Etwa die Hälfte der offenen Stellen wird unter der Hand vergeben. Um Zugang zu diesem verdeckten Arbeitsmarkt zu bekommen, kommt es auf zwei Dinge an: herauszufinden, was du wirklich gerne tun möchtest – und möglichst viele Menschen kennenzulernen, die in diesem Bereich arbeiten.
Viele verzweifeln an der Jobsuche. Immer häufiger machen Jobsuchende die Erfahrung, dass sie auf ihre Bewerbungen keine Antwort erhalten. Und hinter einigen Stellenangeboten verbirgt sich in Wirklichkeit gar kein Job. Bei schätzungsweise 18 bis 22 Prozent der ausgeschriebenen Stellen handelt es sich um sogenannte Ghost Jobs, die Arbeitgeber*innen ausschreiben, obwohl sie die Positionen gar nicht oder zumindest nicht mit externen Bewerber*innen besetzen wollen. Auf der anderen Seite werden viele Stellen gar nicht ausgeschrieben, sondern über Kontakte besetzt. Nach Schätzung von Expert*innen trifft das auf mindestens 50 Prozent der freien Stellen zu.
Aus dieser Perspektive betrachtet, ergibt es gar nicht so viel Sinn, dass Jobsuchende ihre Tage damit verbringen, möglichst viele Bewerbungen zu tippen.
Stellenanzeigen sind keine Jobs
Hinzu kommt, dass Stellenanzeigen keine Jobs sind, sondern maximal gewissenhaft erstellte, aber doch immer irgendwie lückenhafte Beschreibungen von Jobs. Oft ist die Arbeit ganz anders als in der Anzeige beschrieben.
Arbeitsuchende passen ihren Lebenslauf mit viel Mühe auf die Stelle an, verbiegen und verstellen sich, geben sich „flexibel, engagiert und teamfähig“. Unternehmen auf der anderen Seite entwickeln immer komplexere, oft mehrmonatige und damit teure Bewerbungsprozesse. Und zum Schluss landet derdie vermeintlich beste Bewerberin in einem Job, der überhaupt nicht zu ihm*ihr passt. Beide Seiten bekommen nicht das, was sie wollen.
Dabei sollte es eigentlich darum gehen, den Job zu finden, der einerm liegt und zu einerm passt. Das klappt vor allem dann, wenn Jobsuchende genau wissen, wonach sie suchen.
Warum gibt es überhaupt Ghost Jobs?
Die Suche nach Arbeit auf den Kopf stellen
Das Flipped-Job-Market-Konzept von Cathy Narriman und Juliane Berghauser Pont bietet einige Methoden, mit denen das gelingt1:
Mache dir bewusst, was du wirklich gerne tust!
Statt darauf zu hoffen, dass in einer Stellenanzeige genau deine Fähigkeiten gesucht werden, mache dir erst einmal selbst bewusst, was du gerne in einen Job einbringen möchtest.
Tatsächlich fällt es vielen Menschen schwer, ohne Einschränkungen darüber nachzudenken, womit sie sich so richtig gerne beschäftigen. Viel zu schnell verstellen Kategorien wie Berufe, Branchen und die eigene Biografie die Sicht. Dabei sind diese Kategorien oft erstaunlich begrenzend, undeutlich und sogar hinderlich: Hat jemand Jura studiert, stellt sich diese Person womöglich automatisch einen Beruf als Strafverteidigerin im Gericht vor. Doch ihre Möglichkeiten sind viel vielfältiger: Viele Juristinnen arbeiten in großen Konzernen, als Unternehmensberaterinnen, in der Politik oder als Journalistinnen und sind beruflich nie im Gericht unterwegs.
Um dir bewusst zu machen, was du wirklich gerne tust, nimm dir Zeit, versuche alle Kategorien außen vor zu lassen, und beantworte möglichst offen folgende Fragen.

Fragen, die dir helfen, herauszufinden, was du gerne tust
- Welche Themen und Bereiche interessieren mich wirklich? Worüber lese ich gerne Texte oder schaue gerne Videos an, obwohl diese vielleicht nichts mit meinem bisherigen Job zu tun haben?
