In den Montagssitzungen von Reporter ohne Grenzen wurden häufig irrelevante und redundante Informationen geteilt. Viele Teilnehmer*innen langweilte das und sie bearbeiteten nebenher ihre Mails. Ein agiles Projektteam hat das Meetingformat neu gestaltet – mit Erfolg.
Jeden Montag treffen sich alle 51 Mitarbeiter*innen von Reporter ohne Grenzen (kurz RSF, Reporters sans frontières) remote zu einem All-hands-Meeting, um sich gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen. 2023 kam das Format jedoch an seine Grenzen, denn es erfüllte immer weniger seinen eigentlichen Zweck: zu informieren.
Die Geschäftsführung begann jedes Meeting mit einem kurzen Bericht und erteilte dann den Referatsleiter*innen das Wort. Dadurch entstand bei den Teams das Gefühl, der Geschäftsleitung beweisen zu müssen, wie viel sie gearbeitet haben und was sie vorhaben. Die Referatsleiter*innen erklärten also ausführlich, womit das Referat in der vergangenen Woche beschäftigt war, womit es in der aktuellen Woche beschäftigt sein wird und was sonst noch so ansteht. „Es wirkte eher wie ein Rechenschaftsbericht als ein Teammeeting“, sagt Melissa Arnecke, Referentin für Personal. Damit war das Meeting vor allem auf die Hierarchie ausgerichtet, nicht aber auf seinen Zweck, der ja darin bestand, alle bestmöglich zu informieren.
Zudem erschwerten die vielen irrelevanten und redundanten Informationen es allen Teilnehmer*innen, die für sie wichtigen Details herauszufiltern. „Viele haben abgeschaltet und nebenher Mails beantwortet“, sagt Max Kästner aus dem Fundraising-Team des Vereins. Arnecke störte sich vor allem daran, dass viel über Zwischenstände und wenig über Ergebnisse berichtet wurde.
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Magazin kostenlos lesenDie neue Struktur: kürzer, fokussierter, informierter
Daher bildete sich 2023 eine Projektgruppe, um die Montagssitzungen neu zu strukturieren: Gemeinsam mit zwei Kolleg*innen brachte Arnecke einen Vorschlag zur Überarbeitung ein. „Wir haben es in der Montagssitzung vorgestellt und ab der nächsten Woche umgesetzt“, sagt sie.
Ihr Vorschlag sah vor, die Meetings radikal zu verkürzen. Seitdem gibt es maximal zwei Schwerpunkte von jeweils zehn Minuten inklusive Rückfragen und Diskussion pro Meeting. Im dritten Agendapunkt „Sonstiges” werden Informationen geteilt, die keine nächsten Schritte erfordern, aber trotzdem für alle relevant sind – zum Beispiel, dass eine neue Kolleg:in im Team ist oder ein Kinobesuch ansteht, zu dem die Mitarbeiter*innen von RSF eingeladen werden. Zudem leitet ein*e Moderator*in die Sitzung, um sicherzustellen, dass die Mitarbeiter*innen wirklich nur Themen besprechen, die für alle relevant sind. Ein*e Protokollant*in sorgt dafür, dass auch Mitarbeiter*innen, die nicht teilnehmen, sich im Nachhinein informieren können.
Prioritäten setzen
Wer ein größeres Update geben möchte, trägt sich für einen Schwerpunkt mit Thema und Namenskürzel ins Meeting-Pad ein. Klassische Schwerpunktthemen sind etwa ein Finanzupdate oder die Ergebnisse eines größeren Projekts. Es kann aber auch eine Präsentation zum Thema Bildungszeit sein oder die Juristin erklärt, wie der Stand beim Presse-Telefonverfahren ist, bei dem RSF Verfassungsbeschwerde eingereicht hat.
„Wenn zu viele Menschen Themen einbringen wollen, wird vorher abgestimmt, was Priorität hat“, sagt Kästner. Wer zu spät kommt, muss entweder eine Woche warten oder eine*n der Einträger*innen fragen, ob sie*er bereit ist, das Thema auf die nächste Woche zu verschieben.
