Viele hassen Meetings, doch kaum jemand ändert etwas an ihnen. Dabei gibt es zahlreiche Möglichkeiten, sie effizienter und sinnvoller zu gestalten.
Es ist doch paradox: Wenige Menschen mögen Meetings, aber kaum jemand tut was dagegen. Eine von der virtuellen Whiteboard-Software Miro veröffentlichte Umfrage ergab, dass fast zwei Drittel der Befragten in Deutschland überzeugt sind, dass Meetings wichtig für eine erfolgreiche Zusammenarbeit und den Kontakt zu Kolleg*innen sind. Aber in anderen Umfragen wie der des Chat-Anbieters Slack stuften die Befragten fast 43 Prozent der Meetings als überflüssig ein. Der Aussage „Dieses Meeting hätte eine E-Mail sein können“ stimmen laut einer Umfrage von SurveyMonkey 32 Prozent der Befragten immer oder meistens zu. Es gibt scheinbar eine riesige Diskrepanz zwischen dem, was Meetings in unserer Idealvorstellung leisten sollen, und dem, wie Meetings wirklich sind.
Ein weiterer Widerspruch: Viele beschweren sich, sie hätten so viele Meetings, dass die Zeit für ihre eigentliche Arbeit fehle – etwa auch über die Hälfte der Beschäftigten aus der Miro-Umfrage. Trotzdem ärgern sich viele Menschen, wenn sie zu einem Treffen nicht eingeladen sind. Das kann daran liegen, dass ein voller Kalender noch immer als Indikator für Status und Relevanz gilt. Manchmal überwiegt die Angst, etwas zu verpassen, die Abneigung gegenüber Meetings. Die Kalender mancher Menschen sind so überbucht, dass es quasi unmöglich ist, mit ihnen einen Termin zu finden. Knapp drei Viertel der Befragten in Deutschland aus der Miro-Studie schalten sich in Online-Meetings ein, obwohl ihre Teilnahme nur „optional” ist, und 79 Prozent nehmen außerhalb der regulären Arbeitszeiten teil, fast zwei Drittel gelegentlich sogar im Urlaub.
Was genau meinen wir also, wenn wir sagen: Wir hassen Meetings? Geht es bei dieser Hassliebe wirklich um das Konzept Meeting – oder um eine schlechte Meetingkultur?
Nie wieder schlechte Meetings!
Abo + Geschenk holenMeetings: Zu viel, zu schlecht organisiert
Untersuchungen zeigen, dass Dauer und Häufigkeit von Besprechungen in den letzten 50 Jahren zugenommen haben. Wir verbringen heute durchschnittlich bis zu 15 Stunden pro Woche in Meetings, bei Führungskräften sind es fast 23 Stunden. In den 1960er-Jahren waren es noch weniger als zehn Stunden. Wir veranstalten Meetings, um das nächste Meeting zu planen. Fast jede*r kennt Meetingmarathons, bei denen zwischen zwei Meetings nicht mal eine Pause bleibt, um sich Wasser zu holen. Das ist schlecht für die mentale Gesundheit und kann dazu beitragen, dass Menschen sich ausgebrannt fühlen.
Ein Microsoft-Bericht zeigt, dass sich die wöchentliche Besprechungszeit in Teams-Meetings mit dem Aufkommen der hybriden Arbeitsumgebung mehr als verdoppelt hat. Wenn wir remote arbeiten, besteht die Gefahr, dass wir zusätzliche Meetings ansetzen, um den zwischenmenschlichen Kontakt und informelle Gespräche zu ersetzen, die vorher zwischen Tür und Angel erledigt wurden und nun fehlen. Dafür brauchen wir länger, weil wir unsere Kalender abstimmen müssen und tendenziell mehr Zeit für einen richtigen Termin einplanen als die fünfeinhalb Minuten, die der Plausch in der Kaffeeküche gedauert hätte.
