Es gibt eine ganze Menge Geschlechter zwischen und jenseits von Mann und Frau, die in der Arbeitswelt viel zu selten vorkommen. Damit sich das ändert, gibt es diese Kolumne. Diesmal: An den meisten Orten befinden sich Toiletten für Männer und Toiletten für Frauen. Unser*e Kolumnist*in kann beide nicht nutzen.
Ich sitze in einem Konferenzraum im Hotel, vor mir auf dem Tisch mein Namensschild und eine Flasche Wasser. Ich habe Durst, zögere aber, die Flasche zu öffnen. Um aufs Klo zu gehen, verschwinde ich immer „kurz“ auf mein Hotelzimmer. Kurz schreibe ich in Anführungszeichen, weil das vom Konferenzsaal aus eine Viertelstunde dauert. Ich plane also, wann ich wie viel trinke – und lasse die Wasserflasche in der zweiten Nachmittagshälfte unangetastet. Wenn ich weniger trinke, muss ich nicht so oft aufs Klo. Dabei sind die Toiletten eigentlich direkt neben dem Konferenzsaal. Aber nicht für mich. Das sagen mir zwei Türschilder, auf dem einen eine Figur mit Anzug, auf dem anderen eine mit Kleid, darunter steht „Männer“ und „Frauen“. Nun sehe ich an manchen Tagen wie das eine, an anderen Tagen wie das andere aus – oder für die einen so, für die anderen so. Und oft auch ziemlich genau dazwischen.
In vielen Momenten in meinem Alltag überlege ich mir schon vor dem Verlassen der Wohnung, wo die nächste Toilette ist, die ich nutzen kann – und springe lieber noch mal kurz ins Bad, als mich im Café notgedrungen für eine der beiden Optionen zu entscheiden. Denn in den Kloräumen ernte ich oft schiefe Blicke oder empörte Nachfragen – ob ich mich verlaufen hätte. Aus beiden Toiletten wurde ich schon mehr oder weniger freundlich hinausgebeten, auf beiden werde ich meistens angestarrt wie ein Fremdkörper. Mir wurde schon komplett der Zutritt verweigert, mindestens drehen sich Menschen aber noch mal kurz peinlich berührt zur Tür, wenn sie mich sehen – um sich zu vergewissern, dass sie auch ja durch die richtige Tür gegangen sind. Der Stress und die Angst sind aber immer da und machen diese paar Minuten zu den angespanntesten meines Tages.
Die entsetzten Blicke und die scharfen Worte, die mir auf Toiletten begegnen, entspringen dem Reflex, eine vermeintliche Grenzüberschreitung ahnden zu wollen – aber auch dem Drang, selbst auf keinen Fall eine soziale Regel zu missachten. Wir alle lernen schon in den ersten Lebensjahren, auf welche Toiletten wir gehen sollen – entweder auf die für Frauen oder für Männer –, und machen das dann meist so für den Rest unseres Lebens. Was aber ist, wenn eine Person sich von dem ihr bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht wegbewegt? Oder wenn sie nicht eindeutig als Frau oder Mann erkannt wird, zum Beispiel wegen ihrer Frisur oder Körperstatur? Was, wenn eine Person „irgendwie dazwischen“ aussieht? Wo geht sie auf die Toilette?
Gemeinsam kacken
Der Witz dabei: Es gibt keine Notwendigkeit für geschlechtergetrennte Toiletten. Der kanadische Soziologe Erving Goffman beschreibt die Trennung als ein rein kulturelles Phänomen. Es wird so getan, als seien getrennte Toiletten eine natürliche Folge des Unterschieds zwischen den Geschlechtern. Dabei dient die Trennung dazu, den Unterschied überhaupt erst herzustellen.
