Was kommt nach der Karriereleiter? Unsere neue Ausgabe ist da!

Illustration eines Kopfes, in dem andere Menschen rumhüpfen und einer Tasse Kaffee, in die eine Pille geworfen wird.
Fokus

Elf Fokusmythen im Faktencheck

  • Text: Paul Fenski
  • Input-Geberin: Beatrix Keweloh
  • Illustration: Kati Szilágyi

Dauert es wirklich 23 Minuten, bis man nach einer Ablenkung wieder konzentriert arbeiten kann? Haben wir die besten Ideen unter der Dusche? Hilft Ritalin beim Denken? Und sind uns Goldfische inzwischen überlegen? Wir klären auf.

1. Traubenzucker ist Gehirnnahrung.

☝ Teilweise richtig

Stimmt. Allerdings bedeutet das nicht, dass Traubenzucker gegen Denkprobleme hilft. Traubenzucker ist einfach ein anderer Name für Glucose, die Hauptenergiequelle fürs Gehirn. Eine ausgewogene Ernährung mit komplexen Kohlenhydraten aus Vollkorn, Hülsenfrüchten und Gemüse sorgt für eine kontinuierliche und langanhaltende Energieversorgung. Diese Kohlenhydrate werden langsam abgebaut und entsprechend gemächlich verändert sich der Blutzuckerspiegel. Reiner Traubenzucker hingegen peitscht den Blutzuckerspiegel mit Wucht nach oben, was kurzfristig zu einer verbesserten Konzentrationsfähigkeit führen kann. Danach ist das Tal aber umso tiefer. Aus diesem Grund wurde Dextro Energy im Jahr 2016 der folgende Slogan verboten: „Glucose trägt zu einem normalen Energiegewinnungsstoffwechsel bei.“ Besonders catchy war der eh nicht.

2. Die besten Ideen kommen unter der Dusche.

✅ Richtig

Oder beim Baden, so wie bei Archimedes. Der griechische Gelehrte hat angeblich das Prinzip des Auftriebs entdeckt, als er in die Badewanne gestiegen ist. Danach lief er nackt durch die Straßen und schrie „Heureka!“ („Ich habe es gefunden!“). Newton entdeckte bekanntlich das Gravitationsgesetz, als er sich in der Natur entspannte und ihm ein Apfel auf den Kopf fiel. In der Psychologie gibt es dafür einen Namen: Inkubationseffekt. Er tritt ein, wenn man nicht aktiv nach einer Lösung für ein Problem sucht. Einige Wissenschaftler*innen gehen davon aus, dass währenddessen verschiedene Hirnregionen zusammenwirken, was die Kreativität fördert. Das funktioniert umso besser, je anspruchsloser die Tätigkeit ist, der wir uns gerade widmen: also etwas, das automatisch abläuft und wenig Gehirnkapazität beansprucht. Wie eben duschen, baden oder unter einem Apfelbaum sitzen (ohne Helm).

3. Frauen sind besser im Multitasking.

❌ Falsch

Ein beliebtes Argument von Männern, wenn es darum geht, wer den Haushalt schmeißt. „Die Kinder erziehen, das Haus putzen und Klamotten waschen, das würde ich niemals unter einen Hut kriegen. Unfassbar! Wie machst du das nur?“ Praktischerweise liefert der Mythos den perfekten Grund, den Frauen mehr Aufgaben im Haushalt zuzuschieben. Das ist dann auch nicht ungerecht, sondern „kompetenzbasierte Rollenverteilung“. Dabei ist der Mythos hanebüchen. Studien zeigen: Im Multitasking sind Männer und Frauen gleich schlecht. Denn Menschen können sich nicht gleichzeitig auf mehrere Aufgaben konzentrieren. Davon ausgenommen sind nur Automatismen wie das Atmen, die vom vegetativen Nervensystem übernommen werden. Stattdessen müssen wir zwischen Aufgaben wechseln – und das führt zu Fehlern. Geschlechtsspezifische Unterschiede gibt es hierbei keine.

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4. Nach Ablenkungen dauert es 23 Minuten, bis man wieder voll bei der Sache ist.