Bereits 1967 kritisierte der Managementdenker Peter Drucker in seinem Buch The Effective Executive Besprechungen, die nicht gut vorbereitet und zielgerichtet sind, und sieht zu häufige und lange Meetings als ein Symptom schlechter Organisation. Und trotzdem hat sich seitdem nicht viel verändert. Die Hauptfrustrationspunkte scheinen in Meetings immer noch eine unklare Struktur, fehlende Entscheidungen und fehlende nächste Schritte zu sein – sowie ausufernde Diskussionen, in denen wenige das Gespräch dominieren, während andere nicht zu Wort kommen.
Die Arbeits- und Organisationspsychologin Nale Lehmann-Willenbrock forscht zu Meetings und sagt, dass vor allem zu lange und viele Remote-Meetings zu Ermüdungserscheinungen, Konzentrationsschwächen und sogar Augenproblemen führen können.1 Remote-Meetings haben auch neue Frustrationspunkte gebracht: Wie viel Zeit und Nerven opfern wir vergessenen Mute-Buttons und wackligem Internet, bevor wir uns überhaupt sehen und hören können? Dazu kommt mehr Ablenkung: 90 Prozent der Befragten aus der Miro-Studie machen nebenbei andere Dinge wie chatten, E-Mails checken oder Wäsche waschen – und tragen somit nichts zum Erfolg des Meetings bei.
Also warum treffen wir uns überhaupt, um Dinge gemeinsam zu besprechen, statt einfach eine E-Mail zu schreiben? Es gibt Situationen, die wir nur im direkten Gespräch mit anderen lösen können. Deshalb halten Menschen schon seit Jahrtausenden Versammlungen ab.
Eine kleine Geschichte des Meetings
Es gibt viele Arten von Treffen, die einem sehr ähnlichen Prinzip wie dem des Meetings folgen: Anders als in der Geschäftswelt, wo sich international das englische Lehnwort Meeting durchgesetzt hat, heißen Zusammenkünfte in anderen Lebensbereichen einfach Besprechung, Konferenz oder Versammlung. Von Taktikbesprechungen im Sport über Koalitionsverhandlungen in der Politik bis hin zur Elternversammlung – überall treffen wir uns, um zu diskutieren, Probleme zu lösen und gemeinsam Entscheidungen zu treffen.
Seit dem Zeitpunkt, an dem die Menschen vor fast 12.000 Jahren begannen, Dörfer zu gründen, haben Versammlungen stattgefunden. Die alten Griechen erfanden die Agora, einen Raum, der sich oft im Zentrum der Stadt befand. Dort diskutierten Bürger wie Aristoteles und Sokrates über Politik oder Geschäfte und erfanden die Demokratie, die Olympischen Spiele und vieles mehr. Aus der Agora wurden das römische Forum und die Kurie, ein Raum, in dem die Senatoren zusammensaßen, um Gesetze für die römische Öffentlichkeit zu erlassen. Die Römer entwickelten Regeln für Versammlungen, die noch heute in vielen modernen Parlamenten und Regierungen gelten, zum Beispiel, dass es am Ende vieler Versammlungen eine Abstimmung gibt. In der germanischen Kultur gab es die Volks- oder Gerichtsversammlung Thing, bei der unter den sogenannten Thing-Linden strafrechtliche Verfahren stattfanden. Außerdem wurden dort Gesetze verfasst und geändert.
Im Zuge der Industriellen Revolution stieg im 19. Jahrhundert die Nachfrage nach zivilen Versammlungen, da neue soziale Klassen wie die Arbeiterklasse sowie Gewerkschaften und politische Freiheitsbewegungen entstanden. Der US-Soldat Henry Martyn Robert entwickelte 1876 das erste Handbuch zur Durchführung ziviler Versammlungen: Robert’s Rules of Order. Es wurde zum meistgenutzten Regelwerk für Sitzungs- und Geschäftsordnungen in der englischsprachigen Welt und für viele Organisationen wie Kirchengemeinden, aber auch in der Geschäftswelt zum Leitfaden.
Erste Businessmeetings im heutigen Sinne gab es mit dem Aufkommen moderner Büros Anfang des 20. Jahrhunderts. Und obwohl zwischen ihnen und der Agora fast 2.400 Jahre liegen, folgen viele von ihnen noch heute einem sehr ähnlichen Ablauf, wie etwa Town-hall-Meetings oder All-hands-Meeting, bei denen sich die komplette Organisation in einem Raum versammelt.
