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Aufmacherbild: Ein Schema und eine Tabelle, die das Modell der betrieblichen Altersvorsorge von Ecosia illustrieren
Das Ecosia-Modell

Grüne Altersvorsorge im Unternehmen

Seit 2002 müssen Arbeitgeber*innen in Deutschland eine betriebliche Altersvorsorge anbieten. In der Regel ist sie aber nur bedingt rentabel und nicht ökologisch. Ecosia hat ein Modell entwickelt, das für beides eine Lösung bietet.

Ecosia ist eine Suchmaschine, die ihre Werbeeinnahmen in ökologische Projekte steckt. Allein 130 Millionen Bäume ließ das Unternehmen mittlerweile pflanzen. Heute arbeiten 90 Angestellte und Freiberufler*innen für Ecosia. Das Versprechen, beim „Googeln“ etwas Gutes zu tun, lockt monatlich mehr als 15 Millionen Nutzer*innen auf die Website.

Damit das so bleibt und immer 100 Prozent der Gewinne für die Klimawende ausgegeben werden können, hat sich Ecosia in Verantwortungseigentum begeben. Diese Regelung stellt sicher, dass Gewinne in erster Linie dem Unternehmenszweck dienen und nicht als Dividenden herausgezogen werden. Im monatlich veröffentlichten Finanzbericht ist das für jede*n einsehbar, alle Einnahmen und Ausgaben sind aufgelistet. Laut Finanzbericht fließen bis zu 20 Prozent des Gewinns in erneuerbare Energien.1

Ecosia bezieht seine Suchergebnisse von Bing. Im Zuge von Nachforschungen hatte sich jedoch herausgestellt, dass Microsoft Bing seinen Strom nur zur Hälfte aus erneuerbaren Quellen bezieht. Also hat Ecosia Solarpanels auf Freiflächen und Dächern installieren lassen, um den fossilen Stromverbrauch der Microsoft-Server auszugleichen.

Wolfgang Oels, der Chief Operating Officer von Ecosia, schrieb seine Doktorarbeit über dezentrale Energien, außerdem war er beim Solarzellenhersteller Q-Cells tätig. Bei Ecosia konnte er dieses Wissen einsetzen. „Wir haben die Sanierung von asbestverseuchten Dächern bezahlt, im Gegenzug durften wir dort Photovoltaikanlagen installieren.“ Zudem haben sie zusammen mit dem Energieversorger Naturstrom Solaranlagen auf Freiflächen ans Netz gebracht.

Ein Foto von Wolfgang Oels, COO von Ecosia
Wolfgang Oels, COO Ecosia

Ausgangssituation: Betriebliche Altersvorsorge ist weder grün noch rentabel

Als Wolfgang klar wurde, dass man prinzipiell auch eigene Modelle für die betriebliche Altersvorsorge (bAV) entwickeln kann, kam ihm die Idee, sie mit den gerade in Betrieb genommenen Photovoltaikanlagen zu verknüpfen.

Bereits seit 2002 sind Arbeitgeber*innen in Deutschland verpflichtet, ihren Arbeitnehmer*innen auf deren Wunsch hin eine bAV anzubieten. Bei Ecosia hatte bislang aber niemand danach gefragt. Sollte es nun doch jemand tun, wäre es aus Arbeitgeber*innen-Sicht bequem, eine Direktversicherung abzuschließen. Allerdings sind diese in der Regel weder sozial-ökologisch noch ökonomisch rentabel – zwei Anliegen, die Ecosia im Kern ausmachen.

Am Ende eines Treffens mit anderen Unternehmen in Verantwortungseigentum stand die Einsicht, dass es bis dato kein bAV-Modell gibt, das den Anforderungen „nachhaltig“ und „rentabel“ genügt. „Dann habe ich gesagt, wir pilotieren das einfach“, erinnert sich Wolfgang. Die Herausforderung war also, ein bAV-Modell zu entwerfen, das sozial-ökologisch ist und sich dennoch wirtschaftlich rentiert.

„Wir haben die Sanierung von asbestverseuchten Dächern bezahlt, im Gegenzug durften wir dort Photovoltaikanlagen installieren.“
Wolfgang Oels
Die betriebliche Altersvorsorge

Die bAV ist neben gesetzlicher Rentenversicherung und privater Vorsorge ein Pfeiler des Drei-Säulen-Systems der deutschen Alterssicherung. Es gibt verschiedene Arten, die sich in arbeitgeber*innen- und arbeitnehmer*innen-finanzierte Durchführungswege aufteilen.

