menschen an Wertschätzung wünschen, und dem, was ihnen bei der Arbeit entgegengebracht wird. Das ist ein Problem.
Ein Mangel an Wertschätzung im Team kann sich unter anderem so äußern:
- Entmutigung: „Warum soll ich überhaupt noch probieren, mit meinem Kollegen zu reden? Das ändert doch eh nichts.“
- Reizbarkeit: „Bitte lass mich einfach in Ruhe meine Aufgaben erledigen.“
- Abwesenheit: „Ich habe gar keine Lust, morgen zur Arbeit zu gehen.“
- Misstrauen: „Ich wette, ihm*ihr ist es völlig egal, wie es mir geht.“
- Passivität: „Ich kann auch einfach nur das Minimum abliefern, denn egal, wie viel ich leiste, es wird ja eh nicht gesehen.“
- Negativität: „Der Vorschlag überzeugt mich null. Habt ihr euch überhaupt richtig Gedanken gemacht?“
Organisationen sollten diese Anzeichen ernst nehmen und nach den Ursachen forschen, vor allem, wenn sie regelmäßig auftreten.
Die Sprachen der Wertschätzung
Vermutlich haben die meisten von uns Kolleg*innen, denen wir nicht genügend Wertschätzung zeigen und von ihnen zurückempfangen. Und natürlich geht echte Wertschätzung weit darüber hinaus, sich sporadisch beieinander zu bedanken. Auf welche vielfältigen Arten wir Zuneigung ausdrücken, das hat Sachbuchautor Gary Chapman in seinem Konzept der Sprachen der Liebe festgehalten. Es hat weltweit Popularität erlangt und wird vielfach in der Paartherapie angewendet. Bezogen auf den Arbeitskontext hat Chapman die Sprachen der Liebe zu den Sprachen der Wertschätzung umfunktioniert und in seinem Buch The 5 Languages of Appreciation in the Workplace vorgestellt:
- Körperkontakt (Umarmungen, Schulterklopfen, Händeschütteln, High Fives)
- Bestärkende Worte (persönliche Wertschätzung, Komplimente, mündliches oder schriftliches Lob)
- Ungeteilte Aufmerksamkeit (Teamaktivitäten, essen gehen, Spaziergang in der Mittagspause)
- Geschenke (mitgebrachter Kaffee, kleine Gesten der Aufmerksamkeit, Geschenk oder Karte zum Geburtstag)
- Unterstützung und Hilfsbereitschaft (unaufgeforderte Unterstützung, Hilfe bei Problemen, Anbieten von (Teil-)Übernahme von Aufgaben)
Die Sprachen der Wertschätzung können dabei helfen, die Lücke zwischen der gewünschten und der empfangenen Wertschätzung innerhalb unserer (Arbeits-)Beziehungen zu schließen. Menschen bevorzugen oft eine bestimmte Art und Weise, in der man ihnen Wertschätzung ausdrückt. Wenn sich Personen hierfür unterschiedlicher Sprachen bedienen und diese Kommunikationsbarriere nicht berücksichtigen, kann das zu Konflikten führen. Ziel sollte deshalb sein, eine gemeinsame Ebene zu finden, um die Beziehungen im Team stark und stabil zu halten.
Chapmans Sprachen der Wertschätzung überschneiden sich hier mit dem Konzept der gewaltfreien Kommunikation von Marshall B. Rosenberg. Dieser geht davon aus, dass alle Menschen die gleichen Bedürfnisse haben, sich aber unterschiedlicher Strategien bedienen, um sie zu erfüllen. Übertragen auf die Sprachen der Wertschätzung bedeutet das: Was mir das Gefühl vermittelt, anerkannt und wertgeschätzt zu werden, muss bei einem anderen Menschen nicht den gleichen Effekt haben. Dennoch neigen wir dazu, „mit anderen auf die Art und Weise zu kommunizieren, die uns selbst am meisten bedeutet – wir ‚sprechen unsere eigene Sprache‘“, schreibt Gary Chapman. Es ist also wichtig, nicht nur die eigene Sprache zu kennen, sondern auch die der Kolleg*innen.
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Wenn ihr wisst, welche Sprachen der Wertschätzung im Team vorhanden und verbreitet sind, könnt ihr anfangen, vorherrschende Gewohnheiten zu hinterfragen. Wie geht ihr beispielsweise mit Geburtstagen um? Braucht es immer ein Geschenk vom Team? Oder würde sich das Geburtstagskind über eine andere Geste vielleicht viel mehr freuen? Wenn ja, welche? Holen die After-Work-Dinnerabende wirklich alle ab? Oder haben einige Teammitglieder gar nicht so das Bedürfnis, Zeit miteinander zu verbringen? Was gibt es für Alternativen? Braucht es überhaupt eine Alternative?
