Eines der organisationalen Kernelemente bei soulbottles ist die Gewaltfreie Kommunikation. Sie ermöglicht, dass sich alle bei der Arbeit so zeigen können, wie sie sind und sorgt für einen wertschätzenden Umgang im Team – selbst als das Unternehmen 2022 ein Drittel der Belegschaft entlassen hat.

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Abo sichernBevor Georg Tarne 2012 soulbottles gründete, hatte er eine Trainerausbildung in gewaltfreier Kommunikation (GfK) gemacht. Er war fortan überzeugt, dass die GfK helfen kann, zwischenmenschliche Beziehungen und Entscheidungen zu verbessern. Er und sein Mitgründer Paul Kupfer waren sich einig, dass davon auch ihr Unternehmen profitieren würde. Zudem war es den beiden Gründern wichtig, dass sie sich bei der Arbeit nicht verstellen müssen.
Anhand von GfK wollten sie eine Unternehmenskultur schaffen, die den Mitarbeiter*innen ein Gefühl von Sicherheit vermittelt, welches ermöglicht, authentisch zu sein und auch unbequeme Dinge anzusprechen. Im kleinen Gründungsteam gelang das. Als das Unternehmen dann dank Angel Investment und Crowdfunding wuchs, bestand die zentrale Herausforderung darin, die Kultur fest im Unternehmen zu verankern.
Beziehungsarbeit > Operative Arbeit
GfK in Unternehmen kann nur gelingen, wenn die Beziehungsarbeit höher gewichtet wird als die operative Arbeit. So werden, auch bei hoher Arbeitsbelastung, Räume und Formate der GfK nicht in ihrer Priorität herabgestuft. Dazu muss die Bedeutung der GfK allen im Unternehmen bewusst sein und ihre Methoden müssen regelmäßig geübt werden.
Individuelle Ausbildung
Wer neu zu soulbottles kommt, egal ob Praktikant*in oder Lead, nimmt innerhalb der ersten drei Monate an einem Einführungskurs teil. Dass sich jede*r einen Grundwortschatz in GfK und eine zugewandte Haltung aneignet, ist Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit im Unternehmen. Jede*r muss beispielsweise wissen, was Grundbedürfnisse, Strategien und konkrete Bitten sind.
Weil es Neuen leichter fällt sich zu öffnen, wenn im Seminar nicht nur Kolleg*innen und Vorgesetzte sitzen, findet die Einführung außerhalb des Unternehmens statt. Inzwischen hat soulbottles einen Pool an externen Trainer*innen, aus denen jede*r neue Mitarbeiter*in den*die passende*n für sich auswählen kann.
Was ist GFK?
Alina Stöver, die seit 2019 bei soulbottles arbeitet und die Rolle ‚Persönlichkeits- und Kulturentwicklung‘1 innehat, betont, dass es bei der Vermittlung von GfK-Grundlagen wichtig sei, sich auf sein Publikum einzustellen: „Wir achten darauf, dass die Trainer*innen, mit denen wir zusammenarbeiten, anschlussfähig sind, also keine irritierende Sprache verwenden, die zu Ablehnung führen könnte.“ Es solle nicht der Eindruck entstehen, dass GfK weltfremd oder esoterisch sei, das Gegenteil sei nämlich der Fall.
In der Regel dauert der Kurs ein Wochenende. Die Kosten trägt soulbottles und rechnet die Stunden als Arbeitszeit an. Zudem bekommt jede*r das Buch Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation von Marshall B. Rosenberg geschenkt, weil es ein guter Startpunkt ist.
Weiterbildung zum*zur GfK-Expert*in
Mitarbeiter*innen können sich nach einem Jahr bei soulbottles auch zum*zur GfK-Expert*in weiterbilden: Sie belegen dafür ein 20-tägiges Seminar, in dem sie GfK-Prinzipien verinnerlichen und sich intensiv mit sich selbst beschäftigen – auch ohne direkten Bezug zur Arbeit. Die Seminarzeit wird zur Hälfte als Arbeitszeit angerechnet.
„Die Leute werden dadurch handlungsfähiger und resilienter“, sagt Marian Gutscher, der die Rolle ‚Persönlichkeits- und Kulturentwicklung‘ sechs Jahren innehatte und entscheidend geprägt hat.
Persönlichkeits- und Kulturentwicklung
Handlungsfähiger, weil sie mehr Klarheit über ihre eigenen Bedürfnisse und die ihrer Mitmenschen bekämen. Und resilienter, weil sie lernten, mit Unsicherheiten besser umzugehen.
