Brauchen wir Meetings für wichtige Entscheidungen? Ist es immer gut, sich aktiv zu beteiligen? Und sind die Hälfte aller Meetings wirklich überflüssig? Wir klären auf.
Bei Videomeetings sollte die Kamera immer an sein.
Das ist korrekt, zumindest wenn ein Gefühl der Zugehörigkeit unter den Teilnehmenden entstehen soll, wie etwa bei Community-Events.1 Dass wir zu einer Person, deren Gesicht, deren Mimik und Gestik wir sehen, eher eine Beziehung aufbauen, als zu einer grauen Kachel, ist keine Überraschung.
Doch gerade das Gefühl, unter Beobachtung zu stehen, macht Videokonferenzen laut einem Feldexperiment für Frauen und neue Mitarbeiter*innen anstrengender.2 Während Corona ist dies, gerade im angloamerikanischen Raum, als zoom fatigue in den Sprachgebrauch eingegangen.
Doch auch bei Aufgaben, bei denen es um eine konkrete Problemlösung geht, bleibt die Kamera besser aus. Vermutlich entstünden so weniger Reize, die die Menschen ablenken, mutmaßen Autor*innen einer anderen Studie.3 Menschen, die Videomeetings moderieren, sollten entsprechend dem Meetingzweck überlegen, ob eingeschaltete Kameras förderlich sind.
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Magazin kostenlos lesenDie Hälfte aller Meetings sind überflüssig.
Einer Umfrage des Unternehmens Slack 4 von 2023 zufolge ist dieser Mythos ziemlich nah an der Realität: 43 Prozent aller Meetings könnten dem Empfinden der Befragten nach ersatzlos gestrichen werden – bei Führungskräften sei die Zahl sogar noch höher. Dafür wurden über 18.000 Menschen aus zehn Staaten, vor allem aus dem globalen Norden, befragt. In Deutschland stuften die Befragten immerhin 36,5 Prozent der Meetings als unnötig ein.
Ganz ohne Meetings geht's aus nicht.
Zwar führen immer mehr Unternehmen meetingfreie Tage ein, die für Stillarbeit genutzt werden sollen – ganz ohne macht es aber niemand … also fast niemand. Der CEO Sahil Lavingia von Gumroad, einer US-amerikanischen Vertriebsplattform, behauptet, seine Firma komme ganz ohne Meetings aus. Seine etwa 35 Angestellten kommunizierten ausschließlich per Text, Bild und Code. Jede*r schreibt gut und viel – und antwortet innerhalb eines Tages. Bis heute scheint das so zu funktionieren.
Dafür gibt Lavingia die Richtung aber auch ziemlich klar vor: Alle Aufgaben sind auf das Ziel ausgerichtet, den Verdienst der Creator auf Gumroad zu erhöhen. Wer nicht liefert, muss mit einer Nachricht von Lavingia rechnen. Menschliche Interaktion ist zudem vollständig auf die funktionale Komponente beschränkt: Es geht ausschließlich darum, konkrete Aufgaben abzuarbeiten. Unter bestimmten Voraussetzungen geht es also auch ohne Meetings. Das mag für die Teilzeitbeschäftigten und Freelancer*innen von Gumroad okay sein, kommt für viele Organisationen aber nicht infrage.
Wichtige Entscheidungen sollten wir gemeinsam in Meetings treffen.
Nicht unbedingt. Die Sozialwissenschaftlerinnen Annegret Bolte und Judith Neumer haben zur Entscheidungsfindung in Meetings geforscht, und zwar in Unternehmen verschiedener Größe (60 bis 100.000 Mitarbeiter*innen).5 Einen Entscheidungsprozess vollständig in ein Meeting zu überführen, halten sie für keine gute Idee. Die Autorinnen führen in ihrer empirischen Studie mehrere Gründe an:
- Informationsüberflutung: Zu viele Perspektiven erhöhen die Komplexität und erschweren Entscheidungen.
- Unklare Kompetenzen: Unsicherheit über Entscheidungsbefugnisse führt zu Verzögerungen.
- Entscheidungsangst: Furcht vor Fehlern und Konsequenzen blockiert Entscheidungsprozesse.
- Absicherungskultur: Meetings dienen oft der Rechtfertigung statt der Entscheidungsfindung.
Stattdessen empfehlen die Autorinnen, zunächst relevante Ansprechpartner*innen informell zu kontaktieren. Dies ermögliche offene Gespräche, flexible Planung und Zeitersparnis. Ein formelles Meeting zur endgültigen Entscheidungsfindung kann bei Bedarf folgen, sollte aber angekündigt werden. So können sich alle Beteiligten vorbereiten und wichtige Informationen vorab einholen, was den gesamten Entscheidungsprozess effizienter gestaltet.
Brainstormings sind gut, um Ideen zu generieren.
Mal eben schnell ein Brainstorming machen, um im Meeting gemeinsam kreativ zu sein – das funktioniert in der Regel nicht. Zwei Phänomene der Sozialpsychologie erklären, warum:
- Production blocking: Wenn nur eine Person sprechen darf, wie beim Brainstorming, blockiert das die Ideenfindung der anderen. Anstatt frei zu assoziieren, bin ich gezwungen, mich mit den Ideen der Person auseinanderzusetzen, die gerade an der Reihe ist.