Versammlungen sind soziale Rituale, die Zugehörigkeit und eine kollektive Identität schaffen und soziale Bindungen festigen können. Meetings sind moderne Versionen von jahrtausendealten menschlichen Praktiken. Das erklärt zum Teil, warum wir sie abhalten und brauchen.
Ritualisierte Meetings
Genauso wie andere Traditionen mit der Zeit manchmal ihren Sinn verlieren und nur noch gepflegt werden, weil wir es schon immer so gemacht haben, existieren auch manche Meetingtypen einfach aus Gewohnheit. Wir nutzen immer dieselbe Schablone und fragen weder nach dem Sinn des Meetings noch seiner Agenda – wenn es überhaupt eine gibt. Oftmals berichten einfach immer dieselben Leute reihum am Montagmorgen, was sie gemacht haben, ohne dass es die anderen interessiert. Warum? Weil man eben Montagsmeetings macht. Doch was ist der Purpose? Die Autorin Priya Parker schlägt in ihrem Buch The Art of Gathering vor, für jeden Typ des Treffens so lange weiter nach dem Grund zu bohren, bis man auf eine Überzeugung oder einen Wert stößt. Klar ist eine Quartalsbesprechung dazu da, das Quartal zu besprechen. Doch wozu? Um die Fortschritte und Fehlschläge des vergangenen Quartals zu analysieren. Warum wollt ihr das? Vielleicht um aus euren Fehlern zu lernen und neue Wege zu suchen – da einer eurer Unternehmenswerte Exzellenz ist.
Ein ungeschriebenes, aber sehr falsches Meetinggesetz in vielen Organisationen lautet: je mehr Leute, desto besser – denn wir brauchen so viele Meinungen wie möglich. Aus Zeitnot oder Faulheit, die wichtigsten auszusuchen, werden erst einmal alle eingeladen. Je größer das Meeting, desto größer allerdings das social loafing, also die Tendenz von Menschen, sich in einer großen Menge zu verstecken und sich nicht mehr anzustrengen.2
Das ist wie beim Tauziehen: Je mehr Leute mit uns an einem Seil ziehen, desto weniger Kraft wenden wir auf. Wir denken uns: Die anderen können ja was sagen. Der Effekt ist umso größer, je anonymer Menschen sind, etwa wenn in Videokonferenzen ihr Gesicht nicht zu sehen ist. Die Studienlage legt nahe, dass nicht mehr als sieben Personen an einem Meeting teilnehmen sollten, das sich dem Ziel einer gemeinsamen Entscheidung verschrieben hat. Jede weitere Person verringert die Effektivität einer Entscheidung, da sie die Anzahl unserer Einigungspunkte proportional erhöht – also mit wie vielen Personen wir eine Einigung erzielen müssen. Fügen wir eine Person zu einer Entscheidungsfindung hinzu, schaffen wir nicht nur einen einzigen zusätzlichen Einigungspunkt, sondern wir fügen so viele Einigungspunkte hinzu, wie bereits Personen im Meeting sitzen.3
Ein weiteres völlig unnützes Meetinggesetz ist: Meetings dauern immer gleich lang. Der Großteil der Meetings wird immer in denselben Zeiteinheiten geplant, egal worum es geht. Begünstigt wird das, da digitale Kalender beispielsweise von Microsoft Outlook oder Google 60 Minuten als Standard eingestellt haben. Aber warum sollte die Lösung jedes Problems immer genau 60 Minuten dauern? Warum nicht 17? Oder 23? 1955 formulierte der britische Historiker Cyril Northcote Parkinson in einem satirischen Artikel in The Economist die sogenannten Parkinsonschen Gesetze, von denen eines lautet: „Arbeit dehnt sich in genau dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht.“ Das heißt: Wenn wir 60 Minuten Zeit für ein Meeting haben, füllen wir diese Stunde. Wir könnten genauso gut nach 36 Minuten Schluss machen, wenn wir das Ziel erreicht haben. Oder die Zeit von Beginn an knapper bemessen.
