Frederic Laloux’ Reinventing Organizations gehört zum Basisstoff der Neuen Arbeitswelt. Doch worum geht es in dem Buch eigentlich? Wir stellen die Kerngedanken vor.
Vermutlich haben wir in unserem Magazin auf kaum ein anderes Buch so oft verwiesen wie auf Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit von Frederic Laloux. Es gilt der New-Work-Szene als eine Art Grundlagenwerk. Und das nicht ohne Grund! Wir empfehlen jedemjeder, derdie sich mit Neuer Arbeit auseinandersetzt, in das Buch reinzulesen. Da aber – wie Laloux selbst einräumt – nicht jede*r Zeit hat, ein 360 Seiten dickes Management-Buch zu lesen, hat er einen illustrierten Leitfaden bereitgestellt. Den stellen wir hier vor.
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Mehr erfahrenWer ist Frederic Laloux?
Laloux begann seinen beruflichen Werdegang als Associate Partner bei McKinsey und entschied sich dann, die viele Zeit im Flugzeug gegen mehr Zeit mit seiner Familie einzutauschen und künftig an Projekten zu arbeiten, die einen Nutzen für die Gesellschaft haben. Die sinnstiftende Orientierung von Unternehmen, also der Purpose, ist das zentrale Thema von Laloux und Reinventing Organizations. Die von ihm skizzierten Unternehmen handeln ganzheitlich. Hierarchie, Kontrolle und Macht in klassischen Organisationsformen werden durch Selbstorganisation, Rollen und Integratives Entscheiden ersetzt.
(Menschliche) Organisationen durchlaufen verschiedene Entwicklungsstufen
Dem Buch liegt die Annahme zugrunde, dass die Art und Weise, wie wir Organisationen in der Vergangenheit geführt haben, nicht mehr funktioniert. Wir müssen sie also neu erfinden (engl.: reinvent). Laloux beschreibt anhand konkreter Stufen, wie sich Organisationen historisch entwickelt haben und zeigt auf, dass die unterschiedlichen Entwicklungsstufen analog zu fundamentalen gesellschaftlichen Durchbrüchen stattfanden. Diesen Entwicklungsstufen ordnet er, angelehnt an den Autor Ken Wilber und das Konzept Spiral Dynamics, Farben zu. Er nimmt an, dass sich Rudimente von jeder Entwicklungsstufe noch heute in vielen Organisationen finden und skizziert schließlich die wünschenswerte Stufe für die Zukunft von Organisationen. Werfen wir nun einen Blick auf die Stufen und die ihnen zugeordneten Farben.
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Rot (Impulsive Organisationen)
Vor etwa 10.000 Jahren lebten unsere Vorfahren laut Laloux in roten Organisationen, also kleinen, Stämmen, in denen das Recht des Stärkeren galt. Moderne Beispiele für rote Organisationen sind Straßengangs oder Mafiaclans. Die zwei wichtigsten Ergebnisse dieser Entwicklungsstufe sind Arbeitsteilung und Top-down-Autorität. Rote Organisationen sind extrem hierarchisch organisiert: Man hat entweder Macht und bestimmt durch die eigene Autorität über andere, oder man hat nicht so viel Macht und gehorcht. „Zu den [...] Beispielen zählen viele kleine Unternehmen, in denen der Gründer und Chef alles tut, um erfolgreich zu sein, und sich in alles einmischt, ungeachtet von Regeln oder Rollen, die seinen Aktionsradius einschränken könnten“, schreibt Laloux.
Bernstein (Konformistische Organisationen)
Den Übergang zu konformistischen Organisationen markiert laut Laloux die Erfindung des Ackerbaus: Gesellschaften konnten nun neue Rollen in ihrer Mitte miternähren. Neue Funktionen wie Priester oder Bürokraten entwickelten sich. Die ersten Staaten, große Imperien und bürokratische Institutionen entstanden als frühe bernsteinfarbene Organisationen. Sie basieren auf stabileren Hierarchien und strengen Regeln, wie sie z.B. in der katholischen Kirche zu finden sind. Konformistische Organisationen schaffen eine Welt der Stabilität und Sicherheit, weil sich die Menschen in ihnen strikt an traditionelle Rituale und Prozesse halten und sich einem strengen Organigramm unterordnen. In diesen Organisationen herrscht eine klare Vorstellung davon vor, was richtig und was falsch ist. Konformistische Organisationen sind deshalb in sich sehr stabil – doch wenn sich die Welt verändert, ist es für sie schwierig, die Veränderung zu akzeptieren und sich anzupassen.
Orange (Leistungsorientierte Organisationen)
Mit der wissenschaftlichen und industriellen Revolution entwickelten sich orangefarbene Organisationen. Die Welt wird von nun an als eine begriffen, die von rationalen Naturgesetzen bestimmt ist und die man für die eigenen Zwecke nutzen kann. Leistung und materieller Gewinn stehen dabei im Vordergrund: „Wenn ich im Verstehen und Manipulieren der Welt schneller, klüger und innovativer als andere bin, dann werde ich erfolgreicher sein und mehr Wohlstand, Gewinn und Marktanteile erreichen – oder was ich mir sonst wünsche“, erklärt Laloux die industrielle Weltsicht. In leistungsorientierten Organisationen ist die Führung weniger daran interessiert, wie Ziele erreicht werden, sondern vor allem, dass sie erreicht werden. Im Vergleich zu konformistischen Organisationen gibt es hier mehr Raum für Innovation und Wachstum. Gleichzeitig erreichen leistungsorientierte Unternehmen schnell eine Stufe, in der sie Wachstum nur um des Wachstums willen vorantreiben – nicht, um reale Bedürfnisse zu erfüllen. Dann streben sie nur noch nach Zielen, Zahlen, Ergebnissen und Konsum und dienen nur noch einzelnen Menschen, aber nicht mehr der Gesellschaft.
