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Eine weiblich  gelesene Person im Rollstuhl, die ein Buch in der Hand hält, steht in der Mitte eines Raumes. Um sie herum sieht man drei Händepaare, die ihr applaudieren und ein Daumen wird hochgehalten.
Sprache der Arbeit

Blind, taub, dumm: Wie Ableismus sich in unserer Sprache zeigt

Sprache ist unser wichtigstes Werkzeug in der Welt der Neuen Arbeit. In dieser Kolumne zeigen wir, wie sie sich noch ein bisschen sinn- und verantwortungsvoller einsetzen lässt. Diesmal: Wie wir Menschen mit Behinderung sprachlich abwerten und was wir dagegen tun können.

„Bist du blind? Ich habe dir die Mail doch schon vor zwei Wochen geschickt!“, oder: „Der Kollege ist schon so lange im Unternehmen, der ist inzwischen betriebsblind!“ Solche oder ähnliche Sätze haben wir bei der Arbeit vermutlich alle schon gesagt oder gehört – und uns nichts dabei gedacht. Wenn wir an behindertenfeindliche Sprache denken, dann denken wir an Beleidigungen wie „ Sp*st“, „M*ngo“ oder „Sp*cko“, von denen viele inzwischen wissen, dass sie Menschen mit Behinderung abwerten. Und eben nicht an „taube Ohren“, „emotional verkrüppelte Kolleg*innen“ oder „geisteskranke Präsentationen“, die „der Wahnsinn“ waren.

Vor einigen Wochen sagte eine Freundin zu mir: „Ich möchte etwas über Ableismus lernen, ich glaube, ich habe da einen blinden Fleck.“ Was erst mal bloß wie ein lobenswertes Vorhaben klingt, ist bei näherer Betrachtung ein Beispiel dafür, wie subtil sich Ableismus, die Abwertung von Menschen mit Behinderung oder chronischen Krankheiten, in unserer Sprache manifestiert. Er ist fester Bestandteil unseres alltäglichen Sprachgebrauchs, versteckt sich aber hinter unscheinbar wirkenden Floskeln und Metaphern. Wenn wir im Alltag von blinden Flecken sprechen, meinen wir eine Wahrnehmungs- oder Bildungslücke und nutzen Blindheit dabei Ausdruck der Abwertung.1Auch Wörter, die mit Intelligenzminderung zu tun haben wie „blöd“, „dumm“ und „doof“ sind ableistisch, wie die Comedienne Maysoon Zayid in ihrer Kolumne beschreibt: „Dumm ist auch eine Beleidigung, die gegen Menschen mit geistigen Be_hinderungen, Lernbe_hinderungen und Neuro-Entwicklungsstörungen verwendet wird. Auch wenn wir es oft als etwas Harmloses ansehen, jemanden oder etwas als ‚dumm’ zu bezeichnen, dürfen wir nicht vergessen, dass das Wort selbst Schmerz bei denen hervorrufen kann, gegen die es so oft verwendet wird.“2

Ableismus

LEXIKON
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Blick in die Vergangenheit

Ableismus hat eine lange Geschichte. In der bundesdeutschen Behindertenpolitik wurde eine Behinderung bis in die 1970er-Jahre vor allem als „individuelles, funktionales Defizit in Bezug auf die Erwerbsfähigkeit (...) einer Person verstanden.“3 Die Definition des Bundesinnenministeriums aus dem Jahr 1958 lautet: „Als behindert gilt ein Mensch, der (...) eine angemessene Tätigkeit nicht ausüben kann. Er ist mehr oder minder leistungsgestört (lebensuntüchtig).“ In der Medizin und in der Psychologie war es bis ins frühe 20. Jahrhundert üblich, bestimmte geistige Behinderungen als „Idiotie“ zu diagnostizieren.4 Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde der Begriff „Idiot“ ideologisch aufgeladen, um eine diskriminierende Sichtweise auf behinderte Menschen zu festigen und ihre systematische Ermordung zu rechtfertigen.5 Im sogenannten „Euthanasie“6-Programm wurden in ganz Europa schätzungsweise 300.000 behinderte und kranke Menschen ermordet.7 Heute nutzen wir das Wort „Idiot“ alltäglich als abwertendes Schimpfwort, wenn sich eine Person ungeschickt verhält („Mein alter Chef war echt ein Idiot“).

Ableistische Sprache verlernen

Menschen, die ableistische Sprache vermeiden wollen, nutzen dafür oft Euphemismen. Das klingt dann zum Beispiel so: Jemand ist „besonders“, hat „besondere Bedürfnisse“ oder ein „Handicap“, ist ein „Mensch mit Beeinträchtigungen“ oder hat eine „Superkraft“. Der*die Sprachwissenschaftler*in und Sensitivity Reader*in Valo Christiansen merkt an, dass viele behinderte Menschen diese Formulierungen als entmündigend empfinden: „Es ist so tief verankert in uns Menschen, dass wir Behinderungen als etwas Schlimmes betrachten, dass Nicht-Betroffene mit Beschönigungen versuchen, Behinderungen aufzuwerten.“ Menschen mit Trisomie 21 wird z.B. die Fähigkeit zugeschrieben, „besonders toll lieben zu können“ oder besonders „lieb“ oder „süß“ zu sein. Aufwertender Ableismus ist aber auch eine Form von Ableismus. Es ist kein Kompliment, wenn wir sagen: „Das ist aber super, dass du trotz deiner Krankheit/Behinderung einen normalen Beruf hast.“

Diese Merkhilfe kann dabei unterstützen, ableistische Sprache zu verlernen:

Disability Mainstreaming

New Work Glossar
Zwei Personen, die nah beieinander stehen. Die linke Person ruft der rechten Person laut etwas entgegen. Die rechte Person, die ein Hörgerät trägt, hält sich das nahegelegene Ohr zu und zuckt zusammen.

