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Ein Bein in Anzughose und Anzugschuh ist kurz davor auf ein Buch mit der Aufschrift Grundgesetz zu treten. Das Buch ist orange eingefärbt und das Bein, Schuh und Hintergrund blau.
Milliarden vs. Milliardäre

Wie Hyper-Kapitalist*innen unser Gemeinwesen untergraben

Eigentlich blicken wir bei Neue Narrative eher auf die halb vollen als auf die halb leeren Gläser. Aber heute wollen wir die Aufmerksamkeit auf ein Thema lenken, das uns wütend macht: Hyperkapitalist*innen und Milliardär*innen stellen sich über die Verfassung – zu unser aller Ungunsten.

Mir fällt immer wieder auf, wie Begriffe großzügig umgedeutet werden, um sie für die eigene Ideologie einzuspannen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Der Name gibt vor, die INSM setze sich für eine Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft ein. In meiner Wahrnehmung steht diese Lobbyorganisation vielmehr für einen Hyperkapitalismus ohne jegliche soziale Komponente.

Das zeigt sich unter anderem in ihrem Einsatz für die Abschwächung klimapolitischer Maßnahmen.1So war die INSM unter anderem für die Schmutzkampagne gegen die Grünen verantwortlich, in der Annalena Baerbock mit einer Tafel mit zehn Verboten zu sehen war.2Die Wirtschaftswoche kommt zu dem Schluss, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft bringe nichts von dem mit, „was die Initiatoren der Sozialen Marktwirtschaft […] im Sinne hatten“.3Soziale Marktwirtschaft bedeutet demnach, dass der Staat nicht nur den Rahmen für eine leistungsfähige Wirtschaft schafft, sondern auf der anderen Seite auch die negativen Begleiterscheinungen davon abfedert, indem er beispielsweise die Ballung wirtschaftlicher Macht verhindert und Arbeitnehmer*innen schützt.4

Eine weitere Lobby-Organisation, über deren Namen ich immer wieder stolpere, ist die Stiftung Familienunternehmen. Familienunternehmen, das klingt nach kleinen Mittelständler*innen und Handwerksbetrieben. Dabei verbirgt sich hinter diesem Namen die mächtigste Lobbyorganisation der deutschen Überreichen. Sie setzt sich z.B. hartnäckig gegen eine Reform der Erbschaftssteuer und die Wiedereinführung einer Vermögensteuer ein – obwohl diese laut unserer Verfassung geboten wäre. Die Stiftung Familienunternehmen müsste treffender heißen: Lobbyverband deutscher Oligarchen.

Eine blaues Fotostück von zwei Personen, welche ein Schild mit der Aufschrift "Tax the rich!" hochhalten. Davor stehen zwei grüne Polizist*innen. Im Hintergrund sind orange eingefärbte Berge.
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Ich finde, dass diese Lobbyorganisationen großen Schaden in unserer Gesellschaft anrichten. Das ist einer der Gründe dafür, dass ich die Initiative taxmenow unterstütze. Darin haben sich Vermögende zusammengeschlossen, um sich für Steuergerechtigkeit und die Abschaffung der eigenen Steuerprivilegien einzusetzen.

Anfang 2024 war ich mit Vertreter*innen von taxmenow beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Dort sind wir mit einem Plakat mit der Aufschrift „Tax the rich“ durch die Straßen gelaufen. Hierfür bekamen wir zwar viel Zuspruch von Passant*innen, aber wir haben auch einige Beleidigungen zu hören bekommen. Und die Schweizer Polizei hat uns bei minus zehn Grad eine halbe Stunde auf der Straße festgehalten, durchsucht und unsere Personalien aufgenommen.

Dabei sollte „Tax the rich“ in einer Demokratie keine radikale Forderung sein. Schließlich fußt nicht zuletzt unser Grundgesetz unter anderem auf dem Leistungsfähigkeitsprinzip, nach dem die, die am meisten haben, auch am meisten zum Gemeinwesen beitragen sollen. Aber in Davos, wo sich einmal im Jahr die Reichen und Mächtigen treffen, wurden wir für diese Forderung wie radikale Aktivist*innen behandelt.

