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Eine Collage aus einem Kirchengemälde mit Mönchen und Engeln im Hintergrund und einem Spendenschein in Höhe von 1,5 Mio. €. Spendenzweck: Irgendwas mit kranken Kindern
Milliarden vs. Milliardäre

Philanthropie ist nicht die Lösung

Eigentlich blicken wir bei Neue Narrative eher auf die halb vollen als auf die halb leeren Gläser. Aber heute wollen wir die Aufmerksamkeit auf ein Thema lenken, das uns wütend macht. Diesmal ist es die Philanthropie und das mit ihr verbundene Stiftungswesen.

In Deutschland besitzen die reichsten 5 Prozent mit über 10 Billionen Euro etwa so viel wie die übrigen 95 Prozent.1Eine Billion entspricht übrigens einer Million Millionen. Global betrachtet, sehen die Verhältnisse ähnlich aus.

Das ist ein Problem. Denn extremer Reichtum wirkt auf vielen Ebenen toxisch auf eine Gesellschaft. Extrem reiche Menschen sind zu großen Teilen verantwortlich für die ökologischen Probleme unserer Zeit, allen voran die Klimakrise. Denn heutige Vermögen sind das Ergebnis wirtschaftlicher Tätigkeit in der Vergangenheit. Jeder Euro Vermögen ist also direkt verbunden mit Emissionen, die in die Atmosphäre gingen.2Und diese Praxis setzt sich fort: Auch heute ist das Vermögen der Reichsten zum allergrößten Teil in klimaschädliche Anlagen investiert. In der EU beispielsweise klassifizierten sich 2022 nur etwa 4 Prozent aller Fonds als klimapositiv, der Rest wirkt unterm Strich negativ.

Dazu kommt der Konsum der Überreichen: Die direkten Emissionen, die aus dem Lifestyle der Reichsten resultieren, sind absurd hoch. Das reichste Prozent der Weltbevölkerung ist für so viele Emissionen verantwortlich wie die ärmeren zwei Drittel der Menschheit. Für einen großen Teil der Menschheit ist Fliegen undenkbar. Für einen kleinen Teil kommt oberhalb der ersten Klasse noch die eigene Suite im Flugzeug – oder direkt der Privatjet.

Es sieht also so aus: Einige wenige Menschen besitzen fast alles und zerstören damit unsere Lebensgrundlagen, während der Großteil fast nichts besitzt. Aber wenn wir das doch alles wissen, wieso lassen wir es uns dann gefallen?

Das hat viel mit einem der Narrative zu tun, die uns erfolgreich eingehämmert wurden: Dass der extreme Reichtum einiger uns doch allen zugutekäme. Reiche schaffen Arbeitsplätze, sie investieren und helfen so, neue Technologien zu entwickeln – und sie setzen sich für gemeinnützige Zwecke ein, schließlich sind viele von ihnen Philanthropen.

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Kann es einen reichen Menschenfreund geben?

Allein schon der Begriff Philanthropie ist eine Anmaßung: Warum sollte es jemanden zum Menschenfreund machen, wenn er*sie einen kleinen Teil seines*ihres riesigen Vermögens spendet, dabei aber den Großteil für sich behält und jedes Jahr reicher wird?

Eine Hand, die eine Münze zwischen Daumen und Zeigefinger hält. Sie wirft die Münze in eine Spardose, die die Form eines Amtsgebäude trägt.

Denn was viele nicht wissen: Die Großzügigkeit der Reichsten wird uns zwar gern als besonders groß verkauft, tatsächlich nimmt sie nach oben hin aber ab. Menschen mit hohen Einkommen spenden zwar mit höherer Wahrscheinlichkeit als Menschen mit geringen Einkommen. Die Menschen mit geringen und normalen Einkommen, die spenden, spenden relativ gesehen jedoch mehr als die, die wirklich viel haben.