-> Du hast schon dein ganzes Leben lang ein Interesse an Mode? Was genau findest du daran spannend? Geht es dir um die Funktionsweise der Textilwirtschaft, um Nachhaltigkeit, um Lieferketten, um Medien, Bildung, Forschung oder vielleicht um die Chemie im Herstellungsprozess? Überlege dir genau, was dich an einem Thema interessiert. Fokussiere dich am besten erst einmal auf einen Bereich. Wenn das unmöglich ist, dann lege im nächsten Schritt für jeden Bereich eine eigene Mindmap an.
- Welche Interessen und Fähigkeiten nutze ich so richtig gerne? Welche meiner Stärken möchte ich einsetzen?
-> Mache dir bewusst, bei welchen Tätigkeiten die Zeit wie im Flug vergeht. Vielleicht merkst du, dass du es immer genießt, mit vielen Menschen zu kommunizieren und unterschiedliche Personen zusammenzubringen. Trage zusammen, was du an Stärken und Wissensbeständen bereits mitbringst und beruflich einsetzen möchtest.
- Welche Kombination aus Inhalten und Fähigkeiten ist mir wichtig? Worauf kommt es mir an?
-> Schreibe dir beides auf: dein Thema und deine Fähigkeiten, die du in den Job einbringen möchtest. Anstelle von Branchen oder Berufsbezeichnungen hast du nun neue Kategorien gefunden, die du nutzen kannst, um deinen zukünftigen Job zu finden.
Verschaffe dir einen ersten Überblick über dein Thema
Du hast also einen Bereich gefunden, in dem du gerne arbeiten willst. Vielleicht ist es der Bereich, in dem du ohnehin schon gearbeitet hast, vielleicht ist es ein verwandter Bereich oder ein ganz anderer. Nun geht es darum, diesen Bereich ausführlich und mit Offenheit zu erkunden. Sammle möglichst viele Informationen über die Menschen, Orte und Situationen rund um dein Thema: Welche Unternehmen und Menschen sind in diesem Bereich tätig? Wo werden Medienberichte darüber veröffentlicht? Welche Institutionen kümmern sich um die Regulierung? Es geht noch nicht darum, passende Stellen zu suchen, sondern um eine Erkundung des Feldes, die bewusst ziellos gestaltet wird.
Erstelle eine Mindmap mit deinen Recherche-Ergebnissen.

Fragen für deine Mindmap
- Welche Institutionen gibt es in der Verwaltung dazu?
- Welche politischen Institutionen oder Personen beschäftigen sich mit dem Bereich?
- Welche Verbände gibt es?
- Wer forscht, schreibt oder berichtet dazu?
- Wer produziert, stellt her oder verkauft dazu?
- Wer beschäftigt sich auf künstlerischer Ebene mit dem Bereich? (Musik, Kunst, Theater...)
- Wer nutzt den Bereich auf andere Weise?
Sprich mit möglichst vielen Menschen
Nun geht es darum, wirklich in die Realität des Arbeitsbereichs einzutauchen, den du ausgewählt hast. Sprich dafür mit möglichst vielen Menschen, die bereits in diesem Bereich arbeiten – ihre Erzählungen könnten sich grundlegend unterscheiden. Das Ziel ist nicht, durch diese Gespräche sofort den nächsten Job zu finden, sondern möglichst ergebnisoffen zu erfahren, wie unterschiedliche Tätigkeiten und Organisationen in diesem Feld aussehen. Der einfachste Weg, um erste Gesprächspartner*innen zu finden, führt meistens über den eigenen Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis: Frag’ doch einfach mal rum, wer jemanden kennt, der*die beispielsweise mit Kreislaufwirtschaft in der Lebensmittelproduktion arbeitet. Schreibe deinem*deiner potenziellen Gesprächspartner*in am besten eine ehrliche Mail: Du interessierst dich für seinen*ihren Job, weil du herausfinden möchtest, ob dieser Bereich möglicherweise auch für dich zukünftig interessant sein könnte.
Die Vorstellung, eine fremde Person um Hilfe zu bitten, löst bei dir Unsicherheit oder Ängste aus? Dann mache dir bewusst, wie du selbst reagieren würdest, sollte dich jemand zu deinem Job befragen wollen. Die meisten Menschen sind hilfsbereit und sprechen gerne über das, womit sie den ganzen Tag verbringen.
