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Eine Person ist in einem dunklen Raum über ihren Laptop gebeugt. Hinter ihr stapeln sich Unterlagen, Ordner und Tassen
Workaholics

So können Organisationen mit arbeitssüchtigen Mitarbeiter*innen umgehen

Bei Workaholics nimmt der Job das ganze Leben ein. Darunter leiden nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Kolleg*innen. Organisationen sollten deshalb vorbeugen.

„Jede*r zehnte Erwerbstätige in Deutschland ist arbeitssüchtig.“ 1 Dieses Ergebnis einer repräsentativen Studie muss ernst genommen werden.2 Denn Arbeitssüchtige machen nicht einfach bloß ein paar Überstunden, sondern verhalten sich wie andere Süchtige auch: Sie verlieren die Kontrolle, steigern kontinuierlich die Arbeitsbelastung und leiden unter Entzugserscheinungen. Betroffene zerstören ihre Gesundheit und sozialen Beziehungen, gefährden ganze Teams oder sogar Unternehmen und können doch nicht aufhören.

Arbeitssucht wird definiert als ein unwiderstehlicher innerer Drang, sehr hart zu arbeiten. Arbeitssüchtige arbeiten exzessiv und zwanghaft.3 Sie investieren mehr Zeit in ihre Arbeit, als es in ihrem Beruf üblich ist oder von Kolleg*innen erwartet wird. Sie machen regelmäßig Überstunden, nehmen selten Pausen oder Urlaub.

Ein grün-türkiser Stuhl steht auf dem Boden. An einem der Stuhlbeine sind drei Schnüre von 3 Luftballons angebunden_ Links ein kleiner, rosaner Luftballon, in der Mitte ein gelbes, großes Fragezeichen und rechts ein pastellilanes Ausrufezeichen.

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Dabei geht zwanghaftes Arbeiten weit über die bloße zeitliche Komponente hinaus: Arbeitssüchtige fühlen sich innerlich dazu getrieben, ständig zu arbeiten, und können auch in ihrer Freizeit nicht abschalten. Selbst im Urlaub oder bei sozialen Aktivitäten sind sie gedanklich permanent bei der Arbeit. Wenn jemand im Urlaub jeden Abend „nur mal kurz E-Mails checken“ geht, dann aber stundenlang verschwindet, ist dies ein klares Indiz für Arbeitssucht.

Ebenso kritisch wird es, wenn die Person Gesprächen mit Freund*innen nicht mehr folgen kann, weil sie die ganze Zeit an die Arbeit denkt. „Der Unterschied zu einem hohen Arbeitsengagement besteht darin, dass arbeitsengagierte Personen auch mal loslassen können“, sagt Diplom-Psychologe Dr. Stefan Poppelreuter. Workaholics seien dazu nicht mehr in der Lage. Das Gleichgewicht zwischen An- und Entspannung, das wir brauchen, um ein ganzheitliches Leben zu führen, sei bei ihnen gestört.

Eine kleine Figur, die in einem Zahnrad läuft, als wäre es ein Hamsterrad

Toxische Jobs ohne Grenzen führen in die Arbeitssucht

Viele Arbeitssüchtige hassen ihren Job. „Sie empfinden ihre Arbeit wie einen Dämon. Es ist ähnlich wie bei anderen Abhängigkeiten: Auch ein Alkoholiker würde sagen, dass Alkohol der Feind ist, und trinkt ihn dann trotzdem“, sagt Poppelreuter. Die Gründe dafür sind individuell.

Manche Arbeitssüchtige nutzen ihre Arbeit als Vermeidungsstrategie, um Problemen oder Unsicherheiten in anderen Lebensbereichen aus dem Weg zu gehen. Denn während viele Jobs klare Strukturen und eindeutige Entscheidungsbereiche bieten, gehen diese in anderen Lebensbereichen zunehmend verloren: In einer Partnerschaft beispielsweise muss das gemeinsame Zusammenleben ausgehandelt werden. Bei der Arbeit hingegen sind die eigene Position und der individuelle Möglichkeitsrahmen von außen gesetzt.

Arbeitssucht tritt zudem häufiger in prekären oder toxischen Arbeitsumgebungen auf. Tatsächlich sind mehr Workaholics in befristeten als in unbefristeten Arbeitsverhältnissen zu finden.4 Diese Workaholics sind oft von Perfektionismus getrieben, weil sie um ihren Job fürchten oder glauben, nicht gut genug zu sein.