Bei der Direktzusage, der Unterstützungskasse und dem Pensionsfonds trägt normalerweise allein die*der Arbeitgeber*in die Kosten. Gerade große Unternehmen bieten ihren Angestellten solche Modelle an. Je kleiner das Unternehmen, desto kleiner ist durchschnittlich der Anteil der Beschäftigten mit bAV.

Seit 2002 hat deshalb jede*r Arbeitnehmer*in zumindest Anspruch auf eine bAV, bei der die Beiträge von den Arbeit- nehmer*innen eingezahlt werden und von Arbeitgeber*innen nur geringfügig ergänzt – wie etwa die Direktversicherung und die Pensionskasse. Allen Durchführungswegen ist gemein, dass die Arbeitgeber*innen für das eingezahlte Geld haften.

Durchführungswege der bAV im Jahr 2019 – Verteilung der Deckungsmittel
Durchführungswege der bAV im Jahr 2019

Das Grundprinzip der bAV

Die arbeitnehmer*innen-finanzierten Durchführungswege der bAV bauen auf der sogenannten Entgeltumwandlung auf, bei der Arbeitnehmer*innen auf einen Teil ihres Gehalts verzichten und Arbeitgeber*innen diesen zur Altersvorsorge anlegen. Dabei profitieren Arbeitnehmer*innen von staatlicher Förderung: Seit August dieses Jahres kann man monatlich steuerfrei bis zu 568 Euro in der bAV anlegen.3

Bis zu 284 Euro monatlich sind zudem von Sozialabgaben befreit, es sei denn, man kommt nach der Entgeltumwandlung über die Beitragsbemessungsgrenze, die 2021 bei monatlich 4.837,50 Euro liegt. „Das ist ein Riesenhebel, der dahinter ist“, sagt Wolfgang. Denn für jeden investierten Euro gehen bis zu 2,40 Euro in die bAV.4


„Das ist ein Riesenhebel, der dahinter ist.“
Wolfang Oels
Eine Beispielrechnung zur Entgeldumwandlung
Eine Beispielrechnung zur Entgeltumwandlung

Eine ledige, 35-jährige Arbeitnehmerin verdient 4.000 Euro brutto – das entspricht in etwa dem Durchschnittslohn (arithmetisches Mittel) Vollzeitbeschäftigter in Deutschland. Sie ist gesetzlich versichert und bezahlt bei der Krankenversicherung einen Zusatzbeitrag von 1,1 Prozent. In die bAV möchte sie 200 Euro ihres monatlichen Bruttolohns geben. Der Staat verzichtet bei dieser Anlage auf den Abzug von Steuern und Sozialabgaben.

Da aber nicht nur sie, sondern auch die Arbeitgeberin durch den verringerten Bruttolohn Sozialabgaben spart, ist Letztere gesetzlich verpflichtet, mindestens 15 Prozent des eingezahlten Beitrags hinzuzugeben. Da Arbeitgeber*innen sogar 20 Prozent einsparen, hat Ecosia entschieden, die Ersparnis vollständig an die Arbeitnehmer*innen weiterzugeben. Für unsere Beispiel-Arbeitnehmerin würden also monatlich 240 Euro angespart – bei einem Nettoaufwand von 104,90 Euro (siehe Tabelle).

Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass sich der Anspruch aus den Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung etwas verringert, da der Bruttolohn entsprechend geringer ausfällt.


Das Ecosia-Modell

Das von Ecosia ausgearbeitete Modell ist im Grunde recht simpel. Ecosia legt für die Arbeitnehmer*innen Geld an, haftet dafür und versichert sich deshalb. Das funktioniert wie folgt: Die Arbeitnehmer*innen entscheiden, wie viel Geld sie monatlich in die bAV einzahlen möchten. Ecosia gibt 20 Prozent hinzu und investiert die Summe im Solaranlagenportfolio. In einer Versorgungsordnung wird bestimmt, dass Ecosia für diese Einlagen zuzüglich einer jährlichen Rendite von 3 Prozent haftet.

Da Ecosia, wie jedes Unternehmen, das in Deutschland eine bAV anbietet, Mitglied im Pensions-Sicherungs-Verein (PSVaG) ist, bekämen die Arbeitnehmer*innen auch ihr Geld, wenn das Unternehmen zahlungsunfähig würde. Der PSVaG würde die Ansprüche der Arbeitnehmer*innen aus der bAV im Insolvenzfall bedienen. Diese Mitgliedschaft kostet Ecosia im Verhältnis zu den Einlagen 4,2 Promille (2020) und wirkt sich damit kaum auf die Gesamtkosten aus. Statt also die bAV auszulagern, hat Ecosia ein eigenes Anlageobjekt aufgebaut, das sozial-ökologisch und zugleich profitabel ist.

