Unterschiedliche Sprachniveaus führen zu einem Machtungleichgewicht in multinationalen Teams. Außerdem werden einzelne Sprachen abgewertet. Was können Teams tun, um sprachliche Vielfalt zu fördern?
Viele Menschen, die bei der Arbeit nicht ihre Erstsprache sprechen, kennen ähnliche Situationen: Ein*e Kolleg*in reißt einen Witz mit Referenz auf seine*ihre Lieblingskinderserie, alle lachen und fragen: „Wie, den hast du nicht verstanden?“ Wenn in multinationalen Organisationen eine Verkehrssprache wie Englisch herrscht, aber die Menschen unterschiedliche Sprachniveaus oder kulturelle Hintergründe haben, entstehen Ungleichheiten und Benachteiligungen. Wie können Organisationen diese Nachteile ausbalancieren und Sprachdiversität herstellen, damit alle Mitarbeiter*innen sich wohlfühlen und gut arbeiten können?
Sprachunterschiede und Sprachhierarchien erschweren Arbeitsabläufe
Wenn Menschen in einer Sprache arbeiten, die sie nicht perfekt beherrschen, erschwert das den Wissensaustausch im Unternehmen.1 Offensichtliche Sprachbarrieren sind mangelndes Wissen in Vokabular oder Syntax, was die Kommunikation, aber auch die Verarbeitung von Wissen und Arbeitsprozessen behindert. Wenn eine Person in der Präsentation nicht alles versteht, kann sie ihre Arbeit nicht gut machen. Aber auch wenn es keine eklatanten Verständigungsprobleme gibt, hapert es manchmal an Feinheiten, etwa wenn es dem*der Sprecher*in schwerfällt, kulturelle Referenzen, gehobenes Vokabular oder seltene Redewendungen der Arbeitssprache zu erfassen. Diese kulturellen Unterschiede und unterschiedlichen Sprachniveaus können sich negativ auf das Teamklima auswirken. Die Mitarbeiter*innen vertrauen einander tendenziell weniger, bewerten die Beweggründe der anderen weniger positiv und kommunizieren weniger. Das führt zu mehr Konflikten und Missverständnissen.2 Viele Unternehmen verlangen daher von ihren Mitarbeiter*innen, dass sie Englisch auf professionellem Niveau sprechen. Das wiederum schließt Menschen aus.
Außerdem bildet sich ein Gefälle, bei dem diejenigen Mitarbeiter*innen, die die Arbeitssprache perfekt beherrschen, Vorteile haben: Sie können in Gehaltsgesprächen besser argumentieren und in Präsentationen mehr rhetorisch glänzen. In einer Fremdsprache zu arbeiten verlangsamt die Arbeitsschritte, weil es länger dauert, Dokumente zu verstehen, Fachvokabular zu erschließen oder Berichte zu schreiben. Je fitter wir in der Arbeitssprache sind, desto bessere Karrierechancen oder überhaupt Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben wir.
Auch Akzentsprachigkeit führt zu Nachteilen auf dem Arbeitsmarkt. In Deutschland ist es durch das Gleichstellungsgesetz zwar nicht erlaubt, erstsprachliche Kenntnisse bestimmter Sprachen von Bewerber*innen zu verlangen.3 Aber viele Dozent*innen erwarten bei zukünftigen Deutschlehrer*innen akzentfreies Deutsch.4 Damit scheiden viele aus, die Deutsch als Zweitsprache gelernt haben, aber im Zweifel bessere Deutschkenntnisse haben als deutsche Erstsprachler*innen, die im Deutschunterricht nicht aufgepasst haben. In Frankreich gibt es seit 2020 ein wegweisendes Gesetz, das Diskriminierung aufgrund eines Dialekts oder Akzents unter Strafe stellt.5 Zurecht, denn die Ablehnung bestimmter Sprachformen betrifft nicht alle Sprachen gleich. Meistens sind davon Migrationssprachen – wie in Deutschland beispielsweise Türkisch oder Kurdisch – betroffen.

