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Frag Frida

Warum ist innere Entwicklung so wichtig für Organisationen?

  • Text: Sebastian Klein
  • Illustration: Robert Löbel

In unserer Kolumne Frag Frida geben wir Antworten auf Fragen, die im Kontext Neuer Arbeit immer wieder auftauchen. Diesmal: Wie können Organisationen die Achtsamkeit, Selbstreflexion und emotionale Kompetenz ihrer Mitarbeiter*innen fördern?

Dieser Guide beantwortet folgende Frage

Wir haben verstanden, dass New Work auch Inner Work braucht. Doch wie lässt sich das umsetzen, wenn wir gleichzeitig die Autonomie der Person wahren wollen? Wie können wir die innere Entwicklung der Menschen im Team fördern, ohne daraus einen Entwicklungsimperativ zu machen?

Wenn wir unsere Art, zu arbeiten, verändern wollen, müssen wir uns auf allen Ebenen weiterentwickeln. In Organisationen kommt die innere Entwicklung der Individuen aber häufig zu kurz. Zeit und Geld für etwas zu investieren, das erst einmal wie Nichtstun aussieht, passt nicht ins Leistungsnarrativ. Doch diese Einstellung ist kontraproduktiv: Wenn Strukturen und Prozesse geändert werden, ohne dabei auch die Denkmuster und Haltungen der Menschen in den Blick zu nehmen, kommt es früher oder später zu Problemen.

Äußere Entwicklung, innere Entwicklung

Um konkurrenzfähig zu bleiben, wollen viele Organisationen ihr organisationales Betriebssystem ändern – weniger auf hierarchische Strukturen und mehr auf Eigenverantwortung setzen. Das bedeutet neue Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten, aber es erfordert auch eine ganz andere Selbststeuerung von Mitarbeiter*innen und die Fähigkeit, mit Unsicherheit umzugehen. Vorher verlangte der Job, einfach dem*der Vorgesetzten Folge zu leisten, nun sollen Mitarbeiter*innen in einem komplexen Umfeld selbst Entscheidungen treffen. Von Führungskräften wiederum erfordert das, Kontrolle und damit auch Macht abzugeben.

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Für diese Veränderung ist zentral, dass Menschen lernen, Verantwortung für sich selbst, ihre Handlungen, Gedanken und Gefühle zu übernehmen. Während sie früher vielleicht die Schuld bei anderen suchten, wenn es stressig wurde („Kollege X hat zu spät geliefert, seinetwegen haben wir jetzt alle Stress.“), übernehmen sie nun selbst Verantwortung und suchen nach einem konstruktiven Umgang mit der Situation: „Ich empfinde die Situation als stressig und fühle mich frustriert und angespannt. Ich versuche, die Situation so zu gestalten, dass sich der Stress auflöst. Danach frage ich mich, was meine Arbeit nächstes Mal erleichtern würde. Ich suche das Gespräch mit X, teile meine Erfahrung und bitte ihn, nächstes Mal früher Bescheid zu sagen, wenn sich etwas verzögert.“

Das erfordert eine konstruktive Kommunikations- und Konfliktkultur. Wenn Konflikte nicht mehr hierarchisch über Bestrafung gelöst werden („Die Chefin wird ein ernstes Wörtchen mit X reden, wenn ich ihr das sage.“), erhöht das auch die Fähigkeit der Organisation, mit hoher Komplexität umzugehen. Eigenverantwortung heißt, dass die Menschen in der Lage sind, anderen ihre Gedanken und Gefühle mitzuteilen und Handlungen daraus abzuleiten. An die Stelle von Strafe und Belohnung, Falsch und Richtig tritt die Vermittlung verschiedener subjektiver Realitäten. Das ist ein gewaltiger Veränderungsprozess, der den Menschen in einer Organisation viel abverlangt.

Was bedeutet innere Entwicklung?

Innere Entwicklung findet permanent bei uns allen statt. Größere Entwicklungsschritte können zum Beispiel durch neue Entwicklungsaufgaben (Verantwortung für ein Kind, Umzug, neuer Job etc.), aber auch durch persönliche Krisen (Trennung, Jobverlust, Depressionen etc.) angestoßen werden. Aus der Erfahrung, dass alte Glaubenssätze und Strategien uns nicht mehr gut durchs Leben navigieren, kann die Offenheit entstehen, sie zu verändern.

Praktiken wie Meditation und Yoga oder Psychotherapie führen bei vielen Menschen ebenfalls zu mehr Achtsamkeit und innerer Entwicklung. Und es gibt auch Menschen, die sagen, dass innere Entwicklung bei ihnen durch Erfahrungen mit Psychedelika oder Methoden wie dem holotropen Atmen angestoßen wurde.1 All diese Praktiken haben gemein, dass sie uns aus dem Autopilotenmodus herausholen, uns einen Schritt zurücktreten und gewissermaßen von außen auf uns selbst – unser Verhalten, Denken und Fühlen – blicken lassen.