Nach ihrer Weiterbildung erfüllen Mitarbeiter*innen die fachliche Voraussetzung für die Rolle ‚Empathy Hero‘. „Eigentlich ist unser Ziel, dass alle so eine Weiterbildung machen“, sagt Marian. Weil das aber nur Sinn ergebe, wenn die Leute es auch wirklich wollen, bleibe das allen selbst überlassen.
Einchecken und Auschecken mit GfK
Bei soulbottles hat jedes Meeting einen Check-in und einen Check-out. Beim Check-in bekommt jede*r die Gelegenheit, zu sagen, was ihn*sie gerade beschäftigt. Alina versteht den Check-in als Einladung, kurz innezuhalten und zu teilen, was einen bewegt, um es dann besser loslassen zu können. Im Check-out kann Feedback gegeben und/oder geäußert werden, was sich seit dem Check-in geändert hat.
Der offene Austausch ermöglicht einen ehrlichen Umgang miteinander, was Konflikten vorbeugt und die Beziehungen stärkt.

Clear-the-air-Meetings
Alle zwei bis drei Monate findet ein unternehmensweites2 Clear-the-air-Meeting (CTA-Meeting) statt. Das Ziel ist, Spannungen zu lösen und den Zusammenhalt zu stärken. Jede*r kann teilnehmen, die Teilnahme verpflichtet aber nicht, eigene Spannungen mitzubringen. Im Raum gilt die Las-Vegas-Regel: Alles, was dort geschieht, bleibt auch dort.
Das CTA-Meeting besteht aus vier Runden und wird von einem*einer Mediator*in moderiert. Zur Vorbereitung schalten alle Teilnehmer*innen ihre digitalen Geräte aus und nehmen sich fünf Minuten Zeit, um zur Ruhe zu kommen.
Teil 1: Deep-Check-in
Eine Frage für den Deep-Check-in lautet: „Was gibt es in meinem Leben gerade an erfüllten Bedürfnissen zu feiern und an unerfüllten Bedürfnissen zu bedauern?“ Die Funktion dieses meist deutlich längeren Check-ins ist, Vertrauen und Verbundenheit zu schaffen.
Mediator*in
Teil 2: Spannungen lösen
Spannungen zwischen zwei Personen werden nach dem Vier-Schritte-Modell gelöst. Person A mit einer Spannung fragt zunächst die involvierte Person B, ob sie sich gerade wohlfühlt, die Spannung in großer Runde zu lösen.
Person A äußert daraufhin ihre Beobachtung und ihr Gefühl. Bspw.:
- Beobachtung: „Person B ist mehrmals nicht rechtzeitig zum Termin erschienen.“
[Die Moderation kann an dieser Stelle darum bitten, die Situation möglichst konkret zu schildern, falls sie zu allgemein formuliert ist.] - Konkretisierte Beobachtung: „Am Montag warst du zehn Minuten zu spät zu unserem Termin. Zu unserem Sync-Meeting in der vorigen Woche hast du den Check-in verpasst.“
- Gefühl: „Ich bin frustriert, weil wir sehr viel zu tun haben und die Zeit ohnehin schon knapp bemessen ist. Wenn du zu spät kommst, weiß ich nicht, ob wir die Arbeit schaffen.“
Dann bittet die Moderation Person B, zu spiegeln, was sie gerade gehört hat. Stimmt Person A nicht zu, ist sie aufgefordert, ihre Spannung noch einmal neu zu formulieren. Sobald ein gemeinsames Verständnis hergestellt ist, äußert Person A ihr Bedürfnis und ihre Bitte.
- Bedürfnis: „Mein Bedürfnis nach Verlässlichkeit ist nicht erfüllt.“
- Bitte: „Ich würde dich bitten, dir mehr Mühe zu geben, pünktlich zu unseren gemeinsamen Terminen zu erscheinen.“
Doch warum findet diese Konfliktklärung bei soulbottles in großer Runde statt? Paul zufolge ist die Hemmschwelle wider Erwarten geringer als im Zwiegespräch. Ein eigener Termin lasse die Sache größer erscheinen, als sie ist. Außerdem würden Personen durch das Lösen von Spannungen anderer dazu ermutigt, es ihnen gleichzutun.
