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Eine Figur steht breitbeinig mit einem Bein auf einem Bürostuhl
Geschlechtergefühle

Female Leadership: Braucht Führung ein Geschlecht?

Führen Frauen anders oder sogar besser? Können Männer weiblich führen? Und braucht Führung überhaupt ein Geschlecht?

Nach der Finanzkrise 2008 machte sie die Runde und in der jetzigen Pandemie taucht sie wieder auf: Die Idee, dass Frauen die besseren Führungspersonen sind. Von Frauen regierte Länder wie Neuseeland, Finnland oder Taiwan scheinen die Pandemie besser zu bewältigen und die Bevölkerung stärker zu schützen. Für diese Ergebnisse soll auch eine Rolle spielen, dass in diesen Ländern Frauen allgemein mehr an Machtpositionen beteiligt sind.

Wird die Welt mit mehr Female Leadership also zu einem besseren Ort?

Traditionell wird Führung mit Männlichkeit gleichgesetzt. Die Eigenschaften, die es braucht, um Chef*in zu sein, werden eher Männern zugeschrieben: Problemlöse- und Analysefähigkeit, Durchsetzungsstärke, die Fähigkeit, Gefühle beiseitezuschieben, um ein Ziel zu erreichen, aber auch negative Seiten wie Rücksichtslosigkeit, Egoismus und übermäßige Risikobereitschaft, die zu Finanzkrisen, Kriegen und Umweltzerstörung führen.

Frauen in Führungspositionen wird mehr Umsicht, Besonnenheit, Empathie oder Fürsorglichkeit zugeschrieben. Immer lauter wird daher der Ruf nach Female Leadership, um den Schaden auszubessern, den mächtige Männer angerichtet haben. Doch was steckt eigentlich hinter dem Begriff? Geht es nur um mehr Frauen in Führungspositionen oder eine andere Art zu führen? Und ist es überhaupt sinnvoll, Führung ein Geschlecht zu geben?

Führen Frauen wirklich anders?

Frauen in Führungspositionen waren in den letzten Jahrhunderten die absolute Ausnahme. Heute ist immer noch nur knapp jede dritte Führungskraft in Deutschland eine Frau. Je höher die Hierarchiestufe, desto kleiner der Anteil: Im Jahr 2020 betrug der Anteil von Frauen in den Vorständen der 200 größten deutschen Unternehmen 11,5 Prozent. Das ist eine extreme Ungleichverteilung von Macht.

Zwei Figuren, die Dreiecke und Kreise austauschen

Das Konzept Female Leadership versucht daran etwas zu ändern. Der Begriff macht erstens darauf aufmerksam, dass mehr Frauen in Führungspositionen müssen und dass es genug geeignete Frauen gibt. Für eine fairere (Wirtschafts)welt ist es essentiell, dass Menschen mit verschiedenen Perspektiven und Erfahrungen Positionen mit Entscheidungsgewalt innehaben. Zweitens legt Female Leadership nahe, dass Frauen bestimmte Eigenschaften haben, aufgrund derer sie einen anderen, besseren Führungsstil an den Tag legen als Männer.

Wissenschaftlich belegt sind Unterschiede zwischen Männern, die führen, und Frauen, die führen, nicht. Manche Frauen mögen aufgrund ihrer Sozialisation als Frau in der Arbeitswelt hier und da andere Werte, Eigenschaften oder Verhaltensweisen aufweisen als manche Männer. Doch diese Unterschiede werden durch die Betonung von inhärent weiblichen Führungsqualitäten überhöht und verallgemeinert – während gleichzeitig alle Menschen zwischen und jenseits der beiden Kategorien männlich und weiblich außen vor gelassen werden.

Eine Figur, eingeengt von vielen Kreisen und Dreiecken

Die Geschichte von Male Leadership

Dass Frauen und Männer prinzipiell verschieden sind, ist eine relativ junge Idee. Bis zum 18. Jahrhundert war ein Ein-Geschlechter-Modell verbreitet,1 in dem Männer und Frauen als ein Menschengeschlecht verstanden wurden. Männer galten allerdings als die perfekten Menschen und Frauen als die weniger vollkommene Abstufung des gleichen Geschlechts.

Unsere heutige Vorstellung von zwei Geschlechtern ist mit dem Aufstieg des Bürgertums entstanden. Erst da wurden Männer und Frauen verschiedene, komplementäre Eigenschaften zugeschrieben. Um trotz und emanzipatorischer Bürgerrechtsbewegungen die Unterordnung von Frauen zu sichern, wurde eine klare Unterscheidung mit vermeintlich biologischen Grundlagen erschaffen: Der Mann wurde als stark und rational, die Frau als schwach und emotional charakterisiert. Männer gehörten folglich in die Öffentlichkeit, in Führungspositionen, die Politik und an Universitäten, Frauen dagegen an den Herd. Die Bildung von Männern zielte auf Selbstbeherrschung und Disziplin ab, Frauen wurden im Haus auf ihre Rolle als Mutter und Hausfrau vorbereitet.