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Magazin kostenlos lesenLinguizismus – eine subtile Form des Rassismus
Die Ablehnung dieser Sprachen ist dann eine Form von Rassismus, die wir als (Neo-)Linguizismus bezeichnen.6 Der Begriff beschreibt Vorurteile und Ablehnung gegenüber Menschen, die eine bestimmte Sprache oder mit dem Akzent dieser Sprache sprechen. Dazu gehört auch die Einordnung bestimmter Sprachen gegenüber anderen als minderwertig – das Sprechen dieser Sprache wird z.B. mit geringer Bildung oder schlechten kognitiven Fähigkeiten assoziiert. Linguizismus kann konkrete Sprachverbote oder Sanktionen umfassen oder die Benachteiligung von Sprecher*innen bestimmter Sprachfärbungen.
An manchen Schulen ist es Kindern auf dem Schulgelände verboten, bestimmte Sprachen zu sprechen – es wird sogar unter Strafe gestellt, obwohl das illegal ist.7 Das betrifft in der Regel Migrationssprachen8, wohingegen der Gebrauch von Prestigesprachen, die zu lernen als erstrebenswert gilt, weniger geahndet wird. Wenn Eltern teure Kurse für ihre Kinder in z.B. Englisch oder Französisch bezahlen, ist das ein Indiz dafür, dass sie in der Sprachhierarchie weiter oben stehen. An einer Anekdote aus dem Schulalltag wird die unterschiedliche Bewertung von Zweitsprachen deutlich: Lehrer*innen wurden von Kolleg*innen aufgefordert, im Lehrerzimmer die Migrationssprache nicht zu sprechen, während es bei den Spanischlehrer*innen hieß: „Spanisch ist auch was anderes.“9
Englisch ist die vorherrschende Sprache in Unternehmen, Wissenschaft und Politik. Aber Englisch ist nicht gleich Englisch. So wird das Englisch aus Nigeria, Singapur oder Indien häufig abgewertet, wohingegen Britisches, US-amerikanisches und australisches Englisch als vermeintlich richtiges Englisch gelten. Und auch bei Menschen, die Englisch als Fremdsprache erlernt haben, gibt es ein Gefälle. Sprechen Franzosen und Französinnen oder Italiener*innen Englisch, wird das als charmant oder kultiviert wahrgenommen. Kommen die Sprecher*innen hingegen aus dem Nahen Osten, kann es als anstrengend oder unangenehm gelten.10 Nicht selten werden ethnisch geprägte Akzente verlacht oder nachgeahmt. Das ist für die Sprecher*innen erniedrigend und wirkt sich negativ auf ihren Arbeitsalltag aus. Verspottung und Geringschätzung der Sprachfärbung, Aussprache oder anderen gesprochenen Sprachen neben der Dominanzsprache können außerdem psychische Erkrankungen hervorrufen.11 Linguizismus zeigt sich oft in Mikro-Aggressionen, die Menschen „gar nicht böse meinen“, andere aber verletzen können.

Maßnahmen, damit sich mehrsprachige Menschen wohler fühlen
Unternehmen, in denen sprachliche Diversität herrscht, stehen vor dem Problem, eine einheitliche Sprache für alle finden zu müssen und gleichzeitig die sprachliche Diversität zu fördern. Jede*r braucht dabei etwas anderes und jede Organisation startet an einer anderen Stelle. Auf diesen drei Ebenen gelingt es Organisationen, alle abzuholen, egal welche sprachlichen Hintergründe sie haben:
Ebene 1: Helft Mitarbeiter*innen, Sprachbarrieren zu überwinden.
Wenn ihr Menschen einstellen wollt, die keine ausreichenden Sprachkenntnisse haben, um sich gut im Arbeitskontext zu verstehen, könnt ihr natürlich 16 verschiedene Dolmetscher*innen beschäftigen. Aber inzwischen gibt es auch KI-gesteuerte Echtzeit-Übersetzungsprogramme für Meetings, die bereits eine Trefferquote von 60 bis 90 Prozent haben.