Auch die Verschmelzung von Arbeit und Freizeit, die ständige Erreichbarkeit per E-Mail und die fehlende räumliche Trennung durch das Arbeiten im Homeoffice begünstigen für manche Menschen Suchtverhalten. Besonders in Organisationen mit hoher Selbstorganisation und Eigenverantwortung besteht ein erhöhtes Risiko für die Entgrenzung von Arbeit und somit auch für Arbeitssucht.

Das Arbeitszeitgesetz soll eigentlich vor Ausbeutung durch zu viel Arbeit schützen, kann aber auch nützlich sein, um Entgrenzung einzudämmen. Verstöße gegen das Gesetz werden mit Bußgeldern von bis zu 15.000 Euro oder sogar Freiheitsstrafen geahndet.5

Poppelreuter glaubt trotzdem, dass kein Gesetz in Deutschland so oft gebrochen wird wie dieses – sowohl von Arbeitgeber*innen als auch von Arbeitnehmer*innen. Manche Unternehmenskulturen fördern diesen Gesetzesbruch sogar, indem sie beispielsweise ausgleichsfreie Überstunden in stressigen Phasen normalisieren oder implizit die Erwartung schüren, dass das Team zusammenhält und Projekte um jeden Preis abschließt.

Gründe für Arbeitssucht

Organisationale Folgen

Auch die Arbeit selbst und die Organisationen, in denen Arbeitssüchtige tätig sind, leiden unter den Folgen. Zwar haben Arbeitssüchtige anfangs oft wenige Fehltage, da sie trotz Krankheit arbeiten, aber auf Dauer führt dies zu längeren Fehlzeiten. Müdigkeit, Stress und Burn-out sind schließlich auch der Grund dafür, dass sich die Arbeitsqualität von Arbeitssüchtigen sukzessive verschlechtert und sie kaum noch Zeit oder Energie für kreatives Denken und Innovationen haben.

Viele Arbeitssüchtige sind perfektionistisch und neigen dazu, die Arbeit anderer zu kontrollieren. Das führt zu Konflikten im Team und bei arbeitssüchtigen Führungspersonen zu einer hohen Fluktuation von Mitarbeiter*innen. Nur wenige Menschen lassen sich gern mikromanagen oder beantworten abends um 23 Uhr noch E-Mails. Die Organisationen bleiben geschädigt zurück.

Bist du süchtig nach Arbeit?

Der Bergen Work Addiction Scale ist eine psychometrisch validierte Skala zur Beurteilung der Arbeitssucht. Er spiegelt die sieben Kernelemente der Sucht wider: Hervorhebung, Stimmungsänderung, Toleranz, Rückzug, Konflikt, Rückfall und Probleme.

Um zu testen, ob du arbeitssüchtig bist, beantworte spontan die folgenden sieben Fragen:

  • Denkst du darüber nach, wie du noch mehr Zeit für deine Arbeit gewinnen könntest?
  • Arbeitest du viel länger, als du ursprünglich vorhattest?
  • Arbeitest du, um negative Gefühle wie Schuld, Angst, Hilflosigkeit oder Depression zu kontrollieren?
  • Haben dir andere schon geraten, das Arbeitspensum zu reduzieren, aber du hörst nicht darauf?
  • Fühlst du dich gestresst, wenn du nicht arbeiten kannst oder darfst?
  • Ordnest du Hobbys, Freizeitaktivitäten, Sport und Beziehungen der Arbeit unter?
  • Nimmt deine Gesundheit bereits Schaden, weil du so viel arbeitest?

Auswertung: Wenn du alle Fragen mit „immer“ beantwortet hast, gilt das als eindeutiges Zeichen für Arbeitssucht. Aber auch wenn du mehr als drei Fragen mit „häufig“ oder „immer“ beantwortet hast, solltest du über dein Arbeitsverhalten nachdenken.

