Niemand sollte krank zur Arbeit gehen. Für Menschen mit chronischen Erkrankungen ist das nicht umsetzbar. Was können Organisationen tun, damit Betroffene ihre Krankheit nicht zu Hause lassen müssen?
50 Prozent aller Deutschen gelten laut einer Studie der Frankfurter Goethe-Universität als chronisch krank. Jede*r von uns hat mit hoher Wahrscheinlichkeit mindestens eine Person im direkten Arbeitsumfeld, die chronisch erkrankt ist.
Für chronische Krankheiten gibt es keine einheitliche Definition. Es sind jedoch immer lang andauernde Krankheiten, die nicht vollständig geheilt werden können und wiederkehrend ärztlich behandelt werden müssen. Sie verlaufen individuell – während manche Betroffene ihr Leben weitgehend normal führen, werden andere durch die Krankheit stark beeinflusst oder gar behindert. In jedem Fall bedeutet die Erkrankung für Betroffenen dauerhaft mit gesundheitlichen Einschränkungen zu leben und sich immer wieder mit der Krankheit auseinanderzusetzen. Manche Menschen müssen täglich Medikamente nehmen, andere haben ab und zu Schübe.
Gerade die Krankheiten, die nicht nach außen hin sichtbar sind, werden im Alltag von anderen oftmals nicht wahrgenommen oder berücksichtigt. Das führt für viele Betroffene dazu, dass sie zusätzlich mit psychischen Belastungen zu kämpfen haben. Tatsächlich liegt die Wahrscheinlichkeit, zusätzlich an einer Depression oder Angststörung zu erkranken, für körperlich chronisch kranke Menschen bei etwa 40 Prozent und ist somit gegenüber Gesunden deutlich erhöht.
Aber psychische Belastungen zeigen sich auch schon im Kleinen: Wer beispielsweise oft bei der Arbeit ausfällt, kann Scham- und Schuldgefühle gegenüber den Kolleg*innen entwickeln, vor allem, wenn diese nicht wissen, warum die Person fehlt.
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Zur AnmeldungStrukturen müssen her
Was wir brauchen: Organisationen, in denen Betroffene die Möglichkeit haben, offen über ihre chronischen Krankheiten zu sprechen, ohne mit Einschränkungen rechnen zu müssen. Es reicht aber nicht, einmalig über die Krankheit zu sprechen, denn chronische Krankheiten verlaufen prozesshaft und verändern sich oftmals mit der Zeit. Viele treten zudem schubweise auf. Entsprechend braucht es Strukturen, in denen die Krankheit und die Bedürfnisse der erkrankten Person immer wieder besprochen werden können.
Die Verantwortung dafür, diese Strukturen zu schaffen, sollte nicht bei den Betroffenen allein liegen. Denn schon der Schritt, offen über die Krankheit zu sprechen, kostet Überwindung. Hinzu kommen oftmals Schmerzen, regelmäßige Arztbesuche, Therapien oder Klinikaufenthalte oder Betroffene haben krankheitsbedingt ein niedriges Energielevel. Es ist nicht verwunderlich, wenn die Kraft von Betroffenen nicht ausreicht, um auch noch individuelle Strukturen für die Arbeit zu schaffen und diese gegenüber Kolleg*innen oder Führungskräften präsentieren oder gar verteidigen zu müssen. Stattdessen sollte das Thema gemeinsam mit (vertrauten) Kolleg*innen oder im Team angegangen werden.
Damit ihr leicht gemeinsam eine Struktur erschaffen könnt, haben wir ein Canvas entwickelt, die euch dabei unterstützt, individuelle chronische Krankheiten in euren Arbeitsprozessen mitzudenken. Krankheitsbedingte Bedürfnisse stellen wir bewusst in den Mittelpunkt.
Krankheit zum Thema machen
Seite besuchenWie ihr mit dem Canvas arbeitet
- Füllt das Canvas entweder allein aus oder – besser noch – nehmt euch gemeinsam mit vertrauten Kolleg*innen Zeit dafür. Wenn ihr es sinnvoll findet, dass es alle Menschen sehen, schickt sie an eure HR-Abteilung.
- Die Fragen dienen der Inspiration. Erweitert sie gerne oder lasst sie weg, wenn sie nicht zu euch und eurer Krankheit passen.
- Versucht möglichst klare Strukturen, Prozesse und Workflows zu erarbeiten. Überlegt euch vor allem, wie sich Zeiten, in denen es euch gut geht, von Zeiten unterscheiden, in denen ihr krank seid.