Die Informationen, die die Geschäftsführung und die Referatsleiter*innen vor der Umstellung in den Meetings vorgestellt haben, teilen sie im Pad. So sind sie für alle verfügbar, die sich über die Arbeit in den referatsübergreifenden Projektgruppen und Referaten informieren möchten.

Eine Moderation, eine Protokollant*in
Die Rollen Moderation und Protokollant*in rotieren wöchentlich, entsprechend einer für alle einsehbaren Liste im Wiki, sodass jede*r mal dran ist. Wer vergangene Woche moderiert hat, führt diese Woche Protokoll. Wenn eine Person an dem ihr zugewiesenen Tag nicht moderieren oder protokollieren kann, muss sie sich selbständig um Ersatz bemühen.
Die Aufgabe der Moderation besteht im Wesentlichen darin, die Personen anhand der Agenda durch das Meeting zu führen und auf die Zeit zu achten. „Zur Not muss sie abbrechen, wenn eine Person ihre Zeit überschreitet – und das macht sie dann auch“, sagt Arnecke.
Für einen Check-in ist bei 50 Teilnehmer*innen keine Zeit. Falls aber nur ein Schwerpunktthema eingetragen ist, ist Raum für Experimente: „Eine Moderatorin hat z.B. an eine Kollegin übergeben, die eine fünfminütige Meditation mit der Gruppe gemacht hat“, sagt Arnecke. „Einige fanden das super und wollten es zur Regel machen, andere konnten dagegen gar nichts damit anfangen. Deshalb findet eine Meditation nun fünf Minuten vor dem All-hands statt, und wer teilnehmen möchte, wählt sich einfach rechtzeitig ein.“
Die Protokollant*in bekommt von den Vortragenden im Vorfeld die Folien oder Notizen zugeschickt, sodass sie diese für das Protokoll nur ergänzen muss. Wichtig ist, dass das Protokoll für alle verständlich ist, dass also zum Beispiel Akronyme ausgeschrieben sind. Das Protokoll wird nach dem Meeting im Wiki für alle einsehbar abgelegt.

Fazit: Effizienz, Verbundenheit und trickle-down
Das All-hands werde nun viel mehr als Teamsitzung wahrgenommen, so Arnecke. Kästner ergänzt: „Wir sind jetzt effektiver, sparen Zeit und haben mehr Austausch.“ In einer Umfrage haben fast alle Mitarbeiter*innen angegeben, dass ihnen das neue Format besser gefällt. Durch die themenbasierte Struktur fällt es den Teilnehmer*innen leichter zu folgen. Es gebe ein neues Verbundenheitsgefühl mit der Organisation. Zudem gehe es weniger um organisatorisches Klein-Klein, sondern um die wirklich wichtigen Dinge, die alle betreffen.
Kästner hat außerdem beobachtet, dass das Montagsmeeting die Meetingkultur bei Reporter ohne Grenzen insgesamt verändert. Viele Teams hätten das Konzept für ihre eigenen Meetings übernommen. Sie sprächen jetzt nur noch über Informationen, die für alle wichtig sind. „Vorher haben die Teams in ihren Jour fixes oft über alles Mögliche gesprochen, aber wenig über Ergebnisse und Handlungsaufträge“, sagt auch Arnecke. Seitdem die Meetings den Fokus auf das Tun legen, schließen sich ihrzufolge auch referatübergreifend Teams viel schneller zu Projekten zusammen. Das Update der Montagssitzung verändert also die Meetingkultur im Ganzen – dabei war das nicht mal beabsichtigt.
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Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit lag 2023 darin, regimekritischen Medienschaffenden aus Russland und akut gefährdeten Journalist*innen aus Afghanistan eine humanitäre Aufnahme in Deutschland zu ermöglichen. Im November hat der Verein im Süden des Gazastreifens ein Zelt aufgestellt, in dem sechs geflohene Journalistinnen wohnen. Zwei weitere Zelte stehen bis zu 20 Medienschaffenden zum Arbeiten offen. Bereits im März hat RSF zusammen mit der Samir Kassir Foundation in Beirut ein Zentrum für Pressefreiheit eröffnet, wo Journalist*innen psychologische und juristische Hilfe bekommen.