Innere Entwicklung bedeutet einen Schritt zurücktreten und von außen auf uns selbst – unser Verhalten, Denken und Fühlen – zu blicken.

Integrale Theorie und Spiral Dynamics

Zwei Modelle der Integralen Theorie können helfen, organisationale Veränderung und innere Entwicklung als Teile eines gemeinsamen Prozesses in einer Organisation zu verstehen.

Das Vier-Quadranten-Modell2 legt nahe, dass es für Veränderungsprozesse immer den Blick auf das Außen und das Innen sowie das Individuelle und das Kollektive braucht. Aus diesen Achsen ergeben sich vier Quadranten (Haltung/Einstellung, Verhalten/Fähigkeiten, Kultur/Werte, Strukturen/Prozesse), die miteinander in Wechselwirkung stehen. Wenn beispielsweise beschlossen wird, dass sich die Organisation in ihrer Kultur sowie ihren Strukturen verändern soll, dann müssen sich auf individueller Ebene nicht nur das Verhalten und die harten Fähigkeiten anpassen, sondern es muss auch innere Entwicklung stattfinden.

Frederic Laloux stellt in seinem Buch Reinventing Organizations das Spiral-Dynamics-Modell vor, das eine kollektive Evolution der Menschheit beschreibt.

Das Modell basiert auf der Idee, dass jede Entwicklungsstufe – z.B. der Übergang einer starren Hierarchie in ein flexibleres Rollenmodell – neue organisationale Praktiken erfordert. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass sich das Betriebssystem der Organisation ändern und die aktuelle Kultur ein Update bekommen soll. Ein erfolgreicher Veränderungsprozess lässt sich nun entlang der vier Felder verfolgen. Dabei wird auch klar, wie innere Entwicklung und organisationale Veränderung zusammenhängen.

Die gewünschte Veränderung einer Organisation führt zu einer Veränderung im Feld Strukturen und Prozesse, die dann eine Veränderung beim Individuum nach sich zieht: Verhalten und Fähigkeiten müssen sich anpassen. Das wiederum setzt voraus, dass auch eine Entwicklung auf Ebene der Haltung und Einstellungen stattfindet. Erst wenn das passiert ist, haben sich Kultur und Werte der Organisation wirklich geändert. Nur wenn alle Felder mitziehen, funktioniert das Update des organisationalen Betriebssystems.

Im Beispiel könnte das konkret so aussehen:

Auch für die Frage, entlang welcher Achsen die innere Entwicklung eigentlich stattfindet, gibt es Modelle. Ein prominentes sind die IDGs, Inner Development Goals, die als Ergänzung zu den SDGs (Sustainable Development Goals, Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen) entwickelt wurden. Das Modell schlägt folgende Entwicklungsachsen vor:3

  • Being: Selbststeuerung, Beziehung zu uns selbst
  • Thinking: kognitive Fähigkeiten
  • Relating: sich um andere sorgen und kümmern
  • Collaborating: Fähigkeit zur Zusammenarbeit und sozialen Interaktion
  • Acting: wirksam werden

Wer tiefer einsteigen will, kann die fünf Entwicklungsfaktoren auch weiter aufklappen, darunter liegen jeweils noch vier bis fünf Aspekte, an denen sich konkret arbeiten lässt.4

Gibt es einen Entwicklungsimperativ?

Manche Organisationen haben einen klaren Entwicklungsimperativ: Nur wer sich wie vorgeschrieben entwickelt, hat einen Platz in der Organisation. In großen Strategieberatungsunternehmen habe ich erlebt, dass Mitarbeiter*innen sich gemäß einer ihnen diktierten Schablone entwickeln mussten, um Karriere zu machen – wer es nicht schafft, in die Schablone hineinzuwachsen, verfehlt die nächste Karrierestufe.

Ein solcher Entwicklungsimperativ ist entmündigend und steht dem hier beschriebenen Gedanken, dass sich Menschen in die Eigenverantwortung hinein entwickeln sollen, komplett entgegen. Es ist auch nicht empfehlenswert, die innere Entwicklung zum Teil der Leistungskultur zu machen, nach dem Motto: Wer meditiert länger, wer ist achtsamer mit den eigenen Gefühlen, wer kann gewaltfreier kommunizieren? Wenn innere Entwicklung zum Wettbewerb wird, verfehlt sie ihren eigentlichen Zweck. Es geht ja gerade darum, alte Devisen wie „Wir stehen alle im Wettbewerb miteinander“ oder „Jedes Problem hat eine*n Schuldige*n“ durch neue zu ersetzen: „Wir arbeiten auf ein gemeinsames Ziel hin.“

So toxisch ein Entwicklungsimperativ ist, so wichtig ist es andererseits zu erkennen: Menschen, die sich gegen jede Art von eigener Entwicklung sträuben und Eigenverantwortung ablehnen, können keine tragende Rolle in einer Organisation spielen, die ihr Betriebssystem grundlegend ändert. In einer Organisation, die innere Entwicklung als Kernelement der Zusammenarbeit sieht, sollte das allen klar sein. Bereits im Recruiting sollte über Werte und Entwicklung gesprochen werden. Und es sollten Entwicklungsangebote gemacht werden.

