Die Grundidee von Quartiermeister ist, durch Konsum gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen. Über die Gründung einer Stiftung ist diese Idee in die Struktur von Quartiermeister eingeschrieben. Damit wird auch die Gemeinnützigkeit rechtsverbindlich gesichert.
Es hätte alles auch ganz anders kommen können. Dann stünde jetzt anstatt Bier von Quartiermeister vielleicht Quartierpapier, Quartierkaffee oder Quartiernahrung im Supermarktregal. Anfangs ging es nämlich gar nicht um Bier an sich. Sondern um einen Beweis.
Sebastian Jacob war noch Student, als er Quartiermeister 2010 gründete. Sein Ziel war, zu zeigen, dass Herstellung und Verkauf eines Produkts in Summe nicht schädlich sein müssen, sondern einen gesellschaftlichen Mehrwert bringen können. Und zwar, indem von den Gewinnen nicht ein kleiner, ausgewählter Personenkreis profitiert, sondern die Allgemeinheit.
Anfangs gelang es Quartiermeister aber nicht, diesen Beweis für das Funktionieren alternativen Wirtschaftens zu erbringen: Gewinne erwirtschaftete das Unternehmen nur, weil die Mitarbeiter*innen kaum entlohnt wurden. „Wir verkauften ein paar Hundert Kisten Bier im Jahr und investierten jeden Euro in soziale Projekte“, beschreibt Mitgründer David Griedelbach die erste Zeit.
Quartiermeister war damals in erster Linie ein ehrenamtliches Projekt. Und im Sommer 2012 wäre es dann fast beerdigt worden: Die bis dahin einzige Partnerbrauerei meldete Insolvenz an und Ideengeber Sebastian stieg aus, um eine Stelle bei der Bosch-Stiftung anzutreten.
David wollte die Unternehmung aber nicht aufgeben. Nur: So konnte es nicht weitergehen. Zusammen mit Peter Eckert machte er sich daran, Quartiermeister zu professionalisieren.
Quartiermeister - korrekter Konsum GmbH

Hol dir eine kostenlose Ausgabe von Neue Narrative
Magazin kostenlos lesen2014 konnten die Gründer sich ein Gehalt zahlen und sogar erste Mitarbeiter*innen einstellen. Seitdem ist Quartiermeister langsam, aber – die Zeit während der Coronakrise ausgenommen – beständig gewachsen.
Heute liegen die Gehälter etwa zehn Prozent unter dem, was andere Getränkehändler zahlen. Eine bewusste Entscheidung, denn noch immer ist das Hauptziel, möglichst viel in soziale Projekte zu stecken. Zwar stellt die Marke mengenmäßig keine nennenswerte Konkurrenz für die Megabrauereien dar, doch sie hat sich etabliert. Das soziale Versprechen trägt.
Während für Vertrieb und Verkauf des Bieres mittlerweile eine GmbH gegründet wurde, entscheidet über die Auswahl der geförderten sozialen Projekte von Beginn an ein eigens gegründeter Verein.
Doch über die Zeit hinweg zeigten sich einige Schwierigkeiten mit dieser organisch gewachsenen Struktur aus Verein und GmbH.

Wie wird man unverkäuflich und für immer gemeinnützig?
1. Markenrechte übertragen
Ein Rechtsstreit mit einem anderen Unternehmen, das sein Produkt unter dem Namen Quartierbier vertreibt, zeigte, wie wichtig es ist, die Marke ausreichend abzusichern. Auch wurde schnell deutlich, dass es für die Gemeinnützigkeit deutlich sinnvoller ist, wenn die Markenrechte nicht bei einer Person, sondern einer Organisation liegen.
2. Gemeinnützigkeit regeln
Im deutschen Steuerrecht sind Spenden im Maß, wie Quartiermeister sie tätigt, nicht vorgesehen: Maximal 20 Prozent der Betriebsausgaben dürfen als Spende geltend gemacht werden.1 Deshalb wollte Quartiermeister seine Gemeinnützigkeit dauerhaft und rechtsverbindlich regeln. So würden abzugsfreie Spenden in beliebiger Höhe möglich.