Bis zur viktorianischen Ära des 19. Jahrhunderts gab es keine Geschlechtertrennung bei Toiletten. Das antike Rom ist beispielsweise bekannt für seine Gemeinschaftstoiletten, in denen Menschen nebeneinander auf Bänken ohne Trennwände ihr Geschäft verrichteten. Die Idee, Toiletten für Männer und Frauen zu trennen, entstand erst durch die viktorianischen Moralvorstellungen. Die Geschlechterordnung sah damals Männer als die starken Ernährer an und Frauen als deren unterwürfige Helferinnen. Frauen gehören ins Private, in die Waschküchen und hinter die Herde, Männern gehört der öffentliche Raum, die Stadt und die Politik, so die Logik. Bald belegten pseudowissenschaftliche Studien die Schwäche des weiblichen Geschlechts, dessen Sittsamkeit und Reinheit es folglich besonders zu schützen galt. Männer(räume) und Frauen(räume) wurden rigide auseinandergehalten.
Infokasten
Öffentliche Toiletten dezidiert für Frauen gab es zu dieser Zeit nicht. Waren sie länger außer Haus, als es die Blase erlaubte, mussten sie improvisieren. Doch durch die Industrialisierung lockerte sich die Ordnung der Geschlechter, da Frauen nicht mehr vorrangig Haus, Hof und Kinder hüteten, sondern sich als Arbeiterinnen selbstverständlicher in der Öffentlichkeit bewegten. Frauen nutzten vielerorts zunächst einfach die gleichen Toiletten wie die männlichen Arbeiter. Um aber die Tugendhaftigkeit und Reinheit des schwächeren Geschlechts zu schützen, entstanden im Laufe des 19. Jahrhunderts von Großbritannien ausgehend nach und nach immer mehr geschlechtergetrennte Toiletten. Die vermeintliche Errungenschaft der Frauentoilette basiert also auf sexistischen Ansichten.
Alle sollen sich sicher fühlen
Schon oft wurde mir in Gesprächen entgegnet, man fühle sich aber komisch, wenn dann einfach ein Mann mit am Waschbecken steht. Das kann ich nachvollziehen, es geht hier wie so oft um Gewohnheit. Unbewusst nutzen wir aber alle schon oft Unisextoiletten, beispielsweise in Zügen, Flugzeugen oder zu Hause, und ich bin sicher, dass sich auch alle ans gemeinsame Händewaschen im Büro gewöhnen können.
Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Ich bin für Frauen-Schutzräume und möchte sie niemandem wegnehmen. Wir leben noch immer in einer patriarchalen Gesellschaft, die Schutzräume für Frauen notwendig macht – und zwar mehr, als sie bisher vorhanden sind. Nur müssen diese nicht da sein, wo alle pinkeln. Sexualisierte Übergriffe sind nicht auf die Toilettensituation beschränkt und werden auch durch eine Geschlechtertrennung nicht verhindert. Die Trennung führt aber im Gegenteil dazu, dass Menschen, die nicht in die zweigeschlechtliche Ordnung passen, diskriminiert werden und schlicht kein stilles Örtchen haben.
Die Lösung ist ganz einfach: bestehende Toiletten umwidmen. Dafür muss nur das Schild ausgetauscht werden. An den Türen ist dann keine Figur mehr in Kleid oder Hose zu sehen. Stattdessen zeigt es, was sich hinter der Tür verbirgt, also zum Beispiel zwei Toilettenkabinen, drei Pissoirs. Für die Übergangszeit sollte ein Zettel aufgehängt werden, der erklärt, warum die Beschriftung geändert wurde. Für viele Menschen wird sich dadurch wenig bis gar nichts ändern. Niemandem wird eine Toilette weggenommen, denn die umgewidmeten Toiletten sind für mehr Menschen nutzbar als vorher. Für mich bedeuten die neuen Toilettenbeschriftungen, dass ich nicht überlegen muss, ob ich das Glas Wasser jetzt noch trinke oder nicht und mich in öffentlichen Toiletten auf das einzige Relevante an diesem Ort konzentrieren kann: aufs Klo zu gehen.