Welche Routinen und Praktiken können Organisationen konkret nutzen?

Viele Unternehmen legen heute Wert auf die Entwicklung ihrer Führungskräfte und schulen sie in Selbstreflexion, Achtsamkeit und emotionaler Kompetenz. Sinnvoll wäre es, diese Entwicklungsthemen für alle Menschen in der Organisation mitzudenken. Achtsamkeit und Selbstreflexion können niedrigschwellig zum Teil der Praktiken und Routinen gemacht werden. Jedes Meeting mit einem ehrlichen Check-in zu starten oder auch mal eine kleine Meditation oder nur drei achtsame Atemzüge an den Anfang jedes Meetings zu stellen, lässt sich leicht umsetzen. Diese Mikropraktiken können zum Beispiel von der Rolle „Achtsamkeitsbotschafter*in“ in die Teams getragen werden. Auch ein Buddy-System, in dem Menschen zu zweit regelmäßig über die eigene Entwicklung reflektieren, kann helfen.

Unternehmen können aber auch vertiefende Angebote schaffen, wie Meditationssessions oder Emotions-Check-ins, in denen Menschen offen darüber sprechen, wie es ihnen gerade geht. Sie können Formate wie den „Inner Development Circle“ starten, also Kleingruppen, die sich in einem vertraulichen Rahmen in Selbstreflexion und achtsamer Kommunikation üben.

NN-Emotions-Check-in

Solche Formate können auch in längeren Retreats stattfinden, bei denen Gruppen oder ganze Teams sich gleich mehrere Tage für das Thema innere Entwicklung Zeit nehmen. Da das auch überfordernd sein kann, sollten solche Angebote nur von Fortgeschrittenen wahrgenommen werden. Für alle anderen braucht es erst einmal niedrigschwellige Formate.

Darüber hinaus lässt sich das Thema innere Entwicklung aber auch in internen Prozessen und Praktiken mitdenken: Bereits beim Recruiting sollte abgefragt werden, ob die Person bereit ist, auch diesen Teil der Arbeit zu machen.

Auch in Feedback-Prozessen oder 1:1-Meetings kann das Thema eingebaut werden. Hier sollte es um die Entwicklung der einzelnen Personen gehen: Wo stehen sie gerade und welche inneren Entwicklungsaufgaben haben sie?

Was bei alledem ein wirklich gutes und hilfreiches Tool ist: die gewaltfreie Kommunikation (GfK). Sie verbindet in der Grafik die beiden Felder, die beim Individuum liegen. Bei der GfK geht es darum, neue (kommunikative) Fähigkeiten zu erlernen, aber gleichzeitig wird auch eine neue Haltung eingeübt. Die Kommunikationsskills der Mitarbeiter*innen sind zentral für selbstorganisiertes Arbeiten und außerdem ein niedrigschwelliger Einstieg am Anfang eines entsprechenden Transformationsprozesses.

Innere Entwicklung sollte nicht mit Wellness verwechselt werden. Es geht hier nicht darum, alle immer glücklich zu machen. Entwicklung ist immer auch mit Herausforderungen verbunden und kann unangenehm sein. Aber der Aufwand lohnt sich, denn das Ergebnis sind Organisationen und Menschen, die besser mit den Herausforderungen unserer Zeit umgehen können.

Inner Development Circle

Input-Geber*innen

  • Anna Gottschalg hat Psychologie studiert und war bei trivago fünf Jahre lang für das Thema Organisationsentwicklung und Kultur zuständig. Sie ist Mitgründerin von brafe.space und leadership.sprouts, zwei Organisationen, die sich auf das Thema innere Entwicklung bei Gründer*innen fokussieren.
  • Angel Hernandez ist Coach und Mitgründer von Connected Business. In seiner Arbeit unterstützt er Einzelpersonen und Unternehmen dabei, mehr Achtsamkeit und emotionale Intelligenz aufzubauen. Dabei bezieht er auch die Weisheit indigener Kulturen und buddhistische Lehren mit ein.

Zum weiterlesen

  • New Work needs Inner Work von Joana Breidenbach und Bettina Rollow
  • Reinventing Organizations von Frederic Laloux
  • Inner Development Goals

FUßNOTEN

  • 1

    Weil wir hier nichts Illegales propagieren wollen, empfehlen wir das holotrope Atmen, oft auch als „Breathwork“ bezeichnet. Die Methode soll Geisteszustände produzieren, die von Psychedelika verursachten Zuständen ähneln.

  • 2

    Das Modell stammt ursprünglich von Ken Wilber und wurde von Christiane Seuhs-Schöller auf den Organisationskontext angepasst

  • 3
  • 4

    Die gemeinnützige Ekskäret Foundation, die die Entwicklung und Verbreitung der IDGs vorantreibt, bietet auch eine App an, mit der sich individuell an den IDGs arbeiten lässt.

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