Im CTA-Meeting werden aber nicht nur bilaterale Konflikte geklärt, sondern auch Spannungen besprochen, die Gruppen oder das ganze Unternehmen betreffen. Hierbei ist das Vorgehen weniger standardisiert. Mögliche Spannungen wären:
- „Ich beobachte, dass ihr weniger Zeit mit mir verbringt und mir weniger erzählt. Ich fühle mich isoliert.“
- „Ich bin gestresst und habe den Eindruck, es geht vielen so. Stimmt das? Wie können wir damit umgehen?“
Alina sagt, dass dadurch Themen auf den Tisch kommen, die sonst unausgesprochen bleiben: „Der Termin ist wie ein Katalysator für schlummernde Konflikte.“
Das Vier-Schritte-Modell
Das Vier-Schritte-Modell der GfK ist eine Methode, die Menschen dabei unterstützt, eine wertschätzende und empathische Kommunikation aufzubauen. Die vier Schritte sind:
- Beobachtung: eine neutrale Beschreibung dessen, was gerade passiert, ohne Bewertungen oder Interpretationen
- Gefühl: Ausdruck der eigenen Gefühle, die mit der Beobachtung verbunden sind
- Bedürfnis: Identifikation des Bedürfnisses, das hinter dem Gefühl steht
- Bitte: Formulierung einer konkreten Bitte, die dem Bedürfnis entspricht und auf eine positive Handlung abzielt
Teil 3: Wertschätzungsrunde
Die Moderationsrolle bringt die Frage ein: „Gibt es etwas, wofür du jemandem im Raum dankbar bist?“
Die Teilnehmenden überlegen dann: Wer hat mit seinem*ihrem Handeln meine Bedürfnisse erfüllt? Was habe ich in den letzten Wochen zu schätzen gelernt? Die Wertschätzung wird dann in der Runde offen ausgesprochen.
Bspw.: „Danke, dass du für alle Kaffee gekocht hast.“ Oder: „Ich bin so froh, dich als Kollegin an meiner Seite zu haben. Du erfüllst meine Bedürfnisse nach Wertschätzung und Effizienz.“
Teil 4: Check-out
Die klassische Check-out-Frage lautet: „Wie geht’s dir jetzt? Wie war das Meeting für dich?“
Antworten darauf könnten sein: „Mir geht es besser als zu Beginn des Meetings, weil ich mich sehr verbunden zu euch fühle und mir das Energie gibt.“ Oder: „Ich bin erschöpft, weil es viel Energie gekostet hat, die Spannung zu lösen.“
Gewaltfreie Konfliktlösung
Bei Konflikten, die weder direkt noch im CTA-Meeting aufgelöst werden können, weil sie unartikulierte oder sehr intensive Spannungen beinhalten, können Mitarbeiter*innen die Rolle ‚Coach‘ konsultieren. Sie hilft dabei, die Spannung in ein unerfülltes Bedürfnis zu übersetzen. Es muss sich dabei nicht um einen Konflikt mit einer anderen Person handeln, es kann auch ein unbestimmtes Gefühl sein, z.B. Überforderung.
Ein Treffen mit der Rolle ‚Coach‘ läuft normalerweise so ab:
- Klärung der Fragen: Was ist meine Spannung? Womit möchte ich gehört werden? Hier beschreibt die Person, welche Beobachtungen sie gemacht hat und welches Gefühl das bei ihr hervorruft.
- Die Rolle ‚Coach‘ hört empathisch zu und lässt aufkommenden Gefühlen des*der Spannungsinhaber*in Raum.
- Im nächsten Schritt wechselt die Rolle ‚Coach‘ in den Modus des aktiven Zuhörens, sie gibt wieder, was sie aus den Schilderungen der ratsuchenden Person mitgenommen hat.
- Im letzten Schritt geht es darum, die zugrundeliegenden Bedürfnisse zu identifizieren und auf der Basis nächste Schritte zu formulieren.
Marian hat die Schaffung der Rolle vorgeschlagen, als ein Kollege nach einem hitzigen Meeting eine Ansprechperson gebraucht hätte, um das Geschehene zu verarbeiten. Die Existenz der Rolle sorgt zum einen dafür, dass es immer jemanden gibt, der*die Kapazitäten zum Zuhören hat, zum anderen wird darin Anerkennung für die Beziehungsarbeit ausgedrückt.