„We­gen der Vergütungssicherheit im Rahmen des EEGs sind die Gewinnmargen für die nächsten 20 Jahre fix.“
Wolfang Oels
Das Ecosia-Modell als Organigramm dargestellt.

Was das Modell dennoch komplex macht, ist ebenjenes Anlageobjekt. „Wir haben die aufwendigste Möglichkeit genommen, um in grüne Assets zu investieren“, findet Wolfgang. Denn das Geld, das die Arbeitnehmer*innen monatlich ansparen, gibt Ecosia in die Ecosia Erneuerbare Energien GmbH & Co. KG. Diese hat wiederum zum einen mithilfe eines Kredits der GLS über den B2B-Solaranlagen-Anbieter Enviria Solaranlagen gekauft und zum anderen ein Gemeinschaftsprojekt mit der Naturstrom AG begonnen, die dafür ihrerseits einen Kredit bei der UmweltBank aufnahm.

Mit den Einnahmen aus dem Stromverkauf sowie Investitionen im Wege der bAV werden zunächst die Schulden beglichen. Da die Kreditzinsen niedriger sind als die erwartete Rendite, ist das Modell von Anfang an profitabel.

Zusätzlich hat sich Ecosia für den Notfall abgesichert. Sollte etwas geschehen, das die KG existenziell bedroht, haftet die dafür gegründete Komplementärin, die Erneuweb GmbH. Ecosia wiederum ist Kommanditistin an der KG, haftet also nur mit den eigenen Anlagen. „Wegen der Vergütungssicherheit im Rahmen des EEGs sind die Gewinnmargen für die nächsten 20 Jahre fix.“ Hinzu kämen Zinseszins-Effekte. Wolfgang rechnet vor, dass bei einer monatlichen Anlage von 240 Euro bei jährlich 3 Prozent Rendite nach 20 Jahren eine Gesamtrendite von 6 Prozent erwächst.

Was passiert, wenn eine Mitarbeiter*in Ecosia verlässt?

Mitarbeiter*innen, die Ecosia verlassen, können ihre bAV nicht mit zu ihrem*r neuen Arbeitgeber*in nehmen. Viele Versicherungsprodukte bieten einen solchen Service an. Dafür tilgen dessen laufende Kosten die Renditeerwartungen teilweise.

Zudem läuft die Auszahlung meist über eine Verrentung, die sich erst ab einem bestimmten Lebensalter lohnt. „Wir haben uns gegen eine Verrentung entschieden, da wir sonst mit einer Versicherung hätten zusammenarbeiten müssen – womit der grüne Aspekt und die Rendite verloren gegangen wären“, sagt Wolfgang dazu.

Stattdessen zahlt Ecosia das angesparte Geld auf einmal aus und macht sich dabei die sogenannte Fünftelregelung zunutze, bei der das Geld so versteuert wird, als wäre es auf fünf Jahre verteilt worden. Diese Regelung gilt für alle Mitarbeiter*innen von Ecosia, die jemals eingezahlt haben.

Was passiert, wenn ein*e Arbeitnehmer*in Geld in der Ecosia-bAV anlegt?

  1. Per Mail kommuniziert die Mitarbeiterin aus unserem Beispiel, dass monatlich 200 Euro von ihrem Bruttogehalt in die bAV gehen sollen.
  2. Die Mitarbeiterin und Ecosia halten dies vertraglich fest. Ecosia zahlt der Mitarbeiterin fortan 200 Euro weniger Bruttolohn.
  3. Insgesamt zahlt Ecosia 240 Euro in die bAV, was eine Investition in die Ecosia Erneuerbare Energien GmbH & Co. KG bedeutet, die die Solaranlagen hält.
  4. Erlöse aus dem Verkauf von Strom gehen an die Ecosia Erneuerbare Energien GmbH & Co. KG.
  5. Einmal jährlich kommuniziert Ecosia an die Mitarbeiterin die Höhe ihrer Einlagen.
  • Die Mitarbeiterin ist in Teilen sogar wie eine Kommanditistin gestellt. Das bedeutet: Ergibt sich eine höhere Rendite als 3 Prozent, wird dies an die Mitarbeiterin weitergegeben. Liegt die Rendite darunter, zahlt Ecosia wegen der Versorgungsordnung dennoch die zugesicherten 3 Prozent.
  • Geht die Ecosia Erneuerbare Energien GmbH & Co. KG insolvent, haftet die Komplementärin Erneuweb GmbH. Ecosia bleibt davon unberührt.
  • Sollte Ecosia ebenfalls Insolvenz anmelden, zahlt die PSVaG der Mitarbeiterin die Einlagen in vertraglich zugesicherter Höhe, also die Einlagen plus Rendite.