Achte auf deine Sprache

  • behindert“ und „krank“ sind keine Schimpfwörter, sondern beschreibende Adjektive
  • Alternativen finden für Ausdrücke, die mit Intelligenzminderung zu tun haben: „blöd, dumm, Idiot, Spinner“, … -> z.B. „sinnlos“ oder „unüberlegt“
  • Alternativen finden für Ausdrücke, die mit psychischen Krankheiten zu tun haben: verrückt, geisteskrank, gestört, … -> z.B. „außergewöhnlich“, „toll“, „aufregend“
  • Alternativen finden für Ausdrücke, die mit körperlichen Behinderungen zu tun haben: „Ich war total blind“, „Bist du taub?“ -> „Kann es sein, dass du mir nicht zugehört hast?“
  • Begrifflichkeiten vermeiden, die veraltet sind und/oder verniedlichen: Asperger/Aspie, Downie, … -> außer es handelt sich um Selbstbezeichnungen, die explizit und abgesprochen so verwendet werden dürfen
  • Formulierungen vermeiden, die behinderten Menschen Leid unterstellen: den Rollstuhl „nutzen“, statt an den Rollstuhl „gefesselt“ sein, die Glasknochenkrankheit „haben“, statt an der Glasknochenkrankheit „leiden

Das fühlt sich im ersten Moment vielleicht etwas einschränkend an. Tatsächlich gibt es aber für jedes ableistische Wort zahlreiche Alternativen, die oft viel spezifischer und gewaltfreier sind. Wenn wir zum Beispiel sagen „Bist du taub?“, steht dahinter hauptsächlich das Gefühl, ignoriert zu werden, und genau das können wir auch kommunizieren: „Kann es sein, dass du mir nicht zugehört hast?“ Wenn wir eine Präsentation „geisteskrank“ nennen, könnten wir stattdessen sagen, dass und weshalb sie uns gut gefallen hat. Wenn wir etwas „blöd“ oder „dumm“ nennen, ist auch das in vielen Fällen unspezifisch, und wir meinen eigentlich, dass etwas seltsam, sinnlos, beschissen, unangenehm, unüberlegt, ignorant, fies oder furchtbar ist. Es hilft also, sich zu fragen: Was möchte ich eigentlich ausdrücken?

Sprache heißt Haltung verändern

„Leider ist aktuell erst ein geringes Bewusstsein für ableistische Sprache da“, sagt Christiansen. „Viele Menschen spüren erst einmal Widerstände und sagen, dass sie doch nicht behindertenfeindlich seien, wenn sie mit dem Thema konfrontiert werden.“ Aber auch, wenn das nicht unsere Intention ist: Ableistische Sprache wertet Menschen mit Behinderung oder chronischen Krankheiten ab. Es ist deshalb gut, die eigene Sprache zu hinterfragen und zu verändern – gleichzeitig muss sich aber auch die Haltung gegenüber Menschen mit Behinderung ändern.

„Der erste Schritt ist zu verstehen, dass ein Leben mit Behinderung oder Krankheit nicht minderwertig ist“, sagt Christiansen. „Die logische Konsequenz aus dieser Einsicht ist, damit aufzuhören, es sprachlich abzuwerten.“ Dieser Prozess braucht laut Christiansen Geduld. Niemand müsse auf Anhieb jedes ableistische Wort aus seinem Wortschatz streichen. Es ginge eher darum, ein Bewusstsein zu entwickeln und Schritt für Schritt damit anzufangen, Formulierungen, die sich z.B. auf körperliche Behinderungen beziehen, zu verlernen.

Zwei Personen, die sich unterhalten. Die linke Person sitzt auf dem Sofa und stellt eine Frage an die rechte Person. Die rechte Person, die im Rollstuhl sitzt, gibt eine Antwortblase an die linke Person weiter.

Zum Weiterlesen

  • Stoppt Ableismus! von Anne Gersdorff, Karina Sturm
  • Behindert und stolz von Luisa L’Audace
  • Dachdecker wollte ich eh nicht werden von Raúl Krauthausen

Input-Geber*in: Valo Christiansen

Valo ist Sprachwissenschaftler*in, Autor*in und Sensitivity Reader*in. Für inklusiven, diskriminierungsarmen Sprachgebrauch empfiehlt they, Bücher zu Antidiskriminierung zu lesen oder entsprechenden Profilen auf Social Media zu folgen z.B. @minzgespinst, @dramapproved und @rollifraeulein.

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