Das zweite Gespräch ergibt sich häufig schon einfacher als das erste. Lasse dir von deinem*deiner Gesprächspartner*in am besten gleich weitere Kontakte geben. Bedanke dich außerdem nach jedem der geführten Gespräche kurz per Mail und hinterlasse deine Kontaktdaten.

Fragen, die als Gesprächsleitfaden dienen können
- Wie sind Sie zu dem Job gekommen?
- Was gefällt Ihnen an dem Job besonders gut?
- Was gefällt Ihnen an dem Job nicht so gut?
- Wie schätzen Sie die Jobchancen in dem Bereich ein?
- Was sind die Hauptaufgaben?
- Welche Eigenschaften und Fähigkeiten sollte man mitbringen?
- Kennen Sie weitere Ansprechpartner*innen?2
Die Lücke finden
Abschließend müssen die Informationen, die du sammeln konntest, mit den Kriterien aus dem ersten Schritt abgeglichen werden. Vielleicht kommen dir dabei schon erste Ideen, wo du deine Fähigkeiten einbringen könntest: Wo braucht jemand das, was du gerne machst? Wo erkennst du im Feld eine Lücke, die du füllen könntest?
Wenn du jetzt eine Bewerbung schreibst, um deine Arbeit anzubieten, ist diese viel zielgerichteter als es jede Initiativbewerbung vorher je hätte sein können. Möglicherweise ist das aber gar nicht mehr notwendig, weil dir auf deiner Forschungsreise durch deinen Bereich tatsächlich von einem*einer Gesprächspartner*in schon eine Lücke genannt wurde, in die deine Fähigkeiten perfekt hineinpassen – oder dir wurde vielleicht sogar eine Rolle vorgeschlagen.

Wenn du jetzt eine Bewerbung schreibst, um deine Arbeit anzubieten, ist diese viel zielgerichteter als es jede Initiativbewerbung vorher je hätte sein können. Möglicherweise ist das aber gar nicht mehr notwendig, weil dir auf deiner Forschungsreise durch deinen Bereich tatsächlich von einem*einer Gesprächspartner*in schon eine Lücke genannt wurde, in die deine Fähigkeiten perfekt hineinpassen – oder dir wurde vielleicht sogar eine Rolle vorgeschlagen.
Diese Herangehensweise an den nächsten Schritt deines Arbeitslebens ist keine Garantie für einen neuen Job – sich wild auf Stellen bewerben allerdings auch nicht. Zumindest hast du nun ein klares Bild von dem Bereich, der dich interessiert, und dir Klarheit über deine Stärken und Interessen verschafft. Du hast deinen Blick weit geöffnet für die Möglichkeiten, die es gibt, und dir einen ersten Zugang zum verdeckten Arbeitsmarkt geschaffen. Dieses Wissen hilft dir in deinem nächsten Job – selbst wenn du ihn über eine ganz normale Bewerbung auf eine Stellenanzeige bekommst.
Inputgeber*innen
FUßNOTEN
- 1
Die Methoden von Flipped Job Market sind inspiriert vom Life-Work-Planning-Ansatz von Richard N. Bolles, integrieren aber auch transparent andere bewährte Theorieansätze, wie den Resonanzbegriff von Hartmut Rosa, und Methoden wie die von Maike Plath (Das Veto-Prinzip), in der es darum geht, zu echter Selbstverantwortung zu finden. ↩
- 2
Die Fragen stammen aus der sogenannten PIE-Methode, mit der Arbeitseinsteiger*innen ihre Berufswünsche konkretisieren können. Du kannst sie natürlich beliebig ergänzen. Die PIE-Methode unterscheidet drei verschiedene Gesprächstypen. P steht für die Probierphase, in der Gespräche geübt werden. I steht für die Informationsphase – also mit den Menschen zu sprechen, die bereits in dem Berufsfeld tätig sind, für das man sich interessiert. E steht für die Entscheider*innenphase, in der man sich mit Personalverantwortlichen unterhält, die über die Einstellung entscheiden können. Diese Herangehensweise unterscheidet sich leicht von der im Text beschriebenen und auch von den Methoden von Flipped Job Market. Der Gesprächsleitfaden allerdings kann hilfreich sein.
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