Milliardär*innen vs. 80 Millionen

An diesen Beispielen zeigt sich für mich, dass unsere Gesellschaft gerade ein Problem hat: Oligarch*innen und Überreiche haben eine unheimlich starke Lobby. Und diese arbeitet seit Jahrzehnten daran, die Gesetze zu ihren Gunsten ändern zu lassen. Dabei setzen Lobbyorganisationen wie die Stiftung Familienunternehmen ihre Interessen gegen die große Mehrheit durch. In Julia Friedrichs Dokumentation Die geheime Welt der Superreichen gibt der ehemalige Chef-Lobbyist der deutschen Oligarchen freimütig zu, es sei eine Sternstunde der Politikberatung gewesen, als er dem damaligen Innenminister Horst Seehofer stundenlang die Interessen seiner Auftraggeber diktieren konnte.

Eine Fotocollage bestehend aus einem orangenen Reichtagsgebäude, an dessen einen Seite reiche Personen mit Limousine und Bodyguards das Gebäude betreten. Auf der anderen Siete beifndet sich ein Zaun, vor dem eine blaugefärbte Menschenmenge protestiert.

Diese Liaison zwischen der Politik und der Lobby hat fatale Auswirkungen: Beispielsweise gibt es heute Ausnahmen in der Besteuerung von Erbschaften, die allein den Reichsten zugutekommen. Ein Mensch, der drei Wohnungen erbt, zahlt auf das Erbe Steuern. Wer mehr als 300 Wohnungen erbt, wird vom Staat automatisch als Wohnungsunternehmer behandelt und von der Erbschaftsteuer befreit – ganz gleich, ob die Wohnungen auch formal einem Unternehmen gehören.5Betriebsvermögen im Wert von über 26 Millionen Euro kann von der Erbschaftsteuer ausgenommen werden, wenn der*die Erb*in im Rahmen einer sogenannten Verschonungsbedarfsprüfung (eine Art Bedürftigkeitsprüfung für Überreiche) darlegen kann, dass er*sie nicht über das nötige Barvermögen verfügt, um die Steuer zu begleichen. So konnte Friede Springer dem Springer-Vorstandsvorsitzenden Döpfner Unternehmensanteile im Wert von einer Milliarde Euro schenken, ohne dass dieser darauf Steuern zahlen musste. Für die Durchschnittsperson gibt es solche attraktiven Steuersparmodelle nicht – wenn sie nicht genug Barvermögen haben, um Schenkungs- oder Erbschaftsteuer zu begleichen, müssen sie das Erbe oder die Schenkung veräußern.

Gerhard Schick, ehemaliger Bundestagsabgeordneter für Die Grünen und Gründer der Bürgerbewegung Finanzwende, sagte mir dazu: „Das Verfassungsgericht konnte sich bei der Frage der Erbschaftsteuerprivilegien seit Jahren nicht gegen die Milliardärsfamilien und ihre Lobby durchsetzen. Das muss sich ändern.“

Denn schon jetzt sind die Vermögen in Deutschland deutlich ungleicher verteilt als in vergleichbaren Ländern wie z.B. Frankreich. Ein immer größerer Anteil des Vermögens wird vererbt. Und allein die Tatsache, dass eine Handvoll vermögender Familien mehr besitzt als die ärmere Hälfte der Bevölkerung, müsste doch dazu führen, dass 80 Millionen Menschen (minus ein paar Milliardär*innen) aufstehen und einfordern, dass sich das ändert.

Lobbyist steht mit Zylinder vor einer Tafel. Auf der Tafel steht links eine Spalte "Überreiche", rechts "Normalverdiener", beiden Seiten scharf abgetrennt. Links stehen die Begriffe Vermögen und Erbschaft, die Endungen "Steuer" sind durchgestrichen.

Dass das nicht geschieht, liegt unter anderem daran, dass besagte Lobbyorganisationen, Debatten verschieben und Begriffe in ihrem Sinn besetzen. Würden sie einfach öffentlich sagen, was sie wollen, würde die Mehrheit der Bevölkerung vermutlich sagen: „Das wollen wir aber nicht.“ Was die Lobby stattdessen tut: Im Hintergrund Einfluss auf die Politik nehmen und mit gezielten Kampagnen die öffentlichen Debatten beeinflussen.