3. Unverkäuflichkeit sichern
„Der normale Gang einer Biermarke ist: Man macht das ein paar Jahre, etabliert die Marke und dann kommt Radeberger und kauft sie dir für eine Riesensumme ab“, so David. Zwar hatte im Unternehmen keiner je die Absicht, die Marke zu verkaufen, aber bei so einer entscheidenden Frage wollten David und Peter lieber auf Nummer sicher gehen. Auch um sicherzustellen, dass Quartiermeister gemeinnützig bleibt. David sagt dazu: „Wir waren uns schon immer einig: Falls es irgendeine Möglichkeit gibt, das rechtlich abzusichern, dann sollten wir das unbedingt tun.“ Zumal eine rechtssichere Struktur auch nach außen hin die Glaubwürdigkeit enorm erhöht. Aber wie sichert man die Unverkäuflichkeit?
Alkohol fürs Gemeinwohl?
Eine Stiftung hält die Markenrechte
Um die vorgenannten Anforderungen zu erfüllen, hat Quartiermeister 2021 eine Stiftung in Form einer gemeinnützigen Unternehmergesellschaft (gUG) gegründet. Seit März desselben Jahres hält diese die Rechte an der Marke Quartiermeister.
Seitdem gibt es folgende Arbeitsteilung zwischen den drei Entitäten (Verein, Gesellschaft und Stiftung), aus denen sich Quartiermeister zusammensetzt.
- Die Stiftung stellt als Inhaberin der Marke Quartiermeister die Markenrechte zur Verfügung.
- Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) verkauft Bier und verdient damit Geld. Den Gewinn tritt sie in Form von Lizenzgebühren für die Markennutzung an die Stiftung ab.
- Der Verein sucht und vernetzt Nachbarschaftsinitiativen und entscheidet, wie das von der Stiftung eingenommene Geld eingesetzt wird.
Dabei sind alle Entitäten der Mission „dem Wohle aller“ verpflichtet.

Inwiefern sind dadurch die Markenrechte gesichert?
Die Quartiermeister Stiftung hält jetzt die Rechte an der Wortmarke Quartiermeister, die beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum registriert ist. Die Marke gehört jetzt also der Stiftung, der gUG, nicht mehr einer Einzelperson, wie es vorher der Fall war.
Inwiefern ist dadurch eine vom Finanzamt anerkannte Form der Förderung gefunden?
Die GmbH zahlt Gebühren in Höhe von 5 bis 10 Prozent vom Umsatz für die Markennutzung an die Stiftung. Das entspricht etwa der Gewinnmarge. Also geht fast alles, was die GmbH verdient, an die Stiftung.2
Da die Quartiermeister Stiftung eine gemeinnützige UG ist, darf sie nur für gemeinnützige Zwecke Geld ausgeben. Das überprüft das Finanzamt alle zwei Jahre. Als gUG muss die Stiftung keine Körperschafts- und Gewerbesteuer zahlen.
So kann Quartiermeister nahezu seinen gesamten Gewinn steuerfrei spenden. Dadurch, dass der Prozentsatz, der für die Markennutzung anfällt, variabel gehalten wird, lässt sich der konkrete Betrag anpassen, sollten die Zahlungen existenzgefährdend für die GmbH werden.
Über dieses Konstrukt lässt sich die Organisation als Ganzes auf Gemeinnützigkeit zuschneiden, obwohl im Mittelpunkt eine GmbH steht, die ja nicht unmittelbar gemeinnützige, sondern erst mal wirtschaftliche Ziele verfolgt. Das hat darüber hinaus den Vorteil, dass die Quartiermeister Stiftung dank ihres gemeinnützigen Status auch Organisationen unterstützen kann, die selbst nicht gemeinnützig sind, solange sie mit dem konkreten Projekt ein gemeinnütziges Ziel verfolgen.
Inwiefern ist die Unverkäuflichkeit geregelt?