Etwas nachhaltiger wird das Ganze natürlich, wenn die Sprachkenntnisse auf lange Sicht besser werden. Dafür könnt ihr kostenlose Sprachkurse anbieten. Regelmäßige Mittagessen oder Stammtische in der Zielsprache können die Beziehungen unter den Sprecher*innen verbessern und den Spracherwerb fördern. Wenn jemand ein falsches Wort benutzt, können die versierten Sprecher*innen die Person respektvoll darauf hinweisen. Es ist wichtig, Fachjargon wegzulassen und alle wichtigen Dokumentationen in einfacher, verständlicher Sprache zu formulieren.
Ebene 2: Schult euch in vorurteilsfreiem Umgang und Rücksichtnahme
Sagen wir, die meisten Menschen bei euch in der Organisation können sich auf ausreichendem Niveau in der Verkehrssprache verständigen. Jetzt geht es darum, nicht erstsprachliche Mitarbeiter*innen nicht zu benachteiligen, wenn sie nicht die perfekte Ausdrucksweise haben. Ihr solltet: Präsentationen inhaltlich statt nach sprachlicher Raffinesse bewerten, keine Extrapunkte für anspruchsvolle Anschreiben vergeben und die Person bei Vorstellungsgesprächen oder Gehaltsverhandlungen nicht daran bemessen, wie eloquent sie ist, sondern daran, was sie sagt. Wenn Recruiter-Entscheidungen von (nicht erstsprachlichen) Peers überprüft werden, laufen sie womöglich weniger Gefahr, dem Affinitäts-Bias zu unterliegen, also zu glauben, dass die Person, die denselben regionalen Dialekt spricht, auch der*die kompetentere Kandidat*in sei. Eine klare Regel ist auch: Es gibt keine Sprachpolizei, die Leute auf jeden winzigen Rechtschreibfehler hinweist oder in Hermine-Manier in ihrer Aussprache zurechtweist, nach dem Motto: „Es heißt Leviooosa und nicht Leviosaaar.“ Sprache ist ein Tool, keine Religion. Macht klar, dass es immer okay ist, nach Erläuterungen zu fragen, wenn man eine Redewendung oder einen Terminus nicht versteht. Menschen trauen sich das eher, wenn ihr öfter mal öffentlich anerkennt, dass manche nicht in ihrer Erstsprache arbeiten. Spezielle Sprachkurse – etwa für Verhandlungs- oder Präsentationsskills – helfen ebenfalls.
Ebene 3: Schafft Rahmenbedingungen für einen diskriminierungsfreien Umgang mit mehrsprachigen Personen
Auf dieser Ebene beherrschen alle Menschen die Verkehrssprache der Organisation einwandfrei, manche Menschen sprechen aber zusätzlich noch eine oder mehrere andere Sprachen, da sie aus Einwander*innenfamilien stammen. Dass es keine Sprechverbote und kein Verspotten oder Nachäffen von Sprecher*innen geben sollte, ist klar. Aber um subtilere Formen des Linguizismus zu verhindern, solltet ihr Schulungen zur Sensibilisierung für sprachliche Vielfalt durchführen. Ladet euch eine*n Expert*in ein, die euch hilft, Vorurteile und Stereotype gegenüber Sprecher*innen bestimmter Sprachen, Akzente oder Sprachvarianten, die abgewertet werden, abzubauen.
Führungskräfte sollten hier mit gutem Beispiel vorangehen. Sie können etwa bei öffentlichen Auftritten alle Anwesenden in unterschiedlichen Sprachen, auch auf Kurdisch oder Türkisch, begrüßen oder mehrsprachige Veranstaltungen unterstützen. Ihr könnt natürlich auch intern bestimmte Sprachen aufwerten, indem ihr den Sprachaustausch fördert: Durch die „Wörter der Woche“ mit optionalem Quiz am Freitag etwa lernen Kolleg*innen fünf bis zehn Wörter in Türkisch, Arabisch oder Albanisch. Aber Vorsicht: Nicht alle Menschen sprechen automatisch eine Sprache gut oder gern, nur weil ihre Großeltern irgendwann aus einem anderen Land eingewandert sind. Es passiert häufig, dass aus der Familiengeschichte einer Person oder sogar nur aus ihrem Namen geschlussfolgert wird, sie würde eine bestimmte Sprache bevorzugt (oder überhaupt) sprechen. Wenn Felix morgens im Meeting auf Deutsch begrüßt wird, aber Ayşe auf Türkisch, kann das sie auch als anders oder fremd markieren.
