Sprache ist unser wichtigstes Werkzeug in der Welt der Neuen Arbeit. In dieser Kolumne zeigen wir, wie sie sich noch ein bisschen sinn- und verantwortungsvoller einsetzen lässt. Diesmal: Auch „klitzekleine“ Fragen, die angeblich nur eine Minute dauern, reißen uns aus der Konzentration heraus. Wie stellen wir Anfragen so, dass sie den Fokus der anderen Person respektieren?
Manchmal, wenn ich Texte schreibe, komme ich in eine ganz besondere Stimmung. Ich nehme nichts mehr um mich herum wahr, Worte erscheinen wie von selbst auf dem Bildschirm, Absätze werden auseinandergerissen und neu zusammengesetzt, bis sich Stück für Stück – „Sorry, dass ich störe, *räusper*, kann ich dich kurz etwas zu den Zahlen hier fragen? Dauert nur ’ne Minute.“ Was? Wie? Wo? Ich nehme meinen rechten Kopfhörer heraus, sage „einen Moment“, während ich den Satz zu Ende tippe, und höre mir dann mit halbem Ohr das Anliegen an. Das ist – wie sich herausstellen wird – natürlich nicht in einer Minute erledigt. Nach einer halben Stunde widme ich mich entnervt wieder meinem Text. Doch ich komme nicht mehr rein ins Schreiben. Die ganz besondere Stimmung ist verpufft.
Solche Situationen erleben viele von uns jede Woche. Sie beginnen mit Sätzen wie: „Hast du mal ’ne Minute?“, „Klitzekleine Frage …“, oder „Kannst du hier mal ganz kurz drüberschauen?“ – und enden mit Frust darüber, dass wir viel Zeit und Aufmerksamkeit in die Prioritäten anderer investiert haben. Dabei wissen eigentlich alle Beteiligten, dass genau das passieren wird. Als Fragesteller*in weiß ich, dass mein*e Kolleg*in mein Anliegen nicht „in nur einer Sekunde (versprochen!)“ bearbeiten kann – und er*sie weiß das ebenfalls. Warum sagen wir also: „Hast du mal ’ne Minute?“, wenn wir eigentlich meinen: „Kannst du meine Prioritäten für eine halbe Stunde über deine stellen – und zwar genau jetzt?“

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Magazin kostenlos lesenDer Unterbrechungskreislauf
Meist steckt dahinter keine böse Absicht und wir reflektieren den Euphemismus nicht. Die Unterbrechung ist uns unangenehm, weil wir unserem Gegenüber keine zusätzliche Arbeit aufhalsen möchten. Also beschönigen wir den Aufwand, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, Hilfe zu bekommen. Was auch immer der Grund sein mag: Langfristig etablieren wir so Unterbrechungen, fehlende Autonomie und unpräzise Kommunikation in unserer Arbeitskultur. Die Person, die du heute um eine „klitzekleine Kleinigkeit“ bittest, wird morgen bei einer anderen Person genau das Gleiche tun, und es wird immer schwerer, zu der Kleinigkeit Nein zu sagen, weil sie, na ja, eben so klitzeklein ist und dir ja schließlich auch geholfen wurde. Für diesen Artikel habe ich mich gefragt: Wie klingt eine realistische Anfrage, die den Fokus der anderen Person respektiert? Und können wir die Anzahl der Unterbrechungen im Team grundsätzlich verringern?

Halte Ausschau nach diesen Indizien
Hörst du die folgenden Sätze regelmäßig oder nutzt sie selbst? Dann könntest du hinterfragen, ob ihr eure Unterbrechungen im Team anders gestalten und formulieren möchtet.
Alarm, Alarm!