Organisationen müssen Workaholics Grenzen setzen

Arbeitssucht ist ein Problem, das alle Organisationen betreffen kann. Es ist an der Zeit, dass Arbeitgeber*innen ihre Verantwortung ernst nehmen und aktiv dagegen vorgehen. Idealerweise sollten sie präventive Maßnahmen ergreifen, um Arbeitssucht von vornherein zu verhindern. Hier einige Beispiele:

Ein aufgeklappter Laptop. Dahinter stehen im Schatten Familienbilder

1. Den aktuellen Stand in der Organisation erfassen

Organisationen sollten eine Kultur schaffen, in der Überstunden und reine Anwesenheit nicht belohnt werden – und das am besten, bevor Kolleg*innen überhaupt arbeitssüchtig werden. Um den aktuellen Stand hinsichtlich Arbeitssucht zu ermitteln und konkrete Risikofaktoren zu identifizieren, können Organisationen eine gesundheitliche Gefährdungsbeurteilung durchführen. Einen ersten Eindruck vermittelt eine Mitarbeiter*innenbefragung, beispielsweise mit diesen Fragen:

  • Bereitet dir deine Arbeit Freude? Was müsste sich ändern?
  • Gelingt es dir, Grenzen zu ziehen und Nein zu sagen, wo es sinnvoll ist? Was hindert dich daran?
  • Kostet dich deine Arbeit mehr Energie, als du möchtest? Wie äußert sich das? Was müsste sich ändern?

Offene Fragen wie diese sind besonders geeignet, um passende Maßnahmen abzuleiten. Denn so können die Mitarbeiter*innen selbst ausführen, an welchen Stellen sie sich überlastet fühlen oder glauben, mehr arbeiten zu müssen als vorgesehen. Außerdem machen die Antworten sichtbar, ob Mitarbeiter*innen schon arbeitssüchtig sind oder sich auf dem Weg dahin befinden.

2. Führungskräfte in den Fokus nehmen

Führungskräfte leben Haltungen und Verhaltensweisen vor und haben großen Einfluss auf Mitarbeiter*innen. Gleichzeitig zeigen Studien, dass Führungskräfte besonders oft zu Arbeitssucht neigen. Deshalb sollten sie bei der Einführung von präventiven Maßnahmen besonders im Fokus stehen.

Beispielsweise könnten Führungskräfte zum Besuch von Seminaren zur Work-Life-Balance verpflichtet werden. Oder sie könnten regelmäßig in Reflexionsgesprächen mit Personalverantwortlichen daran arbeiten, ihr eigenes Arbeitspensum in einem gesunden Rahmen zu halten. Das Ziel ist nicht nur, Führungskräfte selbst vor Arbeitssucht zu schützen. Es geht auch darum, Arbeitssucht im gesamten Unternehmen einzudämmen. Dies wird erreicht, indem die Führungskräfte als Vorbilder agieren und ihre Teammitglieder bestärken, pünktlich Feierabend zu machen oder regelmäßig Urlaub zu nehmen.

3. Gemeinsam einen Konsens finden

Um sicherzustellen, dass Pausen tatsächlich gemacht werden und Urlaube arbeitsfrei bleiben, ist es hilfreich, im Team oder der gesamten Organisation einen Konsens über gesundes Arbeiten zu bilden. Diese gemeinsam erarbeitete Haltung sollte nicht nur als vages Gefühl existieren, sondern konkrete Richtlinien beinhalten, die für alle gelten.

Der Prozess dafür könnte etwa so aussehen: Eine kleine Gruppe Interessierter entwickelt den Entwurf einer Anti-Arbeitssucht-Guideline (natürlich kann sie auch anders heißen, je nachdem, was zur Organisation passt). Dort ist möglichst genau festgelegt, wie innerhalb der Organisation mit Pausen, Urlaub und Krankheit umgegangen werden soll. Das könnte in Bezug auf Pausen beispielsweise so aussehen:

Anti-Arbeitssucht-Guideline

Es kann sinnvoll sein, der Policy voranzustellen, dass sie nicht nur einfach nice-to-have ist, sondern auf Gesetzen beruht und dass es die Organisation teuer zu stehen kommt, wenn diese Gesetze gebrochen werden.

Mache immer Pausen, wenn du sie brauchst!

Es gibt verschiedene Pausentypen. Alle sind wichtig und du solltest alle Arten von Pausen einbauen. Das Ziel einer Pause ist, eine ausbalancierte Mischung von Spannung und Anspannung zu erhalten. Das ist schon für sich ein Wert, hilft aber auch dabei, anschließend wieder produktiver weiterzuarbeiten.