Wie fändest du es, wenn jedes Mal, wenn du irgendwo einen Euro spendest, eine Gala für dich ausgerichtet und deine Großzügigkeit in den Medien gefeiert würde? Wahrscheinlich recht albern. Für viele Überreiche ist das jedoch Realität. Denn wenn ein Multimilliardär wie Mark Zuckerberg eine Million Euro spendet, macht ihn das nicht zum Menschenfreund, sondern ist in etwa so, wie wenn eine Person, die 100.000 Euro besitzt, einen Euro spendet.

Ein Menschenfreund ist für mich jemand wie Chuck Feeney, der Mitgründer der Duty Free Shoppers Group, der seine Milliarden still und heimlich weggab und ein bescheidenes Leben führte. Menschen wie Bill Gates nennen ihn als Vorbild, ohne allerdings ihren Worten Taten folgen zu lassen. Bill Gates könnte morgen entscheiden, sein Vermögen aufzugeben und gemeinnützig zu widmen. Tut er aber nicht.

Aber ist es denn nicht trotzdem gut, wenn Reiche z.B. Stiftungen gründen, weil sie sich für das Gemeinwohl engagieren wollen? Dass sie wenigstens einen Teil ihres Vermögens aufwenden, um Projekte zu finanzieren, die nicht dem Profit dienen? Auch hier lohnt es sich, genauer hinzusehen.

Autor*innen wie Anand Giridharadas haben darauf hingewiesen, dass Philanthropie schon immer vor allem ein Rechtfertigungsmechanismus war. Würden die Reichsten nichts zurückgeben, würden die Menschen die Ungleichheit auch nicht akzeptieren und fairere Verhältnisse einfordern.

Zwei römische Säulen. Die eine steht erhöht und ist angeschnitten. Die linke lehnt an der höhergestellten Säule und ist im Begriff auseinanderzufallen.

Das ist nicht immer ganz leicht zu erkennen. Es finden sich aber genug Beispiele, in denen dieser Mechanismus auf perverse Weise offen zutage tritt. Nehmen wir mal die US-amerikanische Milliardärsfamilie Sackler. Mit ihrem Unternehmen Purdue Pharma ist sie hauptsächlich verantwortlich für die Opioidkrise3in den USA. Ihr Geld hat sie zu Lasten Hunderttausender (!) Toter verdient. Zugleich finanzierten sie vor ihrer Insolvenz über ihre Stiftungen öffentlichkeitswirksam Museen, um sich reinzuwaschen.

Auch die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, die unbestritten viel Gutes tut, hat in einer demokratischen Gesellschaft eigentlich nichts verloren. Nicht Privatmenschen mit ihren persönlichen Präferenzen, sondern gewählte Volksvertreter*innen sollten entscheiden, welche Krankheiten erforscht und welche Probleme gelöst werden.

Wir brauchen keinen Neo-Feudalismus

Denn Philanthropie ist schlicht und ergreifend undemokratisch. Spenden und Stiftungen ermöglichen Überreichen, Steuern zu sparen und ihre Gelder direkt in Zwecke fließen zu lassen, die ihnen genehm sind. Aber wenn Reiche darüber entscheiden, wie das Gemeinwesen aussehen soll, dann ist das keine Weiterentwicklung einer demokratischen Gesellschaft, sondern schlicht eine Reise in die Vergangenheit. Es ist Neo-Feudalismus, also eine Gesellschaft, in der ein Großteil der Bevölkerung auf die Gunst einer kleinen Gruppe angewiesen ist, die frei entscheiden kann, ob sie eine Schule baut oder einen Palast.

Aber wir haben für uns als Gesellschaft klar definiert, wie wir das Gemeinwesen organisieren: demokratisch, mit gewählten Vertreter*innen und einer öffentlichen Infrastruktur, die allen zugute kommt. Damit das funktioniert, dürfen wir die Reichsten nicht aus der Verantwortung entlassen, entsprechend ihrer Möglichkeiten zum Gemeinwohl beizutragen, und uns stattdessen von ihrer Gunst abhängig machen.