Grün (Pluralistische Organisationen)
Langfristig erkannten die Menschen die Nachteile rein leistungsorientierter Organisationen und es entstand bei vielen die Sehnsucht nach mehr Sinnhaftigkeit – wie auch bei Laloux selbst. So entstanden grüne Organisationen, in denen die Menschen Hierarchien ablehnen, Entscheidungen von oben nach unten verlagern, eine werteorientierte Kultur fördern und neben Investor*innen auch die Gesellschaft und die Umwelt als Stakeholder berücksichtigen. In der Theorie klingt das gut, in der Praxis gibt es in postmodernen Organisationen oft einen großen Widerspruch: „Man möchte alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleich behandeln und einen Konsens finden, aber die hierarchische Pyramidenstruktur der modernen Organisation wird beibehalten“, schreibt Laloux. Die Folge sind sehr langsame, teilweise sogar lähmende Prozesse, Frustration und Unklarheit darüber, wer wann wie welche Entscheidung trifft.
Petrol (engl.: teal, Evolutionäre Organisationen)
Teal-Organisationen ähneln lebendigen Systemen, die sich stetig den Bedingungen anpassen und sich weiterentwickeln. Auf dieser (bisher höchsten) Stufe orientieren sich Menschen an Vertrauensbeziehungen, einem gemeinsamen sinnhaften Ziel und streben egofreies Arbeiten an. Evolutionäre Organisationen zeichnen sich durch drei konkrete Merkmale aus.
Drei Dinge, die eine evolutionäre Organisation ausmachen
Selbstführung
In Teal-Organisationen wird die traditionelle hierarchische Pyramiden-Struktur durch Selbstorganisation ersetzt. Teams und Mitarbeiter*innen erhalten mehr Autonomie und Entscheidungsbefugnisse. Teams treffen eigenverantwortlich Entscheidungen und organisieren ihre Arbeit selbstständig, ohne Anweisungen von oben. Verantwortung wird rollenbasiert auf Basis von Kompetenzen, Stärken und Interessen verteilt.
Ganzheit
Ganzheit bezieht sich darauf, dass Mitarbeiter*innen in Teal-Organisationen ermutigt werden, ihre gesamte Persönlichkeit am Arbeitsplatz einzubringen. Das bedeutet, dass sie nicht nur ihre professionellen Fähigkeiten oder Stärken zeigen, sondern z.B. auch über Gefühle sprechen. Indem Mitarbeiter*innen authentisch und ganzheitlich auftreten dürfen, entsteht eine Arbeitsumgebung, die von Vertrauen und psychologischer Sicherheit geprägt ist. Teal-Organisationen erlauben den Menschen, sich mit all ihren Facetten am Arbeitsplatz zu zeigen und einzubringen, statt nur eine professionelle Rolle zu spielen.

Evolutionärer Sinn
Der evolutionäre Sinn einer Organisation ist ihr übergeordnetes Ziel oder ihr Zweck, der über rein finanzielle Ziele hinausgeht. Dieser Zweck orientiert sich an den Bedürfnissen der Mitarbeiter*innen, der Gemeinschaft und der Umwelt und entwickelt sich kontinuierlich weiter. Teal-Organisationen streben danach, einen positiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten und eine nachhaltige Zukunft zu gestalten, indem sie sich mit ihrem evolutionären Sinn verbinden und gemeinsam daran arbeiten, ihn zu verwirklichen.
Und wie kommt man jetzt dahin?
Laut Laloux gibt es zwei nötige Voraussetzungen für Organisationen, um den Sprung zur evolutionären Organisation zu schaffen: Der*die Gründer*in oder leitende Führungskraft muss ein evolutionäres Verständnis von Organisationen haben und auch die Eigentümer*innen der Organisation müssen das verstehen und annehmen.

Es gibt nicht die eine Lösung, den einen ausgeklügelten 10-Punkte-Plan, wie ihr eine evolutionäre Organisation werden könnt. Es gibt nur Fragen, die ein Anfang für die Reise oder die Entwicklung auf die nächste Stufe sein können. Laloux nennt z.B. diese:
- Welche Veränderung gibt uns die meiste Energie?
- Wo sehen wir das meiste Entwicklungspotenzial?
- Ärgert ihr euch z.B. schon lange über eure langsamen Entscheidungswege?
- Möchten wir eine bestehende Organisation transformieren oder eine neue, evolutionäre Organisation aufbauen?
- Möchten wir in einer bestehenden Abteilung eine neue Methode (z.B. rollenbasiertes Arbeiten) austesten? Oder möchten wir eine neue, eigene Abteilung schaffen, in der experimentiert wird?
- Möchten wir verschiedene Experimente in der ganzen Organisation gleichzeitig testen? Oder möchten wir eine bestimmte Praxis mit einem Mal in der gesamten Organisation einführen?
- Wer und was könnte uns dabei helfen, z.B. rollenbasiertes Arbeiten einzuführen?
- Wie gehen wir während der Transformation mit Herausforderungen und Konflikten um?
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