Für gemeinnützige Unternehmergesellschaften ist gesetzlich geregelt, dass der Gesellschaftsvertrag eine gemeinnützige Begünstigte angeben muss, an die sie die Vermögen überträgt, sollte die gUG aufgelöst werden. Die Quartiermeister Stiftung hat hier die Purpose Stiftung angegeben. Die Purpose Stiftung unterstützt Unternehmen bei der Überführung in Verantwortungseigentum.
Außerdem muss eine gUG Gewinne zeitnah und unmittelbar für gemeinnützige Zwecke verwenden. Verdeckte Gewinnausschüttungen sind nicht erlaubt.
Theoretisch könnten die Gesellschafter der Quartiermeister Stiftung zwar für den Verkauf der Markenrechte stimmen. Sie würden vom Verkauf aber nicht profitieren. Streng genommen wäre auch der Verkauf der GmbH noch möglich. Da diese aber selbst nicht über die Rechte an der Marke Quartiermeister verfügt, ist sie kaum etwas wert.
Auszug aus dem Gesellschaftsvertrag der Quartiermeister Stiftung
§17 Selbstlosigkeit und Mittelverwendung
Unter (4): Die Gesellschafter dürfen keine Gewinnanteile und in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter auch keine sonstigen Zuwendungen aus den Mitteln der Gesellschaft erhalten. Sie erhalten bei ihrem Ausscheiden oder bei Auflösung der Gesellschaft oder bei Wegfall steuerbegünstigter Zwecke nicht mehr als ihre eingezahlten Kapitalanteile und den gemeinen Wert ihrer geleisteten Sacheinlagen zurück.
Die Kapitalanteile der Gesellschafter belaufen sich auf insgesamt 6.000 Euro, jeweils 2.000 Euro.
§ 18 Auflösung, Liquidation
Unter (4): Bei Auflösung der Gesellschaft oder bei Wegfall der steuerbegünstigten Zwecke fällt das Vermögen der Gesellschaft, soweit es die eingezahlten Kapitalanteile (Stammeinlagen) der Gesellschafter und den gemeinen Wert der von den Gesellschaftern geleisteten Sacheinlagen übersteigt, an die Purpose Stiftung gemeinnützige GmbH […], die es wiederum unmittelbar und ausschließlich zu gemeinnützigen Zwecken, die den Satzungszwecken der Gesellschaft möglichst nahekommen, selbstlos zu verwenden hat.“
Zur zusätzlichen Absicherung hat die Quartiermeister Stiftung neben Peter und David auch Sebastian wieder als Gesellschafter aufgenommen. Ihm kommt die Rolle als Veto-Mann zu. „Als Ideengeber von Quartiermeister hat er ein unverrückbares Interesse daran, dass die Organisation ihren gemeinnützigen Zweck nicht verliert“, begründet Lisa Wiedemuth, die Geschäftsführerin der Stiftung, diese Entscheidung.
So setzt Quartiermeister das Geld ein
Insgesamt hat Quartiermeister seit Bestehen 211.000 Euro direkt in soziale Projekte investiert. Davon stammen etwa 80.000 Euro aus zusätzlichen Aufträgen, Spenden und Projektförderungen.
Der Empfängerkreis der geförderten Initiativen ist sehr groß. Denn der Förderzweck ist mit „gesellschaftlicher Teilhabe“ ziemlich offengehalten. Zudem beträgt die Fördersumme in der Regel 1.000 Euro. Ein Kuratorium aus Ehrenamtlichen entscheidet im Verein über die Mittelvergabe. Zwei Beispiele:
LesBI*Schwule T*our
„Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, inter* und queere Menschen sichtbarer“ machen und sexuelle Identität enttabuisieren, so beschreibt die LesBI*Schwule T*our ihr Ziel. Seit 25 Jahren tourt die Gruppe immer wieder durch Brandenburg, wo sie Infostände aufbaut und Veranstaltungen organisiert. So will sie queeren Menschen vor Ort Mut machen, für sich selbst und andere einzustehen. Im Februar 2024 hat Quartiermeister der Gruppe 1.000 Euro überwiesen. Davon hat sie einen Pavillon, Werbesegel und ein Mikrofon gekauft.