Herkunft und Sprache gleichzusetzen, bringt gleich zwei Probleme mit sich, wie İnci Dirim erklärt: Erstens spricht Ayşe vielleicht lieber und sicherer Deutsch als Türkisch. In diesem Zusammenhang kann auch eine bohrende Frage wie „Wie heißt das in deiner Sprache?“ ausgrenzend sein. Zweitens sprechen nicht alle türkischen Familien Türkisch – sie könnten auch eine Minderheitensprache wie Kurdisch sprechen.
Diversität ist kein Selbstläufer
Wer Diversität im Unternehmen fördern will, muss auch eine Awareness für sprachliche Diversität schaffen. Dabei ist es wichtig, sich an den unterschiedlichen Bedürfnissen der Kolleg*innen zu orientieren und lieber einmal mehr zu fragen: „Was brauchst du?“ Für manche ist es wichtig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass sie nicht in ihrer Erstsprache arbeiten – für andere, dass ihre Zweitsprache respektiert wird. Wieder andere wünschen sich, dass ihre Erstsprache Deutsch ist und ihre Herkunft, ihre individuellen sprachlichen Präferenzen und kulturelle Identität so angenommen wird, wie sie ist. Unternehmen sollten sich zunächst die Probleme und Herausforderungen bewusst machen, die Sprachdiversität bei der Arbeit mit sich bringt. Sie sollten eine Bestandsaufnahme bezüglich der im Unternehmen gesprochenen Sprachen machen und es als ihre Verantwortung begreifen, dass Menschen nicht aus sprachlichen Gründen diskriminiert werden.

FUßNOTEN
- 1
Helene Tenzer / Markus Pudelko / Mary Zellmer-Bruhn: The impact of language barriers on knowledge processing in multinational teams (2021) ↩
- 2
Harvard Business Review.: How cultural differences can impact global teams (2021) ↩
- 3
Regina Steiner: Darf ein Arbeitgeber „Deutsch als Muttersprache“ verlangen? (2015) ↩
- 4
İnci Dirim: Linguizismus und linguizismuskritische pädagogische Professionalität, S. 15 ↩
- 5
Die maximale Strafe ist drei Jahre Gefängnis und 45.000 Euro Geldstrafe -> The Local: 'Glottophobie': France approves law banning discrimination based on a person's accent (2020) ↩
- 6
Die Professorin İnci Dirim hat für diese subtileren Formen des Linguizismus den Begriff Neo-Linguizismus eingeführt, um aktuelle Diskriminierungsformen gegenüber den aus der Kolonialzeit stammenden Sprachverboten abzugrenzen und zu zeigen, dass diese neuen Formen wesentlich schlechter zu erkennen und damit zu bekämpfen sind. ↩
- 7
In Baden-Württemberg musste eine Drittklässlerin z.B. eine Strafarbeit schreiben. Swantje Unterberg: Strafarbeit für Drittklässlerin wegen Türkisch auf Schulhof war rechtswidrig (2022) ↩
- 8
Der Begriff „Migrationssprachen“ bezeichnet Sprachen, die von Menschen gesprochen werden, die in Deutschland im verbreiteten Sprachgebrauch als „Menschen mit Migrationshintergrund“ kategorisiert werden. ↩
- 9
ufuq.de: Was ist gutes Deutsch? Sprache als Machtinstrument in der Gesellschaft (2019) Siehe auch das Interview mit Dr. Karim Fereidooni in diesem Video Beitrag. ↩
- 10
Christine Ro: The pervasive problem of 'linguistic racism' (2021) ↩
- 11
- 12
Annett Polaszewski-Plath: How companies can overcome language barriers to tap into global talent pools (2021) ↩