- Soziales Faulenzen: In Gruppen strenge ich mich weniger an, ein gemeinsames Ziel zu erreichen, weil ich mich bewusst oder unbewusst darauf verlasse, dass irgendjemand in der Gruppe schon eine gute Idee haben wird – und ich mich selbst deswegen also nicht aktiv einbringen muss.
Umgehen lassen sich solche Phänomene, indem die Kreativarbeit in Stille geschieht und die Gruppenmitglieder erst danach ihre Ergebnisse zusammentragen.6
Meetings im Stehen sind effizienter.
Meetings im Stehen produzieren gleichwertige Ergebnisse in kürzerer Zeit, das haben Wissenschaftler*innen der University of Missouri herausgefunden. Die Forscher*innen resümieren: Ausschlaggebend war, dass die Gruppen selbst entscheiden konnten, wie lange das Meeting dauern sollte. Und doch war keines länger als 20 Minuten.
Zur Generalisierbarkeit sagen die Forscher*innen einschränkend, je höher die Komplexität des Problems bzw. der notwendigen Entscheidung, desto länger das Meeting, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Meetings im Stehen die Qualität negativ beeinflussen – weil die Leute nicht mehr stehen wollen und schlechtere Lösungen dadurch zunehmend attraktiver werden. Solange die Problemstellung aber klar umrissen und überschaubar sei, wären Meetings im Stehen das Mittel der Wahl, so das Fazit.
Je mehr Meetings, desto wichtiger die Person.
Überraschenderweise gibt es hierzu nur wenige seriöse Untersuchungen, aber die Aussage steht nicht infrage: Laut Harvard Business Review verbringen Führungskräfte 50 Prozent mehr Zeit in Meetings als der Durchschnitt der Mitarbeiter*innen.8
Ein Artikel im Journal of Management Development9 argumentiert, dass dies vor allem daran liegt, dass Meetings in Organisationen das zentrale Steuerungsinstrument sind. Führungskräfte wirken also in Meetings. Wären sie nicht in vielen, würden sie ihren Job nicht tun.
Entsprechend sei die Qualität der Meetings ein Gradmesser für die Qualität der Führung. Aber was ist mit Unternehmensleiter*innen, die das Tagesgeschäft delegieren und sich lieber auf die langfristige Strategie konzentrieren? Oder der Selbstorganisation, deren Kerngedanke ist, dass sich Organisationen aus sich selbst heraus steuern, Klarheit also durch Prozesse und Rollen entsteht – nicht durch Führungskräfte? Die Anzahl der Meetings ist damit kein sicheres Zeichen für die Stellung in der Organisation, in vielen Fällen aber ein Indiz.
Stand-up-Meetings sind wichtig, um Teams auf einen Stand zu bringen.
Das Konzept allmorgendlicher Meetings stammt aus dem agilen Projektmanagement, insbesondere dem Scrum-Framework. Diese kurzen Zusammenkünfte, oft als Daily Stand-up oder Daily Scrum bezeichnet, helfen den Teammitgliedern dabei, den Überblick zu behalten, indem sie folgende Fragen beantworten: Was habe ich gestern gemacht? Was werde ich heute machen? Was blockiert mein Vorankommen? Sie dauern typischerweise nicht länger als 15 Minuten.
Eine Studie, für die 60 Menschen interviewt und 79 Daily Stand-ups ausgewertet wurden, bestätigt, dass sie positive Effekte auf den Informationsfluss, die Problemlösung und Aufgabenkoordination haben. Dieselbe Studie zeigt aber auch, wann Stand-ups als störend wahrgenommen werden: wenn sie dazu dienen, Bericht zu erstatten, wenn sie zu häufig stattfinden und zu lang sind.
Auf Grundlage ihrer Befunde machen die Forscher*innen einige Vorschläge: Die Meetings sollten möglichst kurz gehalten werden, eine Viertelstunde also nicht übersteigen. Sie sollten nicht häufiger stattfinden als nötig – auch wenn sie Daily Stand-ups heißen. An Tagen, an denen die Teammitglieder kaum am Projekt arbeiten, sollte also auch kein Stand-up stattfinden. Und – das ist wohl die überraschendste Erkenntnis – die erste Frage (Was habe ich gestern gemacht?) kann ganz ausgelassen werden. Sie nimmt viel Zeit ein, bringt das Projekt aber nicht voran. Außerdem führe es dazu, dass die Stand-ups als Status-Update-Meetings wahrgenommen würden.10
Es ist immer gut, sich aktiv in Meetings zu beteiligen.
Wenn aktive Beteiligung Zuhören bedeutet, ist dieser Mythos unumstößlich. Die Beteiligung aber mit zahlreichen Wortmeldungen zu bezeugen, ist keine gute Idee. Wortmeldungen sollten kein Selbstzweck sein, denn wenn man nichts zu sagen hat, was das Meeting inhaltlich voranbringt, sollte man es auch nicht tun: Das hält die anderen nur auf.
Allerdings, da kann der Autor aus eigener Erfahrung sprechen, fällt es ihm bedeutend leichter, sich zu konzentrieren, wenn er zumindest ab und zu etwas sagt. Hier können zwei Dinge helfen: Check-ins und Check-outs, bei denen jede*r gefragt ist, sich kurz zu beteiligen. Und ganz genau zu hinterfragen: Wenn ich regelmäßig in einem Meeting nichts zu sagen habe, brauche ich, braucht mich das Meeting dann wirklich?