Internationales Zentrum für Demokratie und Aktion (IZDA)
Das im März 2024 in Chemnitz eröffnete IZDA bietet juristische, psychologische und asylrechtliche Beratung, warme Mahlzeiten und kulturelle Angebote. Das übergeordnete Ziel ist die Unterstützung und demokratische Stärkung der Bewohner*innen des Zentrums, um die „rechte Hegemonie“ zu durchbrechen und das Leben im Chemnitzer Stadtteil Sonnenberg zu verbessern. Auch hier betrug die Fördersumme 1.000 Euro. Das IZDA hat das Geld genutzt, um Küchengeräte zu kaufen und seinen Veranstaltungssaal einzurichten.
Fazit
„Bislang hat noch niemand so richtig gegen die Lösung gegengetreten und sie damit einem Härtetest unterzogen“, sagt David. Denn seit Gründung der Quartiermeister Stiftung gab es keinen neuen Markenrechtsstreit und auch das Milliardenangebot von Radeberger steht noch aus. „Doch wir fühlen uns wirklich gut abgesichert“, so David.
Zum einen hat Quartiermeister mit Sebastian einen Gesellschafter in der Stiftung, dem die Mitarbeiter*innen zu 100 Prozent vertrauen: „Mit ihm ist ein Ausverkauf der Werte von Quartiermeister nicht möglich“, sagt Lisa. Und selbst falls Sebastian als Veto-Mann ausfiele, würde bei Quartiermeister niemand vom Verkauf der Marke profitieren. Denn das Vermögen würde an die Purpose Stiftung fließen, die es wiederum nur gemeinnützig verwenden dürfte.
Take-aways
- Quartiermeister bestand aus einer GmbH, die Bier vermarktet und verkauft, und einem Verein, der die Gewinne an soziale Projekte verteilte.
- Es fehlte jedoch an einer Struktur, die die Gemeinnützigkeit dauerhaft sicherstellt, die Unverkäuflichkeit garantiert und die Markenrechte absichert.
- Die Stiftung in Form einer gemeinnützigen Unternehmergesellschaft erfüllt diese Anforderungen: Vom Verkauf würde kein Gesellschafter profitieren, die Gemeinnützigkeit ist anerkannt und die Marke Quartiermeister befindet sich, als zentraler Wert des Unternehmens, im Besitz der Stiftung.
Zum Weiterdenken
- Inwieweit kann die rechtliche Struktur eines Unternehmens dessen Kultur und Werte beeinflussen? Warum ist das wichtig?
- Welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich aus der Kombination einer gewinnorientierten GmbH und einer gemeinnützigen Stiftung?
- Wie können wir sicherstellen, dass die Mitarbeitenden in Social Start-ups nicht ausbrennen und damit das eigentliche Ziel Gemeinwohl gefährdet wird?
FUßNOTEN
- 1
Eine Alternative bietet Sponsoring. Denn wer etwa einen Fußballverein oder einen Formel-1-Rennstall sponsert, kann dies als Geschäftsausgabe vollständig von der Steuer absetzen. Ein Sponsoring kann aber dazu führen, dass die Empfänger*innen entsprechende Abgaben entrichten müssen. Zudem erfordert ein Sponsoring immer eine Gegenleistung. Das kann seinerseits zu Problemen führen, wie der Fall des Getränkeherstellers Lemonaid zeigt. Um abzugsfähig mehr spenden zu können, hatte das Sozialunternehmen einen Sponsoringvertrag mit seinem eigenen gemeinnützigen Verein aufgesetzt. Bei diesem Konstrukt sah das Hamburger Finanzamt jedoch eine verdeckte Gewinnausschüttung am Werk – und fordert von Lemonaid nun eine Nachzahlung von 650.000 Euro allein für den Prüfungszeitraum. So ein existenzbedrohendes Risiko wollte Quartiermeister nicht eingehen. ↩
- 2
Den Spielraum von 5 bis 10 Prozent gibt es bei Quartiermeister seit der Pandemie, um immer sicherzustellen, dass die GmbH kostendeckend arbeiten kann und nicht so viel an die Stiftung überweist, dass es existenzgefährdend wird. ↩