❌ Falsch

Dieser Mythos schließt wunderbar an den vorangegangenen an: Beim Multitasking erledigt man nichts gleichzeitig, sondern wechselt sehr schnell zwischen Aufgaben (Taskswitching). Wer abgelenkt wird, macht im Grunde nichts anderes: Der Fokus der Aufmerksamkeit verschiebt sich für einen Moment. Der Mythos besagt: Es dauert ganze 23 Minuten, bis die betroffene Person wieder voll auf die eigentliche Aufgabe konzentriert ist. So zumindest hat das Wall Street Journal eine Studie der Psychologin Gloria Mark von der University of California aus dem Jahr 2008 interpretiert. Und die New York Times hat es abgeschrieben. Das Problem: Das Gegenteil ist wahr. Die Proband*innen waren nach der Unterbrechung sogar schneller darin, die Aufgabe zu erledigen (durchschnittlich etwa 20 statt 23 Minuten). Wie kann das sein? Mark und ihre Co-Autor*innen interpretieren ihre Ergebnisse so: „Wenn Menschen ständig unterbrochen werden, entwickeln sie eine Arbeitsweise, um die verlorene Zeit zu kompensieren.“ Der Preis dafür sei aber Stress und das Gefühl einer hohen Arbeitsbelastung.

5. Kaffee macht produktiver.

☝ Teilweise richtig

Das im Kaffee enthaltene Koffein blockiert die Rezeptoren, die dafür verantwortlich sind, dass wir müde werden. Wir können also länger oder auch zu Zeiten arbeiten, in denen wir sonst schlafen. Das ändert aber nichts daran, dass sich unser Körper nach Erholung sehnt. Wir bekommen die Signale nur nicht mehr so deutlich mit. Darunter leidet wiederum der Schlaf. Kurzzeitig kann Kaffee also die Müdigkeit verdrängen und uns produktiver machen. Unter zu viel Kaffee hingegen leidet unser Körper langfristig. Wer sechs Tassen oder mehr am Tag trinkt, muss eine geringere Gehirnleistung fürchten und hat ein erhöhtes Risiko, an Demenz zu erkranken. Das gilt übrigens auch für grünen und schwarzen Tee.

6. Musik verbessert die Konzentration.

☝ Teilweise richtig

Es gibt zwei Formen der Ablenkung. Die innere, bei der man immer wieder abschweift. Und die äußere, bei der man abgeschweift wird. Vor allem gegen das innere Abschweifen kann Musik helfen. Sie kann aber auch selbst zum Störfaktor werden. Bei repetitiven Aufgaben hebt Musik die Stimmung, bei intellektuellen Aufgaben wie Lesen oder Rechnen lenkt sie eher ab. Wenn du also merkst, dass du unkonzentriert bist, solltest du kurz innehalten und überlegen, welche Art von Ablenkung du gerade erlebst. Und welche Musik dir dabei helfen könnte. Dein Lieblingssong Saudi Arabi Money Rich von Haftbefehl ist vielleicht genau das Richtige für eine Routineaufgabe, aber nicht, wenn du den Text deiner Kollegin überarbeiten musst.

7. Menschen haben eine geringere Aufmerksamkeitsspanne als Goldfische.

❌ Falsch

Dieser Mythos basiert vor allem auf zwei Vorurteilen, nämlich dass digitale Medien die Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigen würden und dass Goldfische ziemlich dumm seien. Vermutlich ist das der Grund dafür, dass diese haltlos aufgestellte Behauptung so weite Verbreitung gefunden hat. Ursprünglich stammt sie aus einer Marketing-Untersuchung von Microsoft Kanada aus dem Jahr 2015. Das Problem: Weder definiert die Autorin, was Aufmerksamkeitsspanne genau heißt, noch liefert sie einen Beleg dafür, dass diese Spanne bei Goldfischen neun Sekunden beträgt. Dazu gibt es nämlich gar keine Untersuchungen. Zur menschlichen Aufmerksamkeitsfähigkeit hingegen gibt es reichlich Forschung, und die zeigt: Wir passen unsere Aufmerksamkeit je nach Aufgabe an. Wir können uns zweieinhalb Stunden auf den neuesten Blockbuster konzentrieren, aber auch sehr schnell zwischen verschiedenen Aufgaben hin- und herspringen, wie es in Videospielen oft erforderlich ist.

8. Meditation schärft den Fokus.

✅ Richtig

Eine Metastudie hat ergeben, dass Meditation die exekutiven Funktionen leicht verbessert. Die Neurowissenschaften bezeichnen damit eine Gruppe kognitiver Funktionen, die uns erlauben, gezielt auf äußere Reize und Situationen zu reagieren. Bezogen auf den Fokus bedeutet das, Ablenkungen aktiv entgegenzusteuern und die Aufmerksamkeit bewusst zu steuern. Menschen, die meditieren, sind darin etwas besser. Das zeigt auch ein Experiment, bei dem Proband*innen bereits nach zehn Minuten Meditation die Aufgaben sowohl schneller als auch präziser lösen konnten.1 Wer also zehn Minuten lang Gedanken wie Wolken vorbeiziehen lässt, ist danach umso besser darin, sich einzelne Wolken gezielt vorzunehmen.