Schließlich gibt es noch eingefahrene Muster bei der Gesprächsdynamik. Wer spricht, wer schweigt, wer trifft Entscheidungen? Vor allem extrovertierte Kolleg*innen und Personen in höheren Machtpositionen reden, unterbrechen andere oder ändern die Richtung des Gesprächs. Unter Introvertierten traut sich nicht mal jede*r Dritte zu, seine*ihre Ideen in Meetings zu teilen, was wichtigen Input verhindert. Führungskräfte übernehmen oft die Moderation und lenken die Diskussion. Daher schätzen sie häufig die Qualität des Meetings besser ein als der Rest, ein Phänomen, das manche Meetingforscher*innen meeting leader blindspot nennen.4 5 Wird das Feedback der übrigen Teilnehmer*innen überhaupt nicht abgefragt, sagt das viel über das System aus, in dem die Meetings passieren. Denn Meetings sind der ultimative Ausdruck der Kultur in einem Unternehmen. Sie spiegeln die Machtverhältnisse einer Organisation wider. Wenn etwas in der Meetingkultur nicht stimmt, ist in der Regel auch die Unternehmenskultur verkorkst.
Weg mit den Meetings?
Meetings sind teuer. Ein Rechenbeispiel: Eine Stunde Meeting mit zehn Leuten, die durchschnittlich 40.000 Euro pro Jahr verdienen, kostet etwa 280 Euro.6 Dazu kommen weitere indirekte Kosten. Denn Meetings können die Teilnehmer*innen negativ beeinflussen. Der US-Professor für Organisationspsychologie Steven Rogelberg forscht an der University of North Carolina zu Meetings: Seine Untersuchungen zeigen, dass schlechte Meetings zu Arbeitsunzufriedenheit, Ermüdung der Mitarbeiter*innen und dem sogenannten meeting recovery syndrome führen können, also dem Phänomen, dass Mitarbeiter*innen sich nach einem frustrierenden Meeting erst einmal beruhigen und eine Runde Dampf ablassen müssen, was Energie von allen zieht.
Manche Meetings lassen sich einfach streichen...
Die Lösung für das Problem ist für manche Organisationen: Meetings einfach streichen. Die Anzahl der Orgas mit einer No-meetings-Policy oder nur sehr wenigen Meetings nimmt zu. Als Remote-Unternehmen mit mehr als 2.000 Mitarbeiter*innen hat etwa das Medienunternehmen TheSoul Publishing so gut wie keine Meetings – die Kolleg*innen besprechen sich asynchron per Chat, teilen Videos, um Meilensteine zu feiern, oder nehmen spontan Kontakt auf, wenn sie etwas brauchen. Aber alle Meetings abzuschaffen, ist nicht immer die Lösung, es kann auch zu Ineffizienz und doppelten Gesprächen führen. Um ganz ohne Meetings auszukommen, braucht es sehr viel Disziplin und ein sehr gut funktionierendes Projektmanagementtool, das alle nutzen können.
Auf jeden Fall könnt ihr die Meetings abschaffen, für die es keinen weiteren Grund außer Gewohnheit gibt – die also kein konkretes Ziel mehr verfolgen, außer die gewohnte Routine immer und immer wieder zu wiederholen. Eine radikale Methode ist, einfach mal alle existierenden Regelmeetings zu löschen und dann noch mal zu überlegen, welche neu eingestellt werden, weil sie wirklich gebraucht werden – und in welcher Form. Für alles andere reichen Memos, Firmen-Wikis, geteilte Dokumente.
... andere können gekürzt werden.
