Der weibliche Zyklus ist mitten in der gesellschaftlichen Debatte um Gleichberechtigung und Feminismus angekommen. Doch von diesem Wandel ist in der Arbeitswelt bislang kaum etwas zu spüren. Das muss sich ändern: Denn wenn Menschen ganz bei der Arbeit sein sollen, heißt das auch, dass sie mit ihrer Menstruation da sind.
Ein renoviertes Loft mit großen Fenstern und durchdachter Einrichtung, Siebträgermaschine, frisches Obst, Sukkulenten auf der Fensterbank. Beim Besuch eines Berliner Start-ups wird schnell klar: Hier wird viel für das Wohlbefinden der Mitarbeiter*innen getan. Aber die Bemühungen enden wie so häufig auf der Toilette: Dort steht eine leere Tampon-Box, die auf Eigeninitiative der Mitarbeiter*innen hin angeschafft und schon länger nicht mehr aufgefüllt wurde. Es ist erstaunlich, wie viele Kickertische in Unternehmen stehen und wie wenige gefüllte Tampon-Schachteln auf deren Toiletten.
Dass die Menstruation in der Arbeitswelt generell kaum Beachtung findet, hat eine britische Studie aus dem Jahr 2017 gezeigt. Nur sieben Prozent der befragten Arbeitgeber*innen haben sich aktiv mit der Menstruation beschäftigt. Dass sich das ändern muss, ist klar. Denn die Missachtung der Menstruation steht sinnbildlich für veraltete Strukturen, die auf männliche bzw. nicht-menstruierende Mitarbeiter ausgelegt sind. Und damit ist die Beschäftigung mit der Periode direkt mit Gleichberechtigung verbunden. Denn echte Inklusion funktioniert nur dann, wenn Unterschiede anerkannt und respektiert werden.
Vom Fluch zum Medienphänomen: die Geschichte der Menstruation
Generell überrascht die geringe Relevanz der Menstruation in der Arbeitswelt nicht. Denn die gesellschaftliche Beschäftigung mit ihr war lange Zeit von Scham, Ekel und Verheimlichung geprägt – und das kulturübergreifend. Bereits in der Antike wurde die monatliche Blutung als Fluch oder Gift bezeichnet. Erst im vergangenen Jahrhundert hat der Wertewandel in Bezug auf Geschlecht und Sexualität das Stigma, zumindest in den westlichen Industrienationen, aufgebrochen. Allerdings hat sich das Tabu vom öffentlichen in den privaten Raum verlagert. Verfestigt durch sprachliche Umschreibungen oder eine unrealistische Darstellung in Medien und Werbung, ist die Menstruation für viele auch heute noch ein unangenehmes Thema. Seit einigen Jahren setzen sich Aktivistinnen, Künstlerinnen und Start-ups daher für einen offeneren und positiven Umgang mit der Menstruation ein. Von Petitionen, die für eine geringere Steuer auf Tampons kämpfen, über innovative Menstruationsunterwäsche bis hin zu Hashtags wie #PeriodPositivity und dem Ruf nach einem Perioden-Emoji: Rund um die Periode ist so viel passiert, dass verschiedene Medien 2015 als das Jahr der Periode bezeichnet haben.
Warum aller Anfang gar nicht so schwer ist
Ganz so weit ist die Arbeitswelt noch nicht. Dabei gibt es für Organisationen viele einfache und unkomplizierte Möglichkeiten, sich mit der Menstruation zu beschäftigen. Eine 2013 durchgeführte Studie hat gezeigt, dass es im Schnitt nur 4,67 Dollar pro Jahr pro Frau kostet, Hygieneprodukte für Mitarbeiter*innen bereitzustellen. Was im Verhältnis zu den eigentlichen Kosten gering ist – denn bei einem Unternehmen mit 1.000 Mitarbeiter*innen, von denen 400 regelmäßig menstruieren, können jährlich insgesamt 2.752 Arbeitsstunden verloren gehen, wenn die Mitarbeiter*innen nur einmal pro Jahr unerwartet von ihrer Periode überrascht werden.