Die Ungleichheit, die dadurch entstand, wurde als natürlich propagiert und als Begründung für die Aufrechterhaltung der Ordnung benutzt. Bis heute gelten diese Unterschiede als natürlich. Dabei ist es so, dass Jungen lernen, Jungen zu sein und Mädchen lernen, Mädchen zu sein – durch geschlechtsspezifische Spielzeuge, dadurch, wie mit uns umgegangen wird (mit Mädchen wird mehr gesprochen, mit Jungs rabiater gespielt), welches Verhalten von unserer Umgebung als angemessen bewertet wird, und durch Vorbilder in unserer Familie, in Filmen etc.2

Durch diese Art der Sozialisation lernen Frauen von klein auf, sich eher empathisch, kooperativ und fürsorglich zu verhalten, Männer eher, sich dominant, durchsetzungsstark und rational zu verhalten. Das Geschlecht, das wir zugeschrieben bekommen haben und in dem wir leben, beeinflusst, was die Welt von uns erwartet, wie wir behandelt werden und wie wir uns verhalten.

Auch nehmen wir die gleichen Verhaltensweisen bei verschiedenen Geschlechtern verschieden wahr: Männer gelten als kompetenter, vor allem, wenn sie männlich konnotierte Eigenschaften zeigen. Um bei einem Bewerbungsgespräch als Führungskraft als kompetent wahrgenommen zu werden, reicht es nicht, ein Mann zu sein, der Mann muss sich auch männlich verhalten. Verhält er sich eher stereotyp weiblich, betont Kooperation und Partizipation, schneidet er schlechter ab als Männer, die stereotyp männlich auftreten. Frauen, die männlich auftreten, schneiden schlechter ab als Männer, die männlich auftreten, weiblich auftretende Frauen werden als am wenigsten kompetent wahrgenommen.3

Binäre Stereotype engen ein

Wenn Frauen in Führungspositionen sich dann aber nicht stereotyp weiblich, sondern männlich verhalten, wird dies damit erklärt, dass sie sich eben an die männlich geprägte Wirtschaft anpassen müssten. Das mag stimmen, denn die Führungskulturen der meisten Unternehmen befördern immer noch stereotyp männliche Verhaltensweisen. Es bestärkt aber auch die Idee, dass Frauen sich normalerweise nicht so verhalten, sich also auf eine bestimmte Art verhalten sollten.

Bei der Betonung eines weiblichen Führungsstils werden klassische Rollen manifestiert, auf denen unsere geschlechtsspezifische Arbeitsteilung aufbaut. Die Aufteilung in Erwerbsarbeit und Haus- und Fürsorgearbeit ist seit dem Aufstieg des Bürgertums vor etwa 300 Jahren die Grundlage für Geschlechterungerechtigkeit: Frauen kümmern sich, Männer leiten die Geschicke der Welt. Mit dem Verweis auf angeblich inhärent weibliche Führungsqualitäten bleibt diese Arbeitsteilung dann sogar in der Führungsetage erhalten. Ein Bild von weiblicher Führung kann also nicht nur ein positives Modell für mehr Frauen in Machtpositionen sein, sondern schränkt Frauen in Führungspositionen auch ein und manifestiert Stereotype.

Männliche Führungskulturen, adieu!

Je mehr Frauen in Führungspositionen sind, desto stärker werden Vorstellungen reduziert, nach denen Frauen und Führung nicht zusammengedacht werden. Die Konstruktion von Führung als weiblich kritisiert die aktuelle männliche Dominanz und Abwertung von Weiblichkeit. Sie stellt männlich geprägte Normen wie Rationalität in der Wirtschaftswelt infrage – damit sich, hoffentlich, die männerdominierten Unternehmens- und Führungskulturen ändern und Frauen in Machtpositionen nichts Disruptives mehr anhaftet.

Um den Führungsstil aller Frauen zu beschreiben, taugt Female Leadership aber nicht. Frauen in der Führung und ein weiblicher Führungsstil sind nicht identisch. Diese Gleichsetzung kann eine reaktionäre Richtung einschlagen, wenn binäre Stereotype reproduziert statt aufgelöst werden. Ziel sollte doch aber sein, dass Frauen, Männer und alle anderen weniger von geschlechtsspezifischen Normen eingeschränkt werden und sich freier in dieser Welt bewegen können!

Dass Female Leadership so viel Aufmerksamkeit erhält, zeigt, dass wir auf der Suche nach alternativen Werten sind. Das Konzept fungiert als Kontrast zu konventionellen Vorstellungen von Führung und Management und leistet einen Beitrag zur Neudefinition guter Führung. Anstatt aber das Bild des klassischen männlichen Managers wieder und wieder nachzuzeichnen und dagegen das Bild einer weiblichen Führungskraft zu setzen, könnten wir uns mehr darauf fokussieren, welche Führungsstile wichtig sind.

Auch ein Mann kann sich aus der eigenen Komfortzone bewegen und mit den Eigenschaften führen, die Female Leadership betont. Wer mit Female Leadership eigentlich Werte wie Partizipation, Empathie, Kooperation oder Bedürfnisorientierung meint, sollte dies auch so benennen – und nicht Führung ein neues Geschlecht verpassen und damit Stereotype reproduzieren.

Drei Figuren, die jeweils eine eigene Form über sich schweben haben

Takeaways

  • Führung wird traditionell mit Männlichkeit assoziiert. Female Leadership ist ein Gegenmodell zu dieser Vorstellung von Führung.
  • Dabei geht es darum, mit mehr weiblichen Führungskräften Macht gerechter zu verteilen. Female Leadership hebt (mögliche) positive Eigenschaften von Frauen in Führungspositionen hervor, beispielsweise Umsicht und Kooperation.
  • Female Leadership ist nicht gleich dem Führungsstil aller Frauen. Durch die Gleichsetzung werden Stereotype manifestiert und alle Menschen zwischen und jenseits von Mann und Frau ausgeschlossen.
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