- „Ich brauche mal ganz schnell deinen Input!“
- „Kannst du mir schnell sagen, ob XY?!“
Aus eigener Erfahrung: Oft benutzt man solche Sätze, wenn man gerade selbst gestresst ist. Dann scheint es viel einfacher „nur mal kurz“ über den Tisch hinweg eine Frage zu stellen, als – seien wir mal ehrlich – einfach selbst nachzuschauen. Du solltest dich, bevor du andere Menschen in Alarmbereitschaft versetzt, noch einmal ganz ehrlich fragen, ob du dir die Information auch selbst beschaffen kannst. Falls nicht, können dir Prüffragen dabei helfen, die Dringlichkeit realistisch zu beurteilen, z. B.: „Entsteht Schaden, wenn ich die Sache nicht jetzt sofort kläre?“ oder „Kann ich meine Arbeit wirklich nicht weitermachen, ohne diese Person zu stören?“ Das ist Teil einer wertschätzenden Haltung und Kommunikation, bei der du dir bewusst bist, dass die Zeit deines Gegenübers genauso wichtig ist wie deine. Du könntest außerdem statt der direkten persönlichen Ansprache auf eine asynchrone Kommunikation ausweichen (z. B. bei Slack), bei der die Person Kontrolle darüber hat, wann sie auf deine Anfrage reagieren möchte.
Verantwortungsversteck
- „Ich weiß nicht, ob du die richtige Ansprechpartnerin bist, aber …“
- „Die Chance ist gering, aber weißt du zufällig, ob …?“
Überlege dir vor einer Anfrage, ob du wirklich die richtige Person ansprichst. Ein guter Indikator, dass du diesbezüglich noch nicht genug Klarheit hast, sind Formulierungen wie „Weißt du zufällig, ob …“, oder „Wahrscheinlich bist du da nicht die richtige Ansprechperson, aber …“ Kläre vorab, wer relevante Ansprechpartner*innen sind, und hole alle Informationen ein, die du brauchst, um eine Anfrage zu stellen. Diese Verantwortung liegt bei dir als Sender*in. Wenn du Klarheit hast, drücke das ruhig auch so aus: „Ich brauche eine Information von dir in deiner Rolle ‚Transparenzmaster‘.“
Die Kleinigkeit, die keine ist
- „Hast du mal ’ne Minute?“
- „Klitzekleine Frage“
Viele Anfragen beinhalten die Formulierung „klitzekleine Kleinigkeit“. Das weckt eine kaum erfüllbare Erwartung, denn meistens ist der Aufwand deutlich größer als angekündigt. Und selbst wenn es sich tatsächlich nur um eine klitzekleine Kleinigkeit handelt, ignorieren wir den Aufwand der anderen Person, danach wieder konzentriert arbeiten zu können. Besser ist es, die Anfragen nicht von vornherein kleinzureden, sondern ein gewünschtes Ergebnis zu formulieren und der anderen Person dann zu überlassen, den Bearbeitungsaufwand dafür einzuschätzen. Das klingt zum Beispiel so: „Hi, ich habe eine Bitte: Kannst du mich bei dem Projekt A mit der Recherchearbeit unterstützen? Ich bräuchte als Ergebnis 3 bis 5 Studien zum Thema X.“

Die Frage, die keine ist
- „Darf ich dich kurz unterbrechen …“ (fünfminütiger Monolog)
- „Magst du mir kurz dabei helfen …“ (fünfminütiger Monolog)
Kennst du das auch? Gerade eben fragt ein*e Kolleg*in noch, ob du ihm*ihr bei einer Aufgabe helfen könntest, und plötzlich ergießt sich ein Monolog mit ellenlangen Problembeschreibungen über dich. So schränken wir die Autonomie unserer Kolleg*innen ein.
Wenn du eine Bitte um Unterstützung hast, gib der anderen Person auch den Entscheidungsspielraum, die Bitte abzulehnen. Unabhängig davon, wie dringend es uns in manchen Momenten vorkommen mag: Keine*r im Team ist dazu verpflichtet, in regelmäßigen Abständen bei Aufgaben auszuhelfen. Eine ergebnisoffene Anfrage kann sich zum Beispiel so anhören: „Ich sehe, du bist gerade beschäftigt. Kann ich dir kurz sagen, was ich brauche, und dann entscheidest du, ob du mir helfen kannst? Oder wäre es dir lieber, dass ich später wiederkomme, falls ja: wann?“
Warum, weshalb, wieso?