Die Arbeitspsychologin Eva Elisa Schneider meint außerdem, dass die Sprachen der Wertschätzung ein Werkzeug zur Überprüfung der Unternehmenskultur sein können: „Wenn ein Großteil der Teammitglieder sagt, dass sie aktuell besonders auf Unterstützung und Hilfsbereitschaft anspringen, kann das ein Zeichen für systematischen Overload sein.“ Äußern wiederum viele Mitarbeiter*innen, dass sie stark bei Anerkennung und Lob funken, dann fehlt es vielleicht flächendeckend an Wertschätzung. In dem Fall hilft kein x-tes Geschenk, sondern eine bessere Feedback- und Wertschätzungsroutine. Wertschätzung ist keine Einzelmaßnahme, sondern sollte ein Dauerthema in jeder Organisation sein. Den Mitarbeitern*innen einmalig Boni auszuschütten, wirkt als wertschätzende Maßnahme nur sehr kurzfristig, wenn ansonsten in der Organisation Räume für Wertschätzung dauerhaft fehlen. „Die Sprachen der Wertschätzung spielen jeden Tag eine Rolle, denn Beziehungen bilden sich im täglichen Miteinander“, sagt Eva Elisa Schneider.
Natürlich ist Chapmans Konzept der Wertschätzung vereinfachend, die Realität ist meist viel komplexer. Zwar haben viele Menschen ein oder zwei bevorzugte Muster, nach denen sie Wertschätzung zeigen und empfangen. Aber diese Muster können sich ändern, am Arbeitsplatz genauso wie im Privatleben. Der Kontext, die Branche, die wirtschaftliche Gesamtsituation, die individuelle Lebenssituation sowie das Alter nehmen Einfluss darauf, wie wir Wertschätzung ausdrücken, und auch darauf, was wir selbst brauchen, um uns sicher und gesehen zu fühlen. Wenn ihr die aktuell gebrauchten Sprachen der Wertschätzung in eurem Team herausfinden möchtet, könnt ihr folgende Übung ausprobieren:
1. Lest euch die folgenden Fragen einzeln durch und reflektiert, was eure bevorzugte Sprache der Wertschätzung sein könnte:
- Über welche Form der Anerkennung von anderen freue ich mich besonders?
- Was können meine Kolleg*innen tun, um mir zu helfen, wenn ich meinen Mut verliere?
- Welches wertschätzende Verhalten mir gegenüber hat mich in den letzten Monaten am meisten gefreut? (Wenn dir an dieser Stelle kein Beispiel einfällt, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass ihr in eurer Organisation mehr Raum für Wertschätzung braucht. Zusätzlich kannst du natürlich auch im Privaten dein Bedürfnis nach Wertschätzung erfüllen.)
- Was ist meine bevorzugte Sprache der Wertschätzung?
2. Teilt nun in der großen Runde eure Sprachen der Wertschätzung und nennt ein bis zwei Beispiele, über die ihr euch besonders freut. Eine Person sollte die Ergebnisse schriftlich festhalten.
3. Reflektiert anschließend gemeinsam zu den folgenden Fragen:
- Wie unterscheiden sich unsere Sprachen der Wertschätzung voneinander? Wo ähneln sie sich?
- Auf einer Skala von 1 (überhaupt nicht gut) bis 10 (außerordentlich gut): Wie gut klappt es damit, dass mir meine Kolleg*innen Wertschätzung in meiner bevorzugten Sprache der Wertschätzung ausdrücken?
- Ist das Ergebnis stimmig oder wünsche ich mir etwas anderes? Wenn ja, was?
4. Haltet konkrete nächste Schritte fest, wie ihr eure eigenen Wünsche besser ausdrücken und die der anderen besser erfüllen könnt.
Ein Werkzeugkasten voller Wertschätzung
Die Sprachen der Wertschätzung können ein nützliches Tool für Teams sein, ihre Beziehungen zu stärken und sich zu verbinden. Jedoch solltet ihr auch die Grenzen des Möglichen und Nötigen im Auge behalten: Nicht alle Sprachen der Wertschätzung müssen jederzeit gesprochen werden. Es wird Phasen geben, in denen ihr aneinander vorbei redet, und das ist vollkommen okay. Unsere Arbeitsbeziehungen sind letzten Endes nur ein Teilbereich der Beziehungen, die uns im Leben prägen und ausmachen. Trotzdem können die Sprachen der Wertschätzung ein Aufhänger sein, um sich regelmäßig als Team zu fragen, wie wertgeschätzt sich alle fühlen. So könnt ihr euch sprachlich besser miteinander verbinden.
FUßNOTEN
- 1
Uwe Döring-Katerkamp & Dieter Rohrmeier: Wertschätzungs-Index Deutschland (2016) ↩
- 2
NWX Magazin: Viele Deutsche vermissen Wertschätzung im Job (2023) ↩