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Übernahme

Komoot-Gründer verkaufen an berüchtigten Tech-Konzern

Die Outdoor-App komoot galt als mustergültiges Tech-Unternehmen – nun wechselt es ihren Besitzer: Bending Spoons ist für rigorose Stellenkürzungen berüchtigt. Während die Gründer Millionen bekommen, müssen die Mitarbeiter*innen um ihre Jobs bangen.

Am Donnerstag ist die Übernahme der Outdoor-App komoot durch den italienischen Tech-Konzern Bending Spoons öffentlich geworden. Bending Spoons ist dafür berüchtigt, Unternehmen aufzukaufen und die Belegschaft zu entlassen. Für die Mitarbeiter*innen kommt dieser Schritt überraschend. Denn komoot galt als Unternehmen, dem das Wohlergehen der Mitarbeiter*innen wichtig ist.

komoot pflegte ein menschenzentriertes Image

Vor drei Jahren haben wir eine Case Study über das Remote-Unternehmen herausgebracht. Jonas Spengler, einen der Gründer, zitieren wir darin so: „Für uns ist Remote-Arbeit ein Erfolg, wenn unsere Mitarbeiter*innen sie als Vorteil ansehen“. Spengler betonte außerdem, wie wichtig regelmäßige persönliche Treffen seien – weshalb das Unternehmen dreimal im Jahr sechstägige Ausflüge für alle Mitarbeiter*innen ausrichtete.

In den Interviews für die Case Study betonten Mitarbeiter*innen damals, wie froh sie seien, dass komoot ihnen ermögliche, etwa in die Berge zu ziehen und von dort aus remote zu arbeiten. Orte, an denen es für gewöhnlich kein gutes Jobangebot für Entwickler*innen und Community-Manager*innen gibt.

Zudem gab sich das Unternehmen stolz über die vielen Mitarbeiter*innen. Schon 2022 waren es über 100. „Und jeden Monat kommen zwei bis vier Kolleg*innen dazu“, sagte die Unternehmenssprecherin Jördis Hille. Inzwischen sind es rund 150.

Das Muster ist dabei immer gleich. Bending Spoons kauft Tech-Unternehmen, setzt das Geschäft von Mailand aus fort und hält dabei höchstens 25 Prozent der Belegschaft. Meist werden sogar alle Mitarbeiter*innen entlassen.

„Für alle Gründer ist es wirklich geil, so eine Company zu bauen“

Im November 2021 war Markus Hallermann, einer der sechs Gründer, im OMR-Podcast zu Gast. Interviewer Philipp Westermeyer fragt ihn darin: „Was ist denn bei euch der Ausblick? Du hast gesagt, Internationalisierung ist ein Thema, verkaufen auf jeden Fall nicht, weitere Business Cases einbauen … Machst du den Job die nächsten zehn Jahre?“

Die Bemerkung, dass ein Verkauf keine Option ist, lässt Hallermann so stehen. „Ich hoffe, dass ich den Job weit länger als die nächsten zehn Jahre mache. Für alle Gründer ist es wirklich geil, so eine Company zu bauen und ein Problem für die User zu lösen. Unser Hauptthema ist es gerade, international zu skalieren und die Company wie auch das Produkt voranzubringen“, antwortet er.

Bending Spoons übernimmt Unternehmen, nicht Mitarbeiter*innen

Dass komoot nun aber doch verkauft und dann ausgerechnet an den Konzern Bending Spoons, ist überraschend.

Die Belegschaft erfuhr davon am selben Tag wie die Öffentlichkeit. Aus internen Quellen wissen wir, dass die Mitarbeiter*innen unter Schock stehen. Sie erfuhren erst in einem außerplanmäßigen, nur eine Stunde vorher angesetzten Meeting vom Verkauf. Verkündet wurde er von komoot-CEO Markus Hallermann, der auch gleich den neuen Eigentümer vorstellte. Nachfragen der Mitarbeiter*innen waren während des Meetings nicht erlaubt. Die Wirtschaftswoche hatte zuerst berichtet.