- „Tust du X schnell für mich?“
- „Kannst du schnell mit Y reden?“
Eine Anfrage wird deutlich angenehmer, wenn sie von Anfang an alle relevanten Informationen enthält. Wenn ich eine Kollegin beispielsweise frage: „Kannst du mir schnell unsere Umsatzzahlen sagen?“, muss sie erst mal zurückfragen, auf welches Produkt und welchen Zeitraum ich mich beziehe. Besser wäre eine Formulierung wie: „Hey, kannst du mir bis 14 Uhr die Umsatzzahlen unseres Magazins von den letzten sechs Monaten sagen? Ich brauche sie dringend für unseren Finanzbericht.“ Mit dieser Formulierung stelle ich für die andere Person Klarheit her, und sie kann durch die Kontextualisierung besser einschätzen, wie dringend es ist und wofür die Arbeit überhaupt gemacht wird. Wenn es nicht dringend ist, sollten wir als Sender*in darüber ebenfalls Transparenz herstellen.
Danke!
- „Ich weiß deine Hilfe sehr zu schätzen.“
- „Danke für deine Unterstützung.“
Natürlich gibt es sie: die seltenen (tatsächlichen) Notfälle, in denen diese Tipps wenig bringen, und es wirklich so richtig, richtig dringend ist. In solchen Fällen kann es helfen, neben der Dringlichkeit mindestens genauso viel Dankbarkeit ausdrücken. Das kommt nämlich oft zu kurz: „Mir ist bewusst, dass du genug andere Aufgaben hast und ich dir gerade zusätzlichen Stress verursache. Deshalb ein großes Danke, dass du mich trotzdem unterstützt.“ Solche kleinen Worte der Wertschätzung schaffen Verbindung und zeigen unserem Gegenüber, dass wir seine*ihre Arbeit nicht für selbstverständlich nehmen.
Entwickelt Strategien für fokussiertes Arbeiten
Eine gewisse Verantwortung dafür, wie Unterbrechungen ablaufen, liegt natürlich auch bei uns. Wenn ein*e Kolleg*in ein Gespräch beginnt, während ich eigentlich lieber in Ruhe weiterarbeiten möchte, sollte ich rechtzeitig meine Grenze ziehen. Das kann sich zum Beispiel so anhören: „Ich möchte meine Aufgabe noch in Ruhe fertig machen. Danke für dein Verständnis“ oder „Das Gespräch dauert etwas länger, als ich dachte. Kannst du später noch mal auf mich zukommen?“ Manchmal besteht das Problem aber gar nicht darin, wie die Unterbrechungen ablaufen, sondern dass sie zu regelmäßig stattfinden. Falls du zu oft deine Grenzen ziehen musst, kann es sich daher lohnen, im Team einen Austausch zu den folgenden Fragen anzustoßen:
Fragen für mehr fokussiertes Arbeiten im Team
Lest euch die folgenden Fragen erst einzeln durch und schreibt eure (individuellen) Antworten auf:
- Wann werde ich in der Regel unterbrochen? Gibt es bestimmte Phasen in meinem Arbeitstag, in denen ich häufiger bzw. seltener unterbrochen werde?
- Bei welchen Tätigkeiten und auf welche Weise stört es mich besonders, unterbrochen zu werden? Bei welchen Tätigkeiten und auf welche Weise ist es in Ordnung?
- „Wir wahren die Autonomie des*der Einzelnen“: Was heißt das übertragen auf unser Team?
Tauscht euch dann gemeinsam über die Antworten aus:
- Was fällt uns beim Vergleichen der Antworten auf? Wo gibt es Gemeinsamkeiten? Wo gibt es Unterschiede?
- Können wir ein gemeinsam anerkanntes Problem definieren? (Z.B.: Wir unterbrechen uns vor allem vormittags zu regelmäßig, sodass fokussiertes Arbeiten kaum möglich ist.)
- Was ist ein Konsens, auf den wir uns einigen können? (Z.B. Festlegen von organisationsübergreifenden Fokuszeiten, in denen keine Meetings und keine Kommunikation stattfinden)
Nutzt euren Austausch als Basis für nächste Schritte und Projekte. Legt außerdem Rollen und Personen fest, die nach zwei bis vier Wochen überprüfen, ob sich etwas verändert hat.