Und wenn ihr schon dabei seid, die Daseinsberechtigung eurer Meetings zu hinterfragen, macht direkt bei der Länge weiter. In manchen Unternehmen gilt inzwischen die 50/20-Minuten-Regel. Also immerhin zehn Minuten weniger als der Standard 60/30. Aber es geht noch kürzer. 10- bis 15-minütige super speedy meetings sind etwa in US-Krankenhäusern verbreitet. Wir kennen aber auch kurze Huddles aus dem Teamsport, bei denen in wenigen Minuten die Taktik besprochen wird. Solche Huddles wurden z.B. von Apple und Zappos adaptiert. Marissa Mayer, ehemalige Managerin bei Google und Yahoo, hat ihre großen Meetings in kleine Blöcke à zehn Minuten aufgeteilt, in denen sie mit Mitarbeiter*innen einzeln nacheinander spricht. Jede*r kann nach den eigenen zehn Minuten wieder gehen und muss somit nicht die Themen der anderen absitzen.
Hinterfragt eure Rituale: Ist Montagmorgen, wenn alle noch muffelig sind und sich für die Woche sortieren wollen, wirklich die beste Zeit für ein kreatives Brainstorming? Und könnt ihr ganz allgemein meetingfreie Tage oder Tageszeiten einführen? Verschiedene und auch mal ungerade Meetingzeiten wie 24 oder 43 Minuten helfen bei den Übergängen und lösen bestenfalls das Problem von Back-to-back-Meetings. Das Kalendertetris hört auf, indem ihr mehr Platz und Zeit für ungeplante Dinge freihaltet.
Dabei hilft auch, Meetings optional zu machen: Das Konzept Open Space Technology, eine Methode für produktive Meetings, hat das „Gesetz der zwei Füße“ aufgestellt, das besagt, dass wir nur in diejenigen Sitzungen gehen sollten, in denen wir entweder etwas lernen oder beitragen können. Egal, auf wie viele Meetings und welchen Zeitrahmen ihr euch einigt: Wer verbietet eigentlich, dass Meetings vor der Zeit beendet werden? Austrian Airlines hat z.B. das Signalwort ELMO (Enough, Let’s Move On) eingeführt, das in Meetings die Erlaubnis gibt, Diskussionen und damit auch Meetingzeit abzukürzen.
Das Meeting als Beta-Version
Auch ein kurzes Meeting kann schlecht sein, wenn es das gesetzte Ziel nicht erreicht. Mit dem richtigen Wissen können wir Meetings aber bewusst gestalten, um unser aller Bedürfnisse besser zu erfüllen. Ratgeber behaupten oft, dass eine Agenda die Zauberformel sei. Und ja, ohne Agenda oder Struktur hat ein Meeting schlechte Chancen auf ein gutes Ergebnis. Aber eine standardisierte, generische Agenda allein hilft nicht. Am besten funktionieren gemeinsam erstellte Agenden, zu der alle Beteiligten etwas beigetragen haben, weil sie dann viel engagierter sind, ihre Themen voranzutreiben. Von allen Teilnehmer*innen Input zu erfragen, erhöht auch die Inklusion.
Deshalb ist es auch so wichtig, regelmäßig Feedback einzuholen, um die Meetingkultur zu verbessern. 70 Prozent der Befragten in einer US-Umfrage zu Meetings glauben, Feedback würde ihre Meetings besser machen, aber nur die Hälfte von ihnen wurde schon einmal um Feedback gebeten. Da die Meetingqualität einen erheblichen Einfluss auf unsere Arbeit hat, lohnt es sich, eine Person aus dem Team mit einer extra Rolle für Meetingentwicklung zu bestimmen. Diese Person kann sich zum Thema weiterbilden und interne Umfragen konzipieren, um Veränderungsbedarf abzufragen. Möglicherweise könnte perspektivisch jede*r im Team einen Kurs zu guter Meetingplanung oder ein Moderationstraining machen.