Zu den Gründen für den Verkauf sagt Hallermann in der Pressemitteilung, die von Bending Spoons herausgegeben wurde: „Was uns hierher gebracht hat, wird uns nicht auf die nächste Stufe bringen. Ein Unternehmen zu skalieren erfordert ein anderes Mindset und andere Fähigkeiten als ein Unternehmen aufzubauen.“ Deshalb sei Bending Spoons der perfekte Partner, um komoot in die Zukunft zu führen. Der CEO von Bending Spoons wiederum betont, dass die „Expertise“ und die „Plattform-Technologien“ des Konzerns komoot werden „helfen“ können.

Worin diese Hilfe genau besteht, ist ungewiss. Bending Spoons bestätigte die Anfrage in einem allgemeinen Schreiben. Da die Übernahme erst vor wenigen Tagen abgeschlossen wurde, könnten sie zu diesem Zeitpunkt keine weitere Informationen teilen. Komoot hat auf unsere Anfrage bislang nicht reagiert.

Was allerdings auffällt: In der Pressemitteilung wird kein Wort über die Mitarbeiter*innen verloren. Das passt ins Bild. Bending Spoons hat in den vergangenen Jahren mehrere Start-ups übernommen, darunter das digitale Notizbuch Evernote und den Filehosting-Dienst WeTransfer.

Das Muster ist dabei immer gleich. Nach der Übernahme setzt der Techkonzern das Geschäft von Mailand aus fort und kündigt mindestens 75 Prozent der Belegschaft. Meist werden sogar alle Mitarbeiter*innen entlassen 1 2 3 4.

Eine Tabelle mit den letzten Übernahmen durch Bending Spoons

Die Gründer profitieren

Wer vom Verkauf profitiert? Die sechs Gründer. Sie hielten die Mehrheit der Anteile von zuletzt 53 Prozent. Eine finanzielle Schieflage, die sie zum Verkauf gezwungen haben könnte, ist sehr unwahrscheinlich: Bis 2023 war das Barvermögen auf über 15 Millionen Euro angewachsen, der Umsatz lag damals bei 36 Millionen, der Gewinn nach Steuern betrug 2,5 Millionen Euro. Bisher ist nicht bekannt, wie viel Bending Spoons bezahlt hat. Aber der Verkaufspreis dürfte mindestens im zweistelligen Millionenbereich liegen.

Update (28.03.2025) – Interview mit ehemaligem Mitarbeiter:

„Es hat sich angefühlt, als hätten die Gründer mein*e Freund*innen verraten“

Tim Murray5 hat zweieinhalb Jahre als Senior Data Analyst bei der Outdoor-App komoot gearbeitet. Er kündigte kurz bevor komoot-CEO Markus Hallermann die Mitarbeiter*innen über den Verkauf an Bending Spoons informierte.

Am Tag nach der Bekanntgabe des Verkaufs schrieb Murray einen viel beachteten Beitrag auf LinkedIn.

Wir haben mit ihm gesprochen.

Eine Woche vor dem Verkauf war dein letzter Tag bei komoot. Hast du geahnt, dass es dazu kommt?

Nein, ich hatte keine Ahnung. Das war völliger Zufall.

Wie hast du dich gefühlt, als du davon erfahren hast?

Ich war überhaupt nicht glücklich. Es hat sich angefühlt, als hätten die Gründer mein*e Freund*innen verraten. Damit meine ich meine ehemaligen Kolleg*innen, wir stehen uns alle sehr nahe, aber auch die Outdoor-Community insgesamt.

Ich war überhaupt nicht glücklich. Es hat sich angefühlt, als hätten die Gründer mein*e Freund*innen verraten.
Tim Murray, ehemaliger Mitarbeiter

In deinem vielbeachteten Beitrag auf LinkedIn schreibst du: „Corporate greed is why we can't have nice things.“ Kannst du erklären, was du damit meinst?

Mit „nice things“ meine ich komoot als Produkt und als Arbeitgeber. „Corporate greed“ bezieht sich auf die Entscheidung der Gründer, an einen Konzern zu verkaufen, der den Profit über alles stellt und bekannt dafür ist, die Mitarbeiter*innen, die das Produkt aufgebaut haben, rücksichtslos zu feuern. Im Fall von komoot heißt das, Menschen zu kündigen, die weit in die Natur hinaus gezogen sind. Einige von ihnen müssen nun wieder umziehen, weil sie keine anderen Jobs in der Gegend finden werden.