Das Bereitstellen von Menstruationsprodukten ist nur der Anfang. Das Berliner Start-up einhorn ist gerade dabei, den Umgang mit der Menstruation insgesamt zu revolutionieren. Zu dieser Revolution gehören faire und nachhaltige Periodenprodukte, Aktionen wie die Bundestagspetition zur Senkung der Mehrwertsteuer auf Tampons und die Tatsache, dass die Menstruation bei einhorn ganz selbstverständlich Teil des Arbeitsalltags ist. Das zeigt sich nicht nur in Office-Wärmflaschen oder flexiblen Arbeitszeiten, sondern vor allem in einer offenen Kommunikation über die Menstruation. Elena Weidemann, Content- und Social-Impact-Managerin bei einhorn, sieht die Organisation in der Pflicht: „Arbeitgeber*innen sollten sich in die Angestellten hineinversetzen und nicht vom eigenen Empfinden auf das der Mitarbeitenden schließen. Ein offenes Gespräch oder für alle transparente Regelungen können hier Abhilfe schaffen.“
Die britische Organisation Coexist ist mit der Einführung einer Menstrual Leave Policy genau diesen Schritt gegangen. Mitarbeiter*innen können bei Beschwerden eine Art Menstruationsurlaub nehmen. Im Grunde ermöglicht die Richtlinie flexible Arbeitszeiten – mit dem Unterschied, dass die Menstruation offen als Grund für die Abwesenheit kommuniziert wird. Wenn ein*e Mitarbeiter*in Gebrauch von der Richtlinie macht, können die Stunden entsprechend nachgearbeitet werden, sie müssen es aber nicht. Für Mitarbeiter*innen im Schichtdienst ist es allerdings nicht immer möglich, in den Menstruationsurlaub zu gehen. Deshalb versucht Coexist, den Zyklusverlauf bei der Dienstplanung direkt zu berücksichtigen. Dafür ist gegenseitiges Vertrauen ebenso notwendig wie ausreichend Wissen über die eigene Menstruation. Seit der Einführung der Richtlinie gibt es daher auch immer wieder Workshops zum Thema.
Drei Jahre später ist das Fazit positiv: Die Hälfte der Mitarbeiter*\innen nutzt die Menstrual Leave Policy regelmäßig. „Wir haben bei uns eine offene, vertrauensvolle Kultur, in der niemand mit der Wimper zuckt, wenn ich meine Menstruation erwähne. Aber seit wir die Richtlinie eingeführt haben, wird viel mehr über das Thema gesprochen. Es hat der Menstruation eine Berechtigung und einen Platz gegeben“, berichtet Ruth Keenan, Front-of-House-Managerin bei Coexist. Für Coexist ist klar, dass die Richtlinie vor allem ein Experiment ist und nicht in jeder Organisation funktioniert. Ebenso klar ist ihnen allerdings auch, dass das Tabu nur über eine offene Kommunikation im Arbeitskontext gebrochen werden kann.
Schritt für Schritt in Richtung Gleichgewicht
Es gibt für Organisationen viele Wege, die Periode in den Arbeitsalltag zu integrieren. Und ebenso viele Gründe, damit endlich anzufangen. Denn der Zyklus hat für viele Menstruierende große Auswirkungen auf das psychische und körperliche Wohlbefinden.
Aus Angst vor Vorurteilen oder negativen Konsequenzen gehen viele Menstruierende trotz menstruationsbedingter Beschwerden zur Arbeit. Und während Stress oder Lärmbelastung am Arbeitsplatz einen negativen Einfluss haben, wirken sich Unterstützung und Verständnis positiv auf die Menstruationserfahrung aus.
Die Menstruation hängt außerdem direkt mit Gleichberechtigung und Wertschätzung zusammen. Organisationen reproduzieren Ungleichheit über diskriminierende Strukturen und Prozesse. Kleine Veränderungen wie das Bereitstellen von Periodenprodukten können diese Strukturen nach und nach aufbrechen. Ruth von Coexist sieht das so: „Die Beschäftigung mit der Menstruation ist ein kleiner Schritt zur (Wieder-)Herstellung eines Gleichgewichts.“ Dabei ist das Anerkennen von körperlichen Unterschieden kein Rückschritt, sondern ermöglicht erst echte Gleichberechtigung. Und zu guter Letzt ist die Menstruation der beste Beweis dafür, dass das Leben eben nicht vorhersehbar und linear verläuft – nicht nur bei Menstruierenden, sondern bei allen Mitarbeiter*innen.