Wir alle sollten aufpassen, dass wir nicht Opfer dieser Kampagnen werden. Wie perfide die sind, beschreibt der österreichische Autor und Initiator der Gemeinwohlökonomie Christian Felber. Er sagt, dass Hyperkapitalist*innen gern den Begriff der Freiheit für sich vereinnahmen.6An dem lässt sich schließlich schwerlich was aussetzen. Wer will schon gegen die Freiheit sein? Was sie aber meinen, ist nicht die Freiheit der Menschen, sondern die Freiheit des Kapitals. Und das sind grundlegend verschiedene Dinge. Wenn das Kapital sich ungezügelt ausbreiten und rücksichtslos vermehren kann, dann geht das oft zu unser aller Lasten.

Unsere Verfassung hat ein Problem von rechts – und eines von oben

Ich glaube, wir sollten uns mehr mit dem Text beschäftigen, der grundlegend beschreibt, wie unsere Gesellschaft gedacht ist: dem Grundgesetz. Wir sollten uns klarmachen, wer daran arbeitet, diese Grundfesten unserer Gesellschaft zu zersetzen. Das sind natürlich zuallererst die Rechtsextremen, die die Demokratie ganz abschaffen und Menschen deportieren lassen wollen. Dass es so etwas im 21. Jahrhundert in Deutschland geben kann, ist wirklich schwer zu ertragen.

Eine Collage, die den Reichstag mit der Aufschrift "Ein Euro. Eine Stimme." zeigt. Das Wort ist durchgestrichen und mit Mensch ersetzt. Vor dem Gebäude befindet sich rechts eine normalverdienende Menge. Links rennen reiche Menschen davon.

Wir sollten uns aber auch bewusst sein, dass es zusätzlich zu der Bedrohung von rechts eine Bedrohung „von oben“ gibt. Denn im Grundgesetz finden sich so wichtige Grundsätze wie der, dass wir alle vor dem Gesetz gleich sind und die gleichen Möglichkeiten zur Entfaltung haben sollen. Auf diesen Gleichheitssätzen fußt auch das bereits erwähnte Leistungsfähigkeitsprinzip. Das besagt, dass diejenigen mit den größten ökonomischen Möglichkeiten auch am meisten zum Gemeinwesen beitragen sollen.

In den letzten 30 Jahren hat die Lobby der Überreichen es aber geschafft, dass auf passives Einkommen wie Dividenenausschüttungen oder Zinseinnahmen de facto immer weniger Steuern zu entrichten sind. Die Vermögenssteuer wurde ganz ausgesetzt, seit sie 1995 vom Bundesverfassungsgericht in ihrer damaligen Form für verfassungswidrig erklärt wurde. Einige gehen sogar davon aus, dass sich die Steuerlast für Milliardär*innen in diesem Zeitraum mehr als halbiert hat.7

Mit Blick auf diese Umstände lässt es sich nicht anders sagen: Einige der Reichsten in der Gesellschaft wollen nicht Teil des Gemeinwesens sein, das unsere Verfassung beschreibt. Sie wollen Verhältnisse, die schon heute als Neo-Feudalismus beschrieben werden und ein Rückschritt in vordemokratische Zeiten wären.

Die gute Nachricht: Wir sind die große Mehrheit. 80 Millionen Menschen (again: minus ein paar Milliardär*innen) können jederzeit aufstehen und sagen: Wir wollen eine Gesellschaft, die fair für alle ist. Was wir dafür brauchen, ist zuallererst mehr Achtsamkeit für den öffentlichen Diskurs. Wann immer mit Begriffen wie Freiheit oder sozialer Marktwirtschaft hantiert oder das Aufstellen sozialer Forderungen als radikaler Aktivismus verunglimpft werden, sollten die Alarmglocken läuten.

Take-aways

  1. Organisationen wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft oder die Stiftung Familienunternehmen sind Lobbyorganisationen, die für eine Gesellschaft eintreten, die nicht unserer Verfassung entspricht.
  2. Laut Grundgesetz sollten Milliardär*innen eigentlich am meisten zum Gemeinwesen beitragen – und zwar durch eine höhere Steuerbelastung. Sie wehren sich seit Jahren mit Lobbyarbeit dagegen.
  3. Um die eigentlichen Bestrebungen solcher Lobbyverbände zu verschleiern, nutzen sie oft Begriffsverschiebungen und -umdeutungen: So bedeutet Freiheit für sie vor allem Freiheit des Kapitals, nicht Freiheit der Menschen.
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