Drei Perspektiven, die deinen Blick aufs Finanzsystem verändern
Bei einem Verbrechen denken wir eher an einen bewaffneten Überfall als an Männer in Anzügen, die ihr Geld mit Finanzgeschäften verdienen. Der größte Steuerskandal der deutschen Geschichte, Cum-Ex, korrigiert dieses Bild: Etwa 40 deutsche Banken und über tausend Berater*innen, Börsenmakler*innen und Anwält*innen aus aller Welt haben den deutschen Staat um mindestens 32 Milliarden Euro bestohlen.1 Zum Vergleich: Die gesamte neapolitanische Mafia hat einen geschätzten Jahresumsatz von 4,2 Milliarden Euro.2
Wie der Finanzexperte und frühere Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick in seinem Buch Die Bank gewinnt immer (2020) schreibt, liegt aktuell in der Finanzwelt eine Menge im Argen. Sie wirkt in alle Lebensbereiche hinein und bleibt uns doch überwiegend verborgen. Höchste Zeit, genauer hinzusehen:
Kriminalität und Täuschung als Teil des Geschäfts
Schätzungen zufolge werden in Deutschland pro Jahr etwa 100 Milliarden Euro Schwarzgeld aus den Geschäften mit Drogen, Erpressung, Raub oder Prostitution investiert.3 Glaubhaft dagegen vorgehen tut niemand. Offensichtlich ist dem Finanzsystem ziemlich egal, wo das Geld herkommt, mit dem es arbeitet. Ein weiteres Beispiel, das zeigt, wie das System tickt:
Die meisten Anlageberater*innen beraten nicht, sondern verkaufen Finanzprodukte. Beispielsweise hochriskante ETFs als vermeintlich sichere Kapitalanlage oder Versicherungen, deren Policies die meisten Schadensfälle ausnehmen. Pro Abschluss kassieren Berater*innen eine Prämie. Ziel dieser Strategie sind oft Rentnerinnen, Kleinanleger*innen und Sparerinnen, die ohnehin nur ein geringes Kapital mitbringen. Von Angestellten der Postbank wurden sie in der Vergangenheit als „AD-Kunden“ („Alt und doof“) oder „Leos“ („Leicht erreichbare Opfer“) bezeichnet. 45

Erfolg für die Erfolgreichen
Die Wissenschaftlerin Donella Meadows hat die Formulierung Success to the successful geprägt, nach ihr haben also in der Zukunft meist die Erfolg, die in der Vergangenheit schon Erfolg hatten. Genau dies zeigt sich am Finanzmarkt, denn vor allem reiche Menschen haben Zugang zu kompetenten Berater*innen, die ihnen helfen, ihr ohnehin großes Vermögen weiter zu vermehren. Arme Menschen können es sich dagegen in der Regel nicht leisten, in wirklich rentable Anlagen zu investieren. Sie werden an vielen Stellen ausgebeutet. In extremer Form sieht man das an Produkten wie Konsumkrediten, die häufig von Menschen mit geringem Einkommen aufgenommen werden und sie bewusst in eine Schuldenspirale locken sollen: Als Banken getarnte Finanzdienstleister verdienen daran, dass Menschen ihr geringes Einkommen auf Zinszahlungen für überteuerte Kredite verwenden, die sie niemals werden abbezahlen können.
Hochfrequenzhandel und seine Folgen
50–70 Prozent der Handelsaktivitäten werden über Hochfrequenzhandel getätigt. Das System funktioniert so, dass Algorithmen und Softwares in Bruchteilen von Sekunden mehrere Trades machen. Das Problem: Wenn Anteile nur Mikrosekunden gehalten werden, hat das Ganze keinen volkswirtschaftlichen Nutzen, profitieren tun allein einige wenige und die Gewinne sind die Verluste derjenigen, die langfristig anlegen. Der Ökonom Paul Krugman vergleicht in der New York Times zwei Tunnelprojekte miteinander, die die Absurdität des Hochfrequenzhandels zeigen: Auf der einen Seite ein aufgrund zu hoher Kosten gekippter, aber dringend benötigter U-Bahn-Tunnel unter dem Hudson River nach New Jersey, um den öffentlichen Nahverkehr zu entlasten. Auf der anderen Seite ein Tunnel für Glasfaserkabel, der fast zur gleichen Zeit von dem Unternehmen Spread Networks für viele Millionen Dollar unter dem Hudson verlegt wurde. Und zwar nur, um die Internetverbindung zwischen der Wall Street und der Chicagoer Börse um drei Millisekunden zu verkürzen.6
Bildet euch und bildet Banden
Was das für uns als Individuen und als Teil von Organisationen bedeutet: Einerseits müssen wir genauer hinsehen. Wenn etwas so groß und mächtig ist wie die Finanzwelt, dann sollte allen Menschen bekannt sein, wie sie funktioniert und womit sie ihr Geld verdient. Und wer den Eindruck gewinnt, an den genannten Problemen sollte sich etwas ändern, kann mit dazu beitragen, indem er*sie sich mit Gleichdenkenden zusammenschließt und die Akteur*innen zur Rede stellt. Denn um unser Geldsystem zu verändern, braucht es vor allem eins: Druck aus der Gesellschaft – von jedem und jeder Einzelnen von uns.

FUßNOTEN
- 1
Finanzwende: CumEx. Ein nicht enden wollender Skandal (2022) ↩
- 2
Manager Magazin: Die fünf größten Mächte der Schattenwirtschaft (2014) ↩
- 3
Tagesspiegel: Justizsenator erhöht Druck auf Geldwäscher (2021) ↩
- 4
Spiegel Online: A für alt, D für doof (2009) ↩
- 5
Stiftung Warentest: Alte sind oft leichte Beute (2010) ↩
- 6
Süddeutsche Zeitung: Blitzjungs, die den ganzen Markt bewegen (2014) ↩