Ihr könnt mit der Personenanzahl spielen und alternative Meetingformen ausprobieren. Steve Jobs und Ex-Präsident Barack Obama haben zum Beispiel walking meetings erprobt. Diese Meetingform funktioniert vor allem für kleinere Gruppen von bis zu drei Leuten und sorgt einer Studie zufolge für ein höheres Energielevel.7 Das entgegengesetzte Verständnis vom Meeting als starres Ritual ist das Meeting als unfertiges Werk zu begreifen. Ihr müsst euch nicht alle jeden Tag treffen, um zu beweisen, dass ihr produktiv und wichtig für die Organisation seid. Aber zu sagen, eine Welt komplett ohne Meetings wäre besser, nur weil sie in der jetzigen Form nicht eure Bedürfnisse treffen, ist zu einfach. Denn manchmal ist ein strukturiertes Meeting von zehn Minuten effektiver als ein Pingpong von zehn E-Mails. Verabschiedet euch von der Gepflogenheit, alle einzuladen, und etabliert eine Meetingkultur, in der nur dabei ist, wer auch wirklich muss – nicht alle.
Was ohnehin viel wichtiger ist, als dass alle dabei sind, ist gute Dokumentation und transparente Arbeitsprozesse. Menschen, die nicht teilnehmen, müssen sich darauf verlassen können, dass es ein Protokoll oder eine andere Form der Dokumentation über Entscheidungen und nächste Schritte gibt. Es gibt heute KI-Software, die Protokolle schreibt und Redeanteile auswertet.
In den kommenden Jahren werden sich Meetings drastisch weiterentwickeln und ins Digitale verlagern. Bei Zoom soll es bald avatarbasierte Videomeetings geben, bei denen ein digitaler Zwilling das Meeting statt der Mitarbeiter*innen besucht. Auch Hologramm-Calls sollen bald möglich sein, bei denen wir dank einer Virtual-Reality-Brille mit Hologramm-Versionen unserer Kolleg*innen am anderen Ende der Welt am Konferenztisch sitzen werden, ohne physisch anwesend sein zu müssen. Solche virtuellen Technologien revolutionieren unsere Arbeitswelt und versprechen mehr Flexibilität, werfen aber gleichzeitig ethische Fragen auf wie etwa: Was passiert mit persönlichen Interaktionen? Fakt ist: Ihr seid dafür verantwortlich, wie ihr eure Meetings gestaltet. Sie sind wie alle eure Prozesse und Arbeitsregeln kein von außen in eure Organisation geschummeltes Monster, mit dem ihr für immer zusammenleben müsst. Sondern sie sind eure eigenen Schöpfungen, und ihr habt es selbst in der Hand, sie so zu gestalten, dass sie euren Wünschen und Zielen entsprechen.
Take-aways
- Obwohl viele Menschen Meetings als Zeitverschwendung empfinden, werden sie selten hinterfragt und immer häufiger durchgeführt, was zu einer Kultur der Überbuchung und zu ineffektiven Zusammenkünften führt.
- Meetings haben ihren Ursprung in traditionellen Versammlungsritualen und sind eine wichtige soziale Praxis. Allerdings sollten wir den rituellen Charakter vieler Meetings, die nur aus Gewohnheit stattfinden, kritisch hinterfragen.
- Meetings sind veränderbare Prozesse, die Organisationen nicht als schlecht hinnehmen müssen, sondern durch Feedback und Iterationen nützlicher machen können.
FUßNOTEN
- 1
Nale Lehmann-Willenbrock: Wege aus der Meeting-Misere, Keynote (2021) ↩
- 2
Steven G. Rogelberg: The Surprising Science of Meetings. How You Can Lead your Team to Peak Performance (2019) ↩
- 3
Kevin M. Hoffmann: Meeting Design. For Managers, Makers, and Everyone (2018), S. 44 ↩
- 4
meeting leader blindspot ist ein Eigenbegriff und wir geben ihn deshalb so wieder, obwohl wir grundsätzlich versuchen, Begriffe wie „blinder Fleck“ zu vermeiden, da sie ableistisch (in dem Fall diskriminierend gegenüber blinden Menschen) sind. ↩
- 5
John E. Kello: The science and practice of workplace meetings (2015) ↩
- 6
Im Internet gibt es Rechner wie diesen, mit denen man die genauen Kosten kalkulieren kann. ↩
- 7
Rogelberg, S. 85. In der zitierten Studie des Magazins Inc. wurden 90 Tage lang Walking Meetings abgehalten und die Teilnehmer*innen fühlten ein höheres Level an Energie, Fokus und Engagement. ↩