Was kommt nach der Karriereleiter? Unsere neue Ausgabe ist da!

Schriftzug "10 Lernmythen im Faktencheck" in den Farben rosa, grün, weiß, gelb und orange auf grünem Hintergrund.
Fokus

Zehn Lern-Mythen im Faktencheck

Gibt es wirklich Menschen, die am besten übers Hören oder Sehen lernen können? Lernt man am besten bis kurz vor dem Einschlafen? Macht Mozart wirklich schlau? Und was ist mit der 10.000-Stunden-Regel? Wir klären auf.

1. Gibt es Lerntypen?

❌ Falsch

Auf die Idee mit den Lerntypen kam der deutsche Biochemiker Frederic Vester. In seinem Buch Denken, Lernen, Vergessen behauptete er, jeder Mensch habe bevorzugte Wahrnehmungskanäle, die ihn effektiver lernen lassen, wenn er sie zum Lernen nutzt. Es gibt jedoch fundamentale Kritik an dieser Typologie, denn sie ist in sich nicht schlüssig: Während sich drei der Lerntypen – der visuelle, der auditive und der haptische – auf den Wahrnehmungskanal beziehen, ist der vierte, der sogenannte kognitiv-intellektuelle Lerntyp, der Verarbeitungsvorgang selbst. Sobald man die Typologie in Alltagssprache übersetzt, wird sofort klar, dass hier etwas nicht stimmen kann: „Wie lernst du am besten? Beim Zugucken, Zuhören, Anfassen oder Verstehen?“ Trotzdem gab es einige Versuche, die Typologie zu verifizieren – ohne Erfolg. 1. Was Lernenden allerdings helfen kann, ist, die Perspektive zu wechseln. Wer versucht, anderen etwas gerade Gelerntes zu zeigen oder zu erklären, merkt schnell, wo es im Verstehen noch hapert. Häufig erfindet man dabei eigene Beispiele oder stellt neue Verbindungen zu bekanntem Wissen her. In der Psychologie nennt sich das Elaboration, also Vertiefung von Wissen.

Das Cover unserer Fehler-Ausgabe auf einem Tablet

Hol dir eine kostenlose Ausgabe von Neue Narrative

Magazin kostenlos lesen

2. Lernt man am besten bis kurz vor dem Einschlafen?

✅ Richtig

Es gibt keinen direkten Zugang zum Langzeitgedächtnis. Doch um Wissen dauerhaft parat zu haben, müssen die Informationen vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis übertragen werden. Genau das passiert im Schlaf. Welches Wissen aber langfristig gespeichert wird, hängt vor allem von zwei Aspekten ab: von Emotionen und von der Aufnahmekapazität des Kurzzeitgedächtnisses. Sehr emotionale Ereignisse speichert das Gehirn eher im Langzeitgedächtnis, auch wenn wir sie schon morgens erleben. 2 Da man beim Lernen aber nicht davon ausgehen kann, starke Emotionen zu empfinden, sollte man sich die Italienisch-Vokabeln oder die vier Schritte der gewaltfreien Kommunikation direkt vorm Zubettgehen einprägen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Gehirn sie vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis überträgt. Lernen vor dem Einschlafen ist also eine gute Idee. Endlich eine gute Argumentationsgrundlage, um Lernaufgaben ganz bis ans Ende des Tages zu prokrastinieren!

3. Schadet Lesen in einer dunklen Umgebung den Augen?

☝ Teilweise richtig

Wer lange im Dunkeln liest, kann rote, trockene Augen bekommen, auch Kopfschmerzen können die Folge sein. Denn bei schlechten Lichtverhältnissen neigt man dazu, das Buch sehr nah ans Gesicht zu halten. Das wiederum ist anstrengend für das Auge, weil der Ziliarmuskel die Linse dann sehr straff halten muss, um die Buchstaben trotzdem scharf sehen zu können. Dauerhaft richtet das zwar keinen Schaden an. Was allerdings erwiesenermaßen zu Kurzsichtigkeit führt, ist, viel Zeit in geschlossenen Räumen zu verbringen. Dort ist es nämlich im Allgemeinen, selbst in einem gut beleuchteten Zimmer, zehnmal (!) dunkler als an einem bewölkten Tag draußen. Der genaue Zusammenhang ist zwar noch nicht geklärt, doch bei fehlender Helligkeit wächst der Augapfel und verlängert sich. Dadurch liegt der Punkt, an dem die Lichtstrahlen im Auge gebündelt werden, nicht auf der Netzhaut, wo die Stäbchen und Zapfen sind, sondern kurz davor. Das führt dazu, dass weit entfernte Gegenstände unscharf wahrgenommen werden. Um Kurzsichtigkeit vorzubeugen, empfehlen Expert*innen tagsüber mindestens zwei Stunden an der frischen Luft. 3

4. Sollte ich am Tag vor der Prüfung das Lernen vermeiden?

✅ Richtig

Einen Tag vor der Prüfung einfach mal abschalten, rausgehen, Sport machen: Das ist ein Rat, der häufig von Menschen mit farbigen Textmarkern, Post-its, bunten Lesezeichen und fein säuberlich beschriebenen Karteikarten kommt – Menschen, die schon vor Wochen mit dem Lernen begonnen haben und am Tag vorher „höchstens noch mal kurz“ in die Aufzeichnungen schauen. Zu allem Überfluss gibt der Diplom-Psychologe und Lernexperte Eberhardt Hofmann diesen Menschen recht: „Die Anspannung ist bereits so groß, dass Sie nichts Vernünftiges mehr lernen.“ 4 Gleichwohl gilt: Wenn du eher zum Typ Mensch gehörst, der drei Tage vor der Prüfung überhaupt erst anfängt, ist auch der Tag vor der Prüfung natürlich voller wertvoller Zeit, um irgendwie noch mehr Lernstoff ins Gehirn zu stopfen

5. Hilft Latein dabei, andere Sprachen zu lernen?

☝ Teilweise richtig

Aus dem Lateinischen entwickelten sich die romanischen Sprachen wie Französisch, Portugiesisch und Spanisch. Selbst im Englischen, das eine germanische Sprache ist, stammt fast ein Drittel der am häufigsten verwendeten Worte lateinischen Ursprungs. Lateinische Vokabeln begegnen einem also abgewandelt auch in anderen Sprachen, was sicherlich dazu führt, dass man sie sich dann leichter merken kann. Je höher allerdings der Verwandtschaftsgrad zweier Sprachen ist, desto leichter wird einem das Erlernen der zweiten Sprache fallen. Und moderne, viel gesprochene Sprachen wie Französisch, Portugiesisch und Spanisch haben mehr miteinander gemein als mit ihrem gemeinsamen Ursprung Latein. Je regrette, mais c'est comme ça (Bedaure, aber so ist es nunmal). In einer Studie von 2003 fiel es denjenigen, die Französisch in der Schule gelernt hatten, leichter Spanisch zu lernen als denjenigen, die Latein gelernt hatten. 5 Ita vero (So ist es in der Tat).

6. Trainiert Gehirnjogging mein Gehirn?

❌ Falsch

Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging ist ein Spiel von Nintendo. Zu Beginn des Spieles kann man einen kurzen Test machen, um sein „geistiges Alter“ zu ermitteln. Das Produktversprechen: Regelmäßiges Gehirnjogging erhält nicht nur die geistige Fitness, es verjüngt sogar. Genau vor solchen Behauptungen warnen internationale Kognitions- und Neurowissenschaftler*innen aber in einer gemeinsamen Erklärung. 6 Sie seien „oft übertrieben und bisweilen irreführend“, denn letztlich verbessere man nicht seine Gehirnleistung insgesamt, sondern lediglich die erforderlichen Fertigkeiten, um bestimmte Aufgaben zu lösen. Der positive Transfer, also die Übertragbarkeit des Gelernten auf andere Bereiche, sei eher selten zu beobachten. Stattdessen empfehlen die Wissenschaftler*innen, ein „geistig aktives, sozial engagiertes und körperlich gesundes Leben“ zu führen. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Aber immerhin: Der positive Effekt, den etwa Ausdauerlauf auf die Gehirnfitness hat, ist besser belegt, als viele Gehirnjogging-Angebote mit ihren übertriebenen Versprechen.

7. Werde ich schlechter im Lernen, je älter ich werde?

☝ Teilweise richtig

Das beste Alter zum Lernen erreicht man schon mit drei Jahren. Zu dem Zeitpunkt hat das Gehirn doppelt so viele Synapsen wie das von Erwachsenen. Mit der Zeit nimmt die Synapsendichte wieder ab, dafür wird das Gehirn mit der Zeit effizienter und schneller. Dieser Umbau ist genetisch bedingt und mit etwa Mitte 20 abgeschlossen. Von da an werden größere Veränderungen an der neuronalen Struktur bei gesunden Menschen nur noch durch ihre Erfahrungen, also durch ihr Lernen, bestimmt: Häufig genutzte neuronale Verbindungen werden verstärkt, selten genutzte abgebaut. Das bleibt bis ins hohe Alter so. In einer experimentellen Studie, die die Lernleistung von jungen und alten Menschen vergleicht, konnte das bestätigt werden. Allerdings scheint eine andere Fähigkeit mit der Zeit abzunehmen: Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Im Experiment waren die Jungen besser darin, alles auszublenden, was nicht zur Aufgabe gehörte. 7

8. Macht klassische Musik klug?

❌ Falsch

1993 haben amerikanische Wissenschaftler*innen eine Studie veröffentlicht, nach der allein das Hören von Mozarts Sonate D-Dur für zwei Klaviere (KV 448) schon die Intelligenz steigere: Die visuell-räumliche Verarbeitung der Proband*innen war in einem Test vorübergehend um neun IQ-Punkte gestiegen. Ein aufsehenerregendes Ergebnis, das viele versuchten zu reproduzieren – jedoch vergeblich. So kam die wissenschaftliche Gemeinschaft schließlich zu dem Schluss, dass der sogenannte Mozart-Effekt nicht existiert. Generell gelang es keiner Studie, nachzuweisen, dass Musikhören oder Musizieren die Intelligenz erhöht. Nicht ausgeschlossen ist allerdings, dass bei einigen Menschen Musik für ein sogenanntes Priming sorgt. Beim Priming werden durch einen Reiz implizit (also unbewusst) Gedächtnisinhalte aktiviert, die die Verarbeitung eines darauf folgenden Reizes beeinflussen. Im Rahmen einer Studie bewerteten z.B. Proband*innen, die zuvor für einen kurzen Moment einen heißen Kaffeebecher gehalten hatten, die Persönlichkeit einer anderen Person als signifikant wärmer als jene, die zuvor für einen kurzen Moment einen kalten Kaffeebecher gehalten hatten. Die physische Erfahrung von Wärme und Wärme als metaphorische Eigenschaft einer Person scheinen im Gehirn miteinander verknüpft zu sein. 8 So kann auch das aufmerksame Hören von Musik Hirnareale aktivieren, die z.B. dem Bereich der visuell-räumlichen Verarbeitung naheliegen und dadurch die Aktivierung dieses Areals erleichtern. 9

9. Reichen 10.000 Stunden wirklich aus, um etwas perfekt zu beherrschen?

☝ Teilweise richtig

Aufgestellt hat diese Behauptung 2008 Malcolm Gladwell in seinem populärwissenschaftlichen Buch Outliers: The Story of Success (deutsch: Überflieger). Die Kernaussage der 10.000-Stunden-Regel: Fleiß ist wichtiger als Talent. Wer nur lange genug übt, wird es zur Meisterschaft bringen. Er verweist auf die Beatles, die am Anfang ihrer Karriere in Hamburg etliche Stunden live spielten und acht Jahre nach ihrer Gründung ihr legendäres White Album veröffentlichten – also nach etwa der Zeit, die sie Gladwell zufolge gebraucht hätten, um 10.000 Stunden zu üben. Tatsächlich basierte seine Behauptung auf einer Studie, in der gute und herausragende Violinist*innen daran unterschieden werden konnten, wie viele Stunden sie geübt hatten. Die Studie hatte jedoch methodische Schwächen: In einer Neuauflage mit verbesserter Methodik war der Effekt nicht nachweisbar. 10 Und ob er sich einfach so generalisieren lässt, wie Gladwell es tut, ist fraglich, weil eben auch schwer messbare Faktoren wie das Talent eine große Rolle spielen. 11 Fest steht: Wer lange genug übt, wird auch ohne Talent irgendwann sehr gut sein. Doch die Gitarre zu meistern, macht einen noch nicht zu John Lennon.

10. Lernt man wirklich besser, wenn man Dinge aufschreibt?

✅ Richtig

Man lernt durch Wiederholungen, es ist also sinnvoll, mitzuschreiben, wenn man sich etwas merken möchte. Eine Untersuchung mit Vorschulkindern hat zudem gezeigt, dass Kinder, die Buchstaben per Hand frei schreiben, sie sich besser merken konnten als diejenigen, die die Buchstaben am Computer tippen. 12 Der Grund dafür ist, so vermuten die Studien-Autor*innen, dass die Kinder, die die Buchstaben selbst zeichneten, gezwungen waren, sich mit ihrer Form zu beschäftigen – im Gegensatz zu den Tastatur-Kindern. Der Vorteil der Tastatur ist wiederum, dass man mit ihr viel schneller schreiben kann. Gerade das erwies sich in einer anderen experimentellen Studie mit Studierenden jedoch als Grund dafür, dass Studierende sich den Inhalt eines Vortrags besser merken konnten, wenn sie ihn handschriftlich mitschrieben: Weil sie nicht so schnell tippen können wie gesprochen wurde, mussten sie in kurzen Worten die Kerninhalte zusammenfassen und sich deshalb schon beim Schreiben mit dem Inhalt auseinandersetzen. Sie waren deshalb besser in der Wiedergabe von komplexen Zusammenhängen. 13

Das Cover unserer Fehler-Ausgabe auf einem Tablet

Sichere dir eine Gratis-Ausgabe!

Lust, mal in unserem Magazin zu blättern? In der Ausgabe, die wir dir als PDF zuschicken, geht es um das Thema Scheitern. Niemand spricht gerne über Fehler. Trotzdem passieren sie jeden Tag. Wie lässt sich aus Fehlern lernen?

Große Abo-Aktion

Bis zum 7. Mai erhältst du bei Abo-Abschluss Zugriff auf unser gesamtes Magazin-Archiv dazu.