Wie es weitergehen könnte ...

Wolfgangs Kalkül ist, die bAV zum Divestment-Instrument umzumünzen: Sein Modell soll der Anfang einer Bewegung sein, die den fossilen Energieunternehmen die Investitionen entzieht: „Wenn das viele Menschen machen würden, könnten wir da richtig was bewegen.“

Ein Beispiel: Entschieden sich 50, also etwas mehr als die Hälfte der Mitarbeiter*innen dazu, jeweils 200 Euro ihres Bruttolohns einzuzahlen, kämen im Jahr, inklusive Arbeitgeberzuschuss von 20 Prozent, allein bei Ecosia 144.000 Euro Investitionsvolumen zusammen.

„Mit dem Geld, das in der bAV steckt, könnte man Deutschland spielend erneuerbar machen.“
Wolfgang Oels

Auf nationaler Ebene wären das schwindelerregende Summen. Die Deckungsmittel, also das Geld, das für alle Durchführungswege der bAV in Deutschland insgesamt zurückgelegt wurde, betrugen 2019 über 650 Milliarden Euro.5

Deshalb sagt Wolfgang: „Mit dem Geld, das in der bAV steckt, könnte man Deutschland spielend erneuerbar machen.“ Tatsächlich rechnet die Bundesregierung mit Investitionen in Höhe von 550 Milliarden Euro, die für die Energiewende alles in allem vonnöten sind.6 Doch um das möglich zu machen, wäre es auch organisatorisch ein weiter Weg. Bislang haben viel weniger Mitarbeiter*innen bei Ecosia das Angebot der bAV genutzt als Wolfgang ursprünglich dachte.

„Es liegt wahrscheinlich an unserem internationalen Team“, mutmaßt er. Für sie seien zu viele Unbekannte im Spiel: Wo werde ich zum Zeitpunkt der Auszahlung leben? Wie sind die dortigen Regeln? „Wenn man dann nicht in Deutschland lebt, ist natürlich die Frage, wie das dann versteuert wird. Außerdem scheinen sich viele junge Menschen heute einfach keine Gedanken über ihre Altersvorsorge zu machen.“

Trotzdem hält Wolfgang am Modell fest. Es sei ökologisch, ökonomisch attraktiv und relativ einfach umzusetzen. Anstatt eigene Solaranlagen aufzubauen, könne man genauso gut in bestehende Photovoltaik-Projekte investieren. Wolfgang listet Plattformen wie wiwin oder ecoligo auf. Laufzeit und Verzinsung werden dort gewöhnlich direkt angegeben.

Alle Partner*innen von Ecosia

Zum Weiterdenken

  • Bei Ecosia haben letztlich längst nicht so viele Mitarbeiter*innen die bAV in Anspruch genommen wie anfangs gedacht. Wie könnte man das Modell oder die Kommunikation anpassen, damit es auch in internationalen Teams größeren Anklang findet?
  • Nach der Vorstellung des Ecosia-Modells haben die Mitarbeiter*innen nach einer Beispielrechnung gefragt. Das Problem dabei ist, dass der Nutzen stark fallabhängig ist. Welche Tools erlauben Mitarbeiter*innen individuell abzuwägen, inwiefern sich eine bAV für sie lohnt?
  • Welche Vorteile hat es, Mitarbeiter*innen bei der Entwicklung eines eigenen bAV-Modells einzubinden? Sind Unternehmen in Selbstorganisation da im Vorteil?

Take aways

  • Das Pilotprojekt von Ecosia garantiert eine nachhaltige und profitable Altersvorsorge für seine Angestellten und setzt dabei auf ein eigenes Solaranlagen-Portfolio. Ecosia legt für die Arbeitnehmer*innen Geld an und haftet dafür.
  • Für das Solaranlagen-Portfolio hat Ecosia eine GmbH & Co. KG gegründet. Zusätzlich richtete das Unternehmen eine GmbH ein, die als vollhaftende Komplementärin fungiert.
  • Statt des Aufbaus eines eigenen Portfolios kann man auch in bestehende nachhaltige Projekte investieren. Das verringert die Komplexität des bAV-Modells.

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