Der Zeitpunkt für eine Auseinandersetzung mit der Menstruation könnte nicht besser sein. Denn immer mehr Unternehmen versuchen, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Sie wollen die Strukturen dafür schaffen, dass die Mitarbeiter*innen mit all ihren Bedürfnissen in der Organisation ihren Platz finden. Und dazu gehört eben auch die Menstruation.
Was können Unternehmen tun?
Hier sind unterschiedliche Ideen für Organisationen zusammengefasst, die zeigen, wie eine Beschäftigung mit der Menstruation in der Praxis konkret aussehen kann. Die Ideen sind das Ergebnis von Interviews mit unterschiedlichen Unternehmen, die Menstruationsmaßnahmen entwickelt und erprobt haben. Grundlagen für eine erfolgreiche Implementierung sind die Unterstützung von Führungskräften, ein vertrauensvolles Arbeitsklima sowie eine partizipative und experimentierfreudige Gestaltung der Maßnahmen.
Hygieneartikel im Bad
Tampons und Binden für Mitarbeiter*innen bereitzustellen ist eine einfache, unkomplizierte und effektive Maßnahme. Kleinere Organisationen können auf individuelle Wünsche der Mitarbeiter*innen Rücksicht nehmen, für größere bietet sich eine Standardausstattung ein.
Flexible Arbeitszeiten
Die Möglichkeit, aus dem Homeoffice arbeiten zu können, erleichtert Frauen den Umgang mit ihrem Zyklus. Damit deutlich wird, dass die Menstruation ein legitimer Grund ist, um von zu Hause aus zu arbeiten, sollte sie explizit in einer jeweiligen Regelung erwähnt oder offen über sie kommuniziert werden.
Perioden-Gimmicks
Ob Wärmflasche, Tee oder Schokolade – Perioden-Gimmicks sind vor allem eine Geste der Wertschätzung und Anerkennung. Der Fantasie sind generell keine Grenzen gesetzt, es lohnt sich aber in jedem Fall, die Mitarbeiter*innen in die Auswahl einzubeziehen.
Arbeitsplatzgestaltung
Ruhezonen ermöglichen es Frauen mit Menstruationsbeschwerden, kurze Pausen während ihrer Arbeitszeit einzulegen und sorgen insgesamt für ein angenehmes Klima im Unternehmen. Falls eine Renovierung oder ein Umzug bevorsteht, bietet es sich an, auf den Toiletten Platz für Tampon-Spender einzuplanen oder Kabinen mit eigenem Waschbecken auszustatten.
Gesundheitsmanagement
Die Menstruation sollte ein fester Bestandteil des betrieblichen Gesundheitsmanagements sein. Ein guter Start ist es für Unternehmen, sie in bereits vorhandene Maßnahmen, wie Yoga-Kurse oder Gesundheitstage, zu integrieren.
Menstruationszeit
Eine Richtlinie für das Nehmen von Menstruationszeit ermöglicht Frauen einen zyklusgerechten Arbeitsalltag. Sie eröffnet den Mitarbeiter*innen die Möglichkeit, bei Menstruationsproblemen von zu Hause beziehungsweise einer Ruhezone im Büro aus zu arbeiten oder alternativ von der bezahlten Menstrual Leave Gebrauch zu machen.
Zyklus-Tracking
Führen Frauen ein Menstruationstagebuch, dann können sie ihre eigene Arbeit besser im Hinblick auf die einzelnen Zyklus-Phasen planen. Haben sie sogar einen gemeinsamen Kalender mit Team oder Führungskraft, kann dieser das beidseitige Verständnis erhöhen und eine zyklusgerechte Aufteilung von Aufgaben unterstützen.