Coach
Die Krise
2019 hatte soulbottles 75 Mitarbeiter*innen. Laut Marian ist der Umsatz damals um gut 30 Prozent gewachsen. Daraufhin vergrößerte das Unternehmen sein Team in der Annahme, dass dies auch im folgenden Jahr so sein würde. Während der Coronapandemie stagnierte der Umsatz dann aber. Dank des Kurzarbeiter*innengelds musste soulbottles zunächst niemandem kündigen. Doch als statt des erhofften Aufschwungs im Einzelhandel der Unternehmensumsatz 2022 sogar um ein Viertel sank, stand das Unternehmen vor einer existenziellen Entscheidung: „Entweder wir trennen uns von einem Drittel der Belegschaft3 oder wir melden Insolvenz an“, sagt Marian.
Nach vielen Gesprächen, u.a. mit Coaches, sei klar gewesen, dass es keine optimale Lösung gab, sondern nur eine weniger schlechte: Menschen zu kündigen, um das Unternehmen und damit die verbleibenden Stellen zu retten. Wie kann GfK in Kündigungsgesprächen helfen?
Kündigungsschmerz abfedern mit GfK
Alina hat, zusammen mit ihrer ehemaligen Kollegin Eva4, in ihrer Rolle als Persönlichkeits- und Kulturentwicklerin ein zusätzliches Format geschaffen, um auf diese besondere Situation zu reagieren: eine offene Runde, um einen Raum für die intensiven Gefühle zu schaffen, die entstehen, wenn Menschen um ihren Job fürchten oder Kolleg*innen verlieren. Wenn das Team keine Energie für diesen Austausch hatte, gab es auch einfach einen Check-in und eine gemeinsame Meditation. „Mir ging es darum, dass das Team in dieser Situation zusammenrückt und sich verbunden fühlt“, sagt Alina.
Marian wiederum musste Kündigungsgespräche führen. Ihm war es wichtig, den Gefühlen der Person, der er kündigte, Raum zu geben. In vielen Organisationen wird das gern ausgeklammert, weil die Situation für die Person, die die Kündigung ausspricht, oft sehr unangenehm ist. Gerade wenn mehrere solcher Kündigungen auf einmal ausgesprochen werden, ist die Versuchung groß, den Prozess technisch kühl zu gestalten. Das wäre soulbottles Anspruch, empathisch zu kommunizieren, jedoch nicht gerecht geworden.
Es war dem Team wichtig, den Mitarbeiter*innen in Kündigungsgesprächen Wertschätzung für ihre Arbeit auszusprechen und ihnen Raum zu geben, traurig, wütend oder ängstlich zu sein. „Natürlich ist die Situation auch für mich schwierig, aber für mein Gegenüber bricht vielleicht gerade die ganze Welt zusammen“, sagt Marian. Er glaubt, dass er es ohne GfK nicht geschafft hätte, die Entscheidung einerseits klar zu kommunizieren, auf der anderen Seite aber auch Raum zu geben für Gefühle. Eine Kündigung ist für die gekündigte Person immer belastend und nicht alle Dimensionen davon können durch die GfK ausgeräumt werden. Aber ein versöhnlicher Abschluss kann die psychische Belastung zumindest minimieren – und das ist etwas wert, für beide Seiten.
Takeaways
soulbottles hat gewaltfreie Kommunikation (GfK) als grundlegendes Prinzip etabliert, um eine authentische Arbeitskultur zu schaffen. Die Beziehungsarbeit wird dabei höher priorisiert als die operative Arbeit.
Jede*r, der*die bei soulbottles anfängt, macht einen GfK-Einführungskurs. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, eine Weiterbildung zur*zum Expert*in zu machen. Außerdem basieren Meetings auf GfK-Methoden, die bei Konflikten dabei helfen, die zugrundeliegenden Bedürfnisse zu erkennen.
Während der Krise gab es ein zusätzliches Format für offenen Austausch. In Kündigungsgesprächen hat GfK geholfen, Wertschätzung auszusprechen und den Gefühlen der Gekündigten Raum zu geben.
FUßNOTEN
- 1
Wir haben die Accountabilities aller Rollen auf die für die Case Study relevanten Aspekte reduziert. ↩
- 2
Oder kreisspezifisch, je nachdem, was das Unternehmen gerade braucht. ↩
- 3
Zusätzlich wurden mehrere Rollen nicht nachbesetzt, wenn Personen gingen, sodass heute nur noch 33 Menschen im Unternehmen arbeiten. ↩
- 4
Eva hat das Format mitentwickelt, obwohl sie von den Kündigungen selbst betroffen war. ↩