9. Wer sich konzentrieren will, muss still sitzen.

☝ Teilweise richtig

„Zappelphilipp“ und „hibbeliger Hampelmann“: Bewegungsdrang wird schon im Kindesalter abgewertet.2 Das ist zwar unfair, gleichzeitig lassen sich Schreib- oder Matheaufgaben oft tatsächlich besser im Sitzen lösen. Aber kann man sich sitzend auch besser konzentrieren? Grundsätzlich fördert Bewegung die Blutzirkulation, und das ist gut fürs Gehirn und damit die Konzentrationsfähigkeit. Das gilt aber nicht unbedingt für den Moment, in dem man sich bewegt. Sitzen ist also per sé kein Konzentrationskiller. Für unsere Konzentration kann Sitzen sogar förderlich sein, nämlich dann, wenn die Bewegung uns ablenken oder darin behindern würde, die Aufgabe auszuführen. Kreative Aufgaben lassen sich hingegen sehr gut während eines Spaziergangs lösen (→ Mythos #2). Und auch bei genereller oder Bildschirmmüdigkeit hilft es, eine Runde zu drehen. Falls du in deinem Alltag aber nur genug Bewegung bekommst, wenn du alle Meetings fortan laufend bestreitest, solltest du zuerst zwei davon durch einen Spaziergang ersetzen, bevor du dir ein Laufband anschaffst.

10. Wir benutzen nur 10 Prozent unseres Gehirns.

❌ Falsch

Fälschlicherweise wird das Zitat „Der Mensch nutzt nur etwa 10 Prozent seiner Gehirnkapazität“ häufig Albert Einstein zugeschrieben. Kolportiert wurde es u.a. von Scientology-Gründer L. Ron Hubbard, Positiv-Denken-Missionar Dale Carnegie und Illusionist Uri Geller. Der genaue Ursprung des Mythos ist unbekannt, vermutlich beruht er auf einer Fehlinterpretation wissenschaftlicher Studien (→ so wie bei Mythos #4). Doch er ist mächtig, weil er ein großes Versprechen in sich trägt: Wir könnten zehnmal klüger, schneller, besser sein – wir müssen nur einen Weg finden, das Potenzial zu entfalten. Klingt toll, ist aber kompletter Humbug. Wenn du das nicht glaubst, schau dir doch einmal die funktionelle Magnetresonanztomografie an, mithilfe derer sich die Gehirnaktivität live verfolgen lässt. Außerdem wäre es doch eine ungekannte Dummheit der Evolution, hätte sie ein Wesen hervorgebracht, das 90 Prozent ungenutzte Masse in einem übergroßen Kopf herumträgt.

11. Ritalin ist Braindoping für Menschen ohne ADHS.

❌ Falsch

Der Wirkstoff in Ritalin ist Methylphenidat und wird zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) eingesetzt. Aber auch unter Menschen ohne ADHS, insbesondere unter Studierenden, ist Ritalin verbreitet, weil es den Ruf hat, die Denk- und Lernleistung zu verbessern. Zu Unrecht, denn Studien zeigen, dass Methylphenidat weder das Lernen noch das Erinnern erleichtert. Ganz ohne Effekt ist es aber nicht: Ähnlich wie Amphetamin macht es wacher und zufriedener und reduziert die Schlafdauer. Das erklärt auch die hohe Verbreitung unter Studierenden. Denn selbst, wenn man objektiv gesehen nicht besser arbeitet, hat man den subjektiven Eindruck, produktiver und effizienter zu sein, einfach, weil Ritalin die Stimmung aufhellt und Müdigkeit unterdrückt. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wird Ritalin „in der Drogenszene […] auch als ‚Ersatz-Speed‘ gehandelt“. Bei Überdosierung komme es zu Krampfanfällen und Herzrhythmusstörungen. Dann vielleicht doch lieber Kaffee.

Input-Geberin

Beatrix Keweloh ist Promovendin der Neurowissenschaft am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam Rehbrücke. Sie forscht zu den Themen Kognition, Fasten, Lernen und Gedächtnis sowie Entscheidungsfindung.

FUßNOTEN

  • 1

    Beim sogenannten Flanker Task müssen die Proband*innen möglichst schnell bestimmen, ob eine Reihe von Pfeilen in dieselbe oder in verschiedene Richtungen zeigt. Dabei müssen sie auch die Richtung der Pfeile bestimmen und angeben, durch Pfeile welcher Richtung die Reihe unterbrochen ist.

  • 2

    Der geschlechtsspezifische Unterschied lässt sich vermutlich dadurch erklären, dass Jungs mit anderen Rollenbildern konfrontiert sind. Von ihnen wird erwartet, dass sie sich raufen, Fußball spielen und Autoritäten infrage stellen. Mädchen verhalten sich „schulschlauer“.

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