Wir haben viele deiner Kolleg*innen kontaktiert. Doch zum jetzigen Zeitpunkt möchte niemand zitiert werden. Stehst du in Kontakt mit deinen ehemaligen Kolleg*innen? Wie geht es ihnen?

Ich werde nicht im Namen der aktuellen Mitarbeiter*innen sprechen.6

Was ich aber sagen kann: 150 Leuten wurde ihr Traumjob weggenommen. Damit meine ich nicht, dass mit Sicherheit allen gekündigt wird. Was ich meine ist, dass die Unternehmenskultur sich bis zur Unkenntlichkeit verändern wird. Ich wusste nicht, dass der Exit kommt, aber die Gründer wussten es, und sie haben noch bis kurz vor der Übernahme Leute eingestellt. Leute, die ihre sicheren Jobs für komoot aufgegeben haben. Ich finde das ethisch nicht vertretbar.

In der Vergangenheit hat Bending Spoons nach Übernahmen 75-100 Prozent der Belegschaft entlassen. Glaubst du, das Schicksal wird auch deine ehemaligen Kolleg*innen ereilen?

Wie du sagst, in der Vergangenheit ist Bending Spoons so vorgegangen. Doch ich hoffe natürlich, dass sie merken, wie kompliziert das Produkt ist und dass sie mehr Leute brauchen. Das setzt aber voraus, dass die Leute überhaupt für Eigentümer arbeiten wollen, die sich mehr um das Geld sorgen als um die Mission.

Du glaubst also nicht, dass Nutzer*innen von der Übernahme profitieren werden?

Nein.

Das Unternehmen bestand aus 150 Leuten, die leidenschaftlich die Mission verfolgt haben, „Abenteuer für jeden zugänglich zu machen“. Ich habe noch nie eine Gruppe an Menschen getroffen, denen ihr Tun so wichtig war. Wir lebten und atmeten das Produkt. Wir arbeiteten jahrelang für Gehälter unter Marktniveau, weil uns das Produkt wichtiger war als Geld. So engagierte Leute braucht es, wenn du willst, dass ein Unternehmen erfolgreich ist. Die Nutzer*innen merken es, wenn das Produkt von Leuten gebaut wird, die das Hobby gar nicht kennen.

Bending Spoons übernimmt also nicht nur einen Service, sondern eine Community.

In der Vergangenheit hat Bending Spoons File-Sharing- und Notizbuch-Apps übernommen. Meiner Einschätzung nach haben die gar keine Ahnung von der Komplexität des Produkts, was auch die Entwicklung deutlich verlangsamen und komoot hinter die Konkurrenz zurückfallen lassen wird. Außerdem rechne ich mit Preissteigerungen und mehr Paywalls.

Ich habe noch nie eine Gruppe an Menschen getroffen, denen ihr Tun so wichtig war. Wir lebten und atmeten das Produkt. Wir arbeiteten jahrelang für Gehälter unter Marktniveau, weil uns das Produkt wichtiger war als Geld.
Tim Murray

Was glaubst du wird sich noch ändern?

Wir haben rollstuhlgerechte Routen zusammengestellt. Nicht weil es profitabel war, sondern weil wir „Abenteuer für jeden zugänglich“ machen wollten. Ich gehe zudem davon aus, dass sie nicht mehr so viel Zeit und Geld in den Naturschutz investieren werden: Wir haben bei der Routengestaltung eng mit Naturschützer*innen und Nationalparks zusammengearbeitet. Es gab Warnungen, wenn Nutzer*innen Schutzgebiete betraten, und Ratschläge, wie man sich dort verhalten soll.

Wir haben das getan, weil es uns wichtig war, nicht weil es uns Geld einbrachte.

Ich mache mir Sorgen um die Zukunft des Produkts, denn wenn Geld die oberste Priorität hat und die Menschen entlassen werden, denen das Produkt am Herzen liegt, dann schadet das den Nutzer*innen und der Natur.

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