  • Kleine Pausen zwischen verschiedenen Aufgaben sollten der kurzen Bewegung dienen und helfen, einen guten Übergang von einer Arbeitsform/einem Thema zum anderen zu finden. Sinnvoll sind mindestens fünf Minuten Pause je Arbeitsstunde.
  • Eine Stunde Mittagspause ist in vielen Fällen sinnvoll, damit du Zeit hast, etwas zu essen, deinen Arbeitsplatz zu verlassen und dich etwas zu bewegen.
  • Zwischen zwei aufeinanderfolgenden Arbeitstagen sollten immer mindestens 11 Stunden liegen, in denen du nicht arbeitest. Das ist eine gesetzliche Vorgabe. Das bedeutet auch: Wer mal an einem Tag bis 23 Uhr arbeitet, muss diese Zeit am kommenden Tag ausgleichen, und zwar indem er*sie frühestens um 10 Uhr wieder anfängt.
  • Das Wochenende ist ebenfalls eine wiederkehrende Pause. Zwei ganze Tage solltest du nicht arbeiten.

Ähnliche Policies könnt ihr für die Themen Urlaub und Krankheit erstellen.

Das ist nur ein Beispiel, und natürlich kann diese Policy um weitere Punkte ergänzt werden, je nachdem, was für euch relevant ist. Diese erste Version einer Guideline ist die Diskussionsgrundlage für alle Teammitglieder. Sie sollte nicht im stillen Kämmerlein verabschiedet werden und in der Schublade verschwinden, sondern für alle vorgestellt und diskutiert werden. So haben alle die Möglichkeit, eigene Vorstellungen von einer gesunden Arbeitsweise einzubringen. Es entsteht ein geteiltes Verständnis davon, dass diese Richtlinie wichtig ist und zum eigenen Schutz beiträgt.10

Die gemeinsam erarbeitete Policy liefert einen verbindlichen Rahmen und hilft dabei, ungesunde Arbeitsweisen bei sich und anderen schnell zu erkennen.

4. Wenn nichts hilft, braucht es harte Maßnahmen

Wenn präventive Maßnahmen nicht ausreichen, um Arbeitssucht einzudämmen, müssen härtere Maßnahmen ergriffen und der Arbeitszeit konsequente physische Grenzen gesetzt werden. Nach Feierabend geht dann beispielsweise automatisch das Licht im Büro aus, die Computer werden heruntergefahren und sogar die Türen verriegeln sich. In manchen Organisationen schalten sich Diensthandys außerhalb bestimmter Uhrzeiten von selbst ab, und die niederländische Agentur Heldergroen zieht jeden Abend um 18.30 Uhr die Schreibtische unter die Decke.11

Solche Radikalmaßnahmen sollten aber nur der letzte Ausweg sein, denn sie haben auch ihre Nachteile: Beispielsweise schränken sie Mitarbeiter*innen ein, deren Biorhythmus nicht dem klassischen Nine-to-five-Job entspricht. Trotzdem können solche Maßnahmen die bessere Lösung sein, wenn die Alternative wäre, dass Menschen vor lauter Arbeit krank werden und ihr Sozialleben zerstören.

Input-Geber

Dr. Stefan Poppelreuter ist Diplom-Psychologe und arbeitet als Berater, Trainer und Coach für die TÜV Rheinland Akademie GmbH. Er hat sich bereits in den 1990er-Jahren in seiner Dissertation mit Arbeitssucht beschäftigt. Als das bekannt wurde, kamen Unternehmen auf ihn zu und fragten, wie man Workaholics identifizieren könne: Sie wollten gezielt Arbeitssüchtige einstellen. Poppelreuter ist froh, dass das Thema heute anders behandelt wird.

Professionelle Hilfe

Bei schwerwiegenden Problemen kann es sinnvoll sein, sich professionelle Unterstützung zu holen. In einer (Psycho-)Therapie können Betroffene die zugrundeliegenden Ursachen für ihre Arbeitssucht bearbeiten und neue Verhaltensweisen einüben. Außerdem können sie sich in einer Selbsthilfegruppe austauschen. Per E-Mail an info@arbeitssucht.de können sie Kontakt zu den Anonymen Arbeitssüchtigen aufnehmen.

FUßNOTEN

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