- Legt einen Fokus auf die Momente, in denen ihr aufgrund eurer Krankheit nicht (so gut) arbeiten könnt: Wer übernimmt dann welche Aufgaben/Rollen? Eine kleine Übung, damit ihr dabei nichts überseht, geht folgendermaßen: Geht von vorne bis hinten eine typische Arbeitswoche im Kalender durch und sammelt alle wiederkehrenden Aufgaben in einer Liste. Findet für jede dieser Aufgaben eine Person, die die Aufgabe übernehmen kann. Macht euch überflüssig, im besten Sinne des Wortes! Dann haben auch Scham- und Schuldgefühle keinen Platz mehr.
- Haltet die nächsten Schritte fest: Wer muss über die neuen Strukturen informiert werden? Welche Zugänge und Informationen brauchen eure Kolleg*innen, um unkompliziert für euch einspringen zu können?
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PDF-DownloadAls ganzer (kranker) Mensch zur Arbeit gehen
Im Kontext von New Work heißt es immer, der Mensch müsse ganz zur Arbeit kommen können. Für chronisch kranke Menschen bedeutet das auch, dass sie ihre Krankheit mitbringen, denn für sie ist es praktisch nicht umsetzbar, krank zuhause zu bleiben – im Zweifelsfall würden sie dann nämlich nie zur Arbeit gehen. Bisher übersehen viele Organisationen diesen Aspekt des Lebens ihrer Mitarbeiter*innen aber. Dabei liegt es in ihrer Verantwortung, Strukturen zu schaffen, die dazu führen, dass alle Menschen im Rahmen ihrer Möglichkeit gut arbeiten und ihre Potenziale entfalten können.
Krankheiten-Liste
Während einige chronische Krankheiten sehr weit verbreitet sind, kommen andere selten vor, sind schlecht erforscht und oft unsichtbar. Hier eine kleine Auswahl unterschiedlicher chronischer Erkrankungen:
- Allergien: Überempfindlichkeiten gegenüber körperfremden Stoffen
- Angststörungen (Panik, Phobien): übersteigerte Angst vor Dingen oder Situationen; können z.B. mit Herzrasen, Schwitzen und Atemnot einhergehen
- Asthma: anfallsartig auftretende Erkrankung der Atemwege
- Arthrose: langsam fortschreitender Abbau von Gelenkknorpel; geht mit Steifheitsgefühlen und Bewegungseinschränkungen einher
- Bluthochdruck: Spitzenreiter der chronischen Krankheiten in Deutschland; kann auf Dauer verschiedene Organe schädigen
- Chronifizierte Rückenschmerzen
- Chronische Migräne: wenn an zehn oder mehr Tagen pro Monat Migränesymptome auftreten
- Demenz: Minderung der geistigen Fähigkeiten, beispielsweise Gedächtnisverlust
- Depression: psychische Erkrankung, die sich z.B. inanhaltender gedrückter Stimmung, Hemmung von Antrieb und Denken sowie Interessenverlust äußert
- Diabetes: krankhafte Störung des Zuckerstoffwechsels, bei der mit der Zeit Organe und Gefäße geschädigt werden
- Endometriose: eine der häufigsten Unterleibserkrankungen bei Menschen mit Uterus, führt z.B. zu erhöhten Schmerzen während der Menstruation oder Unfruchtbarkeit
- Essstörungen (Bulimie, Magersucht): Erkrankung, bei der der Umgang mit dem Essen und das Verhältnis zum eigenen Körper gestört sind
- Herzinsuffizienz: Erkrankung, bei der das Herz es nicht schafft, ausreichend Blut durch den Körper zu pumpen
- Krebserkrankungen: verschiedene Erkrankungen, in deren Verlauf gesundes Gewebe durch eine unkontrollierte Vermehrung von Zellen zerstört wird
- Koronare Herzkrankheiten: entstehen durch verengte Herzkranzgefäße, infolge bekommt das Herz nicht mehr ausreichend Sauerstoff
- Morbus Crohn: entzündliche Darmerkrankung, die überall im Magen-Darm-Trakt auftreten kann
- Mukoviszidose: extrem seltene, angeborene Stoffwechselerkrankung, betrifft vor allemdie Lunge und die Bauchspeicheldrüse
- Multiple Sklerose: entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems, betrifft z.B. das Gehirn und Rückenmark
- Suchterkrankungen (Alkoholsucht, Medikamentensucht, …): das unkontrollierbare Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand