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Regeneratives Wirtschaften

Ein kräftezehrendes Meeting ist kein regeneratives Meeting

Wer ein Meeting regenerativ gestalten möchte, sollte dafür nicht Menschen aus aller Welt einfliegen lassen, klar. Häufig unbeachtet bleibt jedoch der persönliche Energiehaushalt der Teilnehmer*innen. Ein regeneratives Meeting geht mit ihm nicht nur sorgsam um, es erzeugt darüber hinaus ein Gefühl der Verbundenheit.

Bei Regenerativität geht es nicht nur um ökologische Faktoren, sondern auch um soziale. Das lässt sich gut mit dem sogenannten Donut-Modell der Ökonomin Kate Raworth veranschaulichen, bei dem es darum geht, dass sowohl soziale Grundbedürfnisse gedeckt als auch ökologische Grenzen gewahrt werden müssen: Es kommt nicht nur auf die Verringerung ökologischer Schäden an, sondern auch auf das menschliche Wohlergehen. Alle Menschen müssen beispielsweise genügend zu essen und zu trinken haben, in Frieden leben können und soziale Gerechtigkeit erfahren. Im Unternehmenskontext verstehen wir unter sozialer Regenerativität, dass alle Mitarbeiter*innen psychologische und rechtliche Sicherheit haben, für ihre Arbeit wertgeschätzt werden und in ihrem Arbeitsalltag genügend Raum für Pausen zugesprochen bekommen, um nicht im Burn-out zu landen.

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Da wir ein Remote-Unternehmen sind, finden unsere Meetings bei Neue Narrative ausschließlich online statt und sind deswegen ziemlich ökologisch regenerativ1 – denn die größten Klimakiller in Dienstleistungsunternehmen sind meist Büros, in denen alle Mitarbeiter*innen mit zum Teil langen Anfahrtswegen zusammenkommen. Manche Organisationen lassen Mitarbeiter*innen immer noch für ein einziges Meeting einfliegen. Um unsere Meetings insgesamt regenerativ zu gestalten, konzentrieren wir uns daher eher auf die sozialen Aspekte von Regenerativität. Denn wenn es um unseren persönlichen Energiehaushalt geht, sind Meetings eine der größten Energieschleudern im Arbeitsleben – in unserer Instagram-Umfrage dazu berichten viele von euch, dass sie ihre Meetings als auslaugend und erschöpfend empfinden.2

Der Fokus muss auf sozialer Verbindung liegen

Der Schlüssel zu einer sozial regenerativen Meetingkultur liegt vor allem in der Stärkung der menschlichen Bindungen im Team. Regenerative Meetings vermitteln den Teammitgliedern ein Gefühl von Zugehörigkeit und schaffen Vertrauen in die Zusammenarbeit. Vor allem Unternehmen, in denen viele remote arbeiten, sollten den Fokus darauf legen. Denn die Gefahren für die mentale Gesundheit sind hier tatsächlich größer: Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation von 2021 fühlten sich 44 Prozent der Befragten im Homeoffice einsamer oder sozial isolierter als in Unternehmen mit Büros.
Daran ändern auch mehr Meetings nichts – im Gegenteil: Das Zoom-Fatigue-Phänomen beschreibt einen Zustand mentaler Erschöpfung und ein Gefühl der Isolation durch zu viele virtuelle Meetings, nicht durch zu wenige. Als Erstes sollten sich Unternehmen also fragen: Haben wir zu viele Meetings? Und als Nächstes: Nehmen an unseren Meetings mehr Mitarbeiter*innen teil als nötig?3Besonders in großen Meetings neigen Menschen nämlich dazu, sich unbeteiligt oder entfremdet zu fühlen.

Wie können wir die menschliche Verbindung im Meeting stärken?

Schraubt die Anzahl eurer Meetings also auf das Mindestmaß herunter, bevor ihr euch auf die Qualität der Meetings konzentriert. Bei Neue Narrative haben wir einige konkrete Ideen für regenerative Meetings gesammelt und ausprobiert. Die Tipps richten sich vor allem an die Moderation. Sie funktionieren in Remote-Meetings genauso gut wie in Präsenz:

Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation von 2021 fühlten sich 44 Prozent der Befragten im Homeoffice einsamer oder sozial isolierter als in Unternehmen mit Büros.

Vor dem Meeting

Plane zeitliche Puffer ein

  • Ein Meeting, das unter Zeitdruck stattfindet, kann gar nicht regenerativ sein. Plane daher genügend Zeit für Pausen ein. Manchmal dauern Punkte auf der Agenda außerdem länger, weil der Redebedarf groß ist. Auch das solltest du bei der Zeitplanung berücksichtigen. Überlege dir im Vorfeld, welcher Teil der Agenda besonders wichtig ist und welcher im Zweifelsfall wegfallen kann. Dahinter steht die Haltung, dass das Meeting flexibel an die Bedürfnisse der Teilnehmer*innen angepasst werden kann.

Kündige eine minute to arrive an

  • In der idealen Welt gibt es kaum Back-to-back-Termine und alle haben immer genügend Zeit, sich zwischen zwei Meetings zu erholen. Die Realität sieht jedoch anders aus. Die minute to arrive kann hier helfen: Beginnt das Meeting mit einer gemeinsamen Minute der Stille. Weil der Start von einem Meeting oft die Stimmung des gesamten Meetings bestimmt, könnt ihr damit auch insgesamt eine entspanntere Stimmung herstellen. Wenn das in der Einladung schon angekündigt wurde, kommen Menschen gegebenenfalls sogar direkt mit einer anderen Erwartungshaltung an.

Verbinde dich vor dem Meeting mit dir selbst

  • Wenn du ein Meeting leiten willst, das zu einem Gefühl von Ruhe und Verbindung beiträgt, solltest du als Moderator*in selbst versuchen, diese Haltung in dir zu etablieren. Unser Nervensystem ist durch Koregulation in der Lage, sich an Stimmungen anderer anzupassen – als Moderator*in kann das gezielt genutzt werden.4Nimm dir also direkt vor dem Meeting einen Moment Zeit, um dich darauf einzustellen, deine Rolle mit Gelassenheit und Offenheit zu erfüllen.

Am Anfang des Meetings

Bitte in Remote-Meetings darum, dass alle die Kamera einschalten

  • Es gibt gute Gründe dafür, dass Menschen ihre Kameras in Videocalls nicht einschalten.5Das solltet ihr respektieren. Bitte als Moderator*in am Anfang dennoch alle, ihre Kamera einzuschalten – sofern sie sich damit wohlfühlen. Augenkontakt stärkt die emotionale Bindung und viele Menschen können ihre Mitmenschen besser einschätzen, wenn sie ihre Gesichtsausdrücke sehen können.

Nimm dir Zeit für den Check-in

  • Check-ins haben die Funktion, zur Verbindung zwischen den Teilnehmer*innen beizutragen und allen zu ermöglichen, sich auf den Termin einzustellen. Es ist vollkommen okay, dass ihr eine Standard-Check-in- Frage nutzt, aber wenn du eine neue Frage stellst, rückst du diese Funktion wieder in den Vordergrund. Fordere die Teilnehmer*innen zum Beispiel auf, etwas kleines Persönliches zu teilen („Welchen Tee trinkst du gerade am liebsten?“) oder rege zu einer tieferen Reflexion an („Wann hast du dich zuletzt wirksam gefühlt?“).

Drehe den Check-in um

  • Ein zusätzlicher Tipp, der besonders viel Tiefe in den Check-in bringt: Fordere die Meeting-Teilnehmer*innen auf, in sich selbst hineinzuspüren: „Welche Fragen beschäftigen dich im Moment?“ Wir nennen das Reverse-Check-in. Aber Achtung, dieser Check-in kann länger dauern als ein gewöhnlicher. Es ist also wichtig, dass du hier genügend Zeit einplanst.

Jederzeit im Meeting

Checke die Energie

  • Frage regelmäßig zu Beginn oder in der Mitte von Meetings, wie es allen energiemäßig geht. Das gilt besonders für Meetings, die länger als eine Stunde dauern. Sollte der Wunsch danach bestehen, mache eine Pause oder eine aktivierende Übung. Rege die Teilnehmer*innen zum Beispiel dazu an, sich zu bewegen.

Arbeite mit Kleingruppen

  • Vielen Menschen fällt es in kleinen Gruppen leichter, sich aktiv einzubringen und ihre Ideen zu teilen. Kleingruppen schaffen ein Gefühl der Sicherheit. Daraus kann eine intensivere Kommunikation entstehen, die menschliche Verbindungen festigen kann. Natürlich ist die Arbeit in Kleingruppen nicht in jedem Meeting sinnvoll, aber du solltest die Vorteile davon nutzen, wenn es sich anbietet.

Nach dem Meeting

Führe einen Watercooler-Chat ein

  • In Büros findet informelle Kommunikation zwischendrin statt – in der Kaffeeküche oder in US-amerikanischen Kontexten am Watercooler. In Remote-Teams gibt es dafür keinen definierten Raum. Hänge deswegen an den operativen Teil des Meetings einen sogenannten Watercooler-Chat an. Alle, die keine Zeit oder Lust haben, können das Meeting ganz normal mit einem Check- out verlassen. Alle, die noch bleiben und ein bisschen informell quatschen wollen, tun genau das. Als Check- in für einen Watercooler eignet sich die Frage: „Welche deiner Bedürfnisse sind gerade (un)erfüllt?“

Das Community-Meeting

Diese Tipps lassen sich in fast alle Meetings einbauen und tragen dazu bei, dass die Teilnehmer*innen sich weniger isoliert fühlen. Zusätzlich haben wir bei Neue Narrative ein Meeting, das nur dafür da ist, die Verbundenheit im Team zu stärken. Wir nennen das Community-Meeting.

Purpose des Meetings

Das Community-Meeting ist ein teamübergreifender Check-in mit dem Ziel, unseren Beziehungsspace zu pflegen. Im Meeting wird Wertschätzung ausgedrückt, Erfolge werden gefeiert und es wird auch über Herausforderungen im Unternehmen gesprochen. Für uns als Remote-Team soll das Meeting Verbindung und Zugehörigkeit schaffen und einen Raum für Emotionen geben.

Agenda

1. Check-in

  • Wie bist du heute da?

2. NN Good News!

  • Was war diesen Monat richtig geil?
  • Welchen Grund haben wir zu feiern?
    Alle, die möchten, berichten informell ihre Highlights, reflektieren ihre Erfolge oder erzählen von witzigen Begebenheiten.

3. Appreciation Station

  • Wir tragen Danksagungen, High Fives, Haikus, whatever vor.

Wenn du möchtest, dass deine Appreciation für eine*n Kolleg*in vor der Organisation vorgetragen wird, schicke vor dem Meeting eine E-Mail an: danke@neuenarrative.de. Wir tragen alle Wertschätzungen grundsätzlich anonym vor, es sei denn, du fügst deinen Namen extra zu der Nachricht hinzu. Die Wertschätzung wird nach dem Meeting an die „Betroffenen“ geschickt.

4. Check-out

  • Wie gehst du raus?
  • Was gibt es noch zu sagen?

5. Watercooler (optional)

  • Eine Runde Reflexion über Community-Themen und Beziehungen.

Wenn Organisationen anfangen, sich mit Regeneration zu beschäftigen, fokussieren sie häufig auf ökologische Regeneration. Das ist ein wichtiger Schritt, etwa wenn viele Menschen in der Organisation zu Meetings fliegen. Dennoch rückt die soziale Regeneration oft zu Unrecht in den Hintergrund. Dabei liegt hier – wie im Fall von Meetings – manchmal der größere Hebel, um das Engagement, menschliche Verbindung und Zugehörigkeit zu stärken.

Takeaways

  1. Eine regenerative Meetingkultur reduziert nicht nur Emissionen, sondern stärkt auch aktiv die sozialen Verbindungen innerhalb des Teams.

  2. Ein regeneratives Meeting schafft psychologische Sicherheit und emotionale Verbindung durch tiefe Check-ins, Kleingruppenarbeit und informelle Watercooler-Chats.

  3. Der*die Moderator*in spielt eine zentrale Rolle, indem er*sie gezielt Pausen und Raum für Reflexion einplant und durch seine*ihre Haltung der Ruhe und Offenheit eine entsprechende Stimmung im Meeting etabliert.

FUßNOTEN

  • 1

    Remote-Meetings sind im Schnitt deutlich emissionsärmer als Meetings vor Ort. Dennoch gibt es auch hier einige Möglichkeiten, Emissionen weiter zu verringern.

  • 2

    Die Ergebnisse der Umfrage findest du auf Seite 6 (Ausgabe #22. Thema: Meetings)

  • 3

    Hier fallen soziale und ökologische Aspekte günstig zusammen: Weniger, aber sinnvollere Meetings können das Wohlbefinden der Mitarbeiter*innen steigern und gleichzeitig, fast nebenbei, Emissionen reduzieren.

  • 4

    Ab Seite 90 kannst du mehr darüber lesen, wie unser Nervensystem unsere Zusammenarbeit in Meetings beeinflusst. (Ausgabe #22. Thema: Meetings)

  • 5

    Videocalls ohne Kamera sind ökologisch nachhaltiger. Außerdem können ausgeschaltete Kameras einige Menschen entlasten, z.B. neurodiverse Menschen, Menschen mit Kindern im Haushalt, mit chronischer Erkrankung oder Angststörungen. In diesem Heft geht es auf Seite 70 um soziale Ängste. Und in unserem Artikel Warum Remote-Arbeit kein Privileg ist, wird ausgeführt, wie Remote-Arbeit für alle gelingt.

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