Denn Demokratie heißt, dass alle repräsentiert sind und jede Stimme gleich viel zählt. Doch Reiche haben allein durch ihr Vermögen unverhältnismäßig viel mehr Einfluss als der Großteil der Bevölkerung. Und diese Schieflage spitzt sich immer weiter zu. Die aktive Beeinflussung zivilgesellschaftlicher Prozesse z.B. über Stiftungen verschärft das noch. Und das bedeutet für fast alle Menschen eine Verschlechterung.

Zumal Reiche oft sehr weit weg von der Lebensrealität der allermeisten Menschen sind. Deswegen können sie gar nicht gut für uns alle entscheiden, selbst wenn sie das wollen. Viele von ihnen fühlen sich zum Beispiel von der Klimakrise viel weniger betroffen, weil sie Probleme, die für andere tödlich sein können, einfach mit Geld lösen können – oder das zumindest glauben. Die meisten Menschen können nicht einfach nach Kanada ziehen oder sich eine Villa in Neuseeland bauen, wenn ihre Heimat unbewohnbar wird.

Was wir stattdessen brauchen, ist eine Wirtschaft, in der Philanthropie nicht nötig ist. Weil das Wirtschaften innerhalb planetarer Grenzen stattfindet und Mensch, Gesellschaft und Planeten nicht ausbeutet.

Demokratie statt Philanthropie

Philanthropie wird uns gern als die Rettung verkauft, doch das Gegenteil ist der Fall. Eins der Grundprinzipien unserer Sozialordnung ist: Die mit viel Geld geben viel davon ab. Was damit finanziert wird, entscheiden gewählte Volksvertreter*innen.

Dass wir heute oft erzählt bekommen, dass der Staat alles falsch mache und Reiche mit ihrem Wirtschaften und Philanthropie die Rettung seien, ist schlicht eine Lüge. Diese Strategie haben wir jetzt über Jahrzehnte verfolgt, und unsere Probleme sind größer denn je.

Philanthropie ist nicht die Zukunft dieser Gesellschaft. Was wir stattdessen brauchen, ist eine Wirtschaft, in der Philanthropie nicht nötig ist. Weil das Wirtschaften innerhalb planetarer Grenzen stattfindet und Mensch, Gesellschaft und Planeten nicht ausbeutet.

Eine solche Gesellschaft muss nicht so aussehen, dass alle gleich viel besitzen. Sie kann aber nicht funktionieren, wenn die Unterschiede so groß wie heute sind.

Take-away

  • Eine Gesellschaft, in der Philanthropie das Gemeinwesen finanziert, ist keine Verbesserung, sondern Neo-Feudalismus.
  • Reiche Menschen sind weit weg von den Problemen der Mehrheit und fühlen sich von Themen wie der Klimakrise weniger betroffen.
  • Statt Philanthropie brauchen wir eine Stärkung demokratischer Strukturen und eine regenerative Wirtschaft.

FUßNOTEN

  • 1
  • 2

    Dass die Vermögen darüber hinaus oft aus sehr unrühmlichen Praktiken in der Vergangenheit wie Ausbeutung, Kolonialismus oder auch Kollaboration mit dem NS-Regime stammen, lassen wir jetzt einmal außen vor. Ich empfehle dazu David de Jongs Buch: Braunes Erbe. Die dunkle Geschichte der reichsten deutschen Unternehmerdynastien (2024)

  • 3

    Zwischen 1999 und 2021 sind in den USA mehr als 840.000 Menschen an einer Überdosis gestorben. Der Großteil der Opfer ist laut der Regierungsbehörde Center for Disease Control and Prevention (CDC) durch verschriebene Schmerzmittel in eine Opioid-Abhängigkeit geraten. Als Start für diese Entwicklung gilt die Markteinführung von Oxycontin 1996, bei der Purdue Pharma das Mittel aggressiv beworben und sein Suchtpotenzial massiv heruntergespielt hat. Viele der durch eine Oxycontin-Verschreibung abhängig gewordenen steigen später auf günstigere Substanzen